Blacky hatte sich ebenso erstaunt umgewandt wie Fabrizio. Gigliola und ihr Vater wirkten hinter dem Verkaufstisch wie versteinert. Sie starrten an der mächtigen Signora vorbei, die plötzlich wie umgewandelt war. Tatsächlich, sie schien um ein paar Zoll geschrumpft zu sein, so respektvoll war sie geworden.
Die beiden elegant gekleideten Männer fielen nicht einmal besonders auf. Viel auffälliger war nach Blackys Eindruck die rege Geschäftigkeit, die auf dem Marktplatz wieder eingesetzt hatte. Von einer Sekunde zur anderen gab es auf der gesamten Piazza keinen einzigen Neugierigen mehr.
Niemand interessierte sich mehr für das Geschehen beim Stand der Nócciolos. Der Auftritt des Drachens war zur Nebensache geworden. Das Feilschen um Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse stand wieder im Mittelpunkt.
„Komm, Fabrizio“, sagte die Signora tonlos. Sie nahm ihren Ehemann bei der Hand. „Ich glaube, es ist besser, wir gehen nach Hause.“ Sie sah die Eleganten mit ehrfürchtigem Blick an, um festzustellen, wie deren Reaktion war.
„Wir danken für Ihre Einsicht, Signora“, sagte der Ältere der beiden Männer, lächelte und deutete eine Verbeugung an.
Der Drachen trabte davon, den willigen Fabrizio im Schlepp.
Die beiden elegant gekleideten Männer traten näher an den Verkaufsstand Porfirio Nócciolos und seiner Tochter heran. Dabei bedachten sie Blacky mit einem ausgiebigen, forschenden Seitenblick.
Der ältere der Signori war schlank und hatte ein Vogelgesicht. Mit dem glatt zurückgekämmten schwarzen Haar, der spitzen Nase und den dunklen Knopfaugen hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Raben.
Der jüngere Mann, bartlos, mittelblond und kräftig gebaut, schien eine Art Leibwächter zu sein. Im Gegensatz zu dem Rabengesichtigen, der nur einen Dolch mit prunkvoll ziseliertem Griff trug, war der junge Begleiter zusätzlich mit einer Pistole bewaffnet. Auch bei dieser Waffe handelte es sich um ein kostbares Stück.
Der Kolben, seitlich mit silbernen und goldenen Rankenmustern ausgelegt, hatte eine Bodenplatte aus reinem Gold. Zum Zuschlagen war dieser Kolben sicherlich weniger geeignet. Doch daran, daß aus dem Lauf der Waffe Kugeln aus reinem Blei verfeuert werden konnten, bestand nicht der geringste Zweifel.
„Ich würde gern erfahren, was vorgefallen ist“, sagte der Rabengesichtige in seiner höflichen und beinahe zurückhaltenden Art.
Blacky spürte indessen, daß dieses Gehabe so falsch war wie das Schnurren einer Katze angesichts einer in die Enge getriebenen Maus.
„Selbstverständlich, Signor Cóstola“, erwiderte Porfirio Nócciolo mit einer tiefen Verbeugung, wobei er sich dem übelriechenden Seeteufel bis auf wenige Zoll näherte.
„Zuvor“, sagte Cóstola gedehnt, „sorgen Sie bitte dafür, daß wir unter uns sind.“ Mit einer ruckartigen Handbewegung wies er zur Seite, und abermals spürte Blacky, wie ihn die Raben-Knopfaugen prüfend abtasteten. Ebenso die schmalen Augen des Leibwächters.
„Mit Verlaub“, sagte Gigliola. Sie hörte sich jetzt lammfromm an. „Der Signore ist ein guter Freund von mir. Er hat alles miterlebt und wird nötigenfalls zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können.“
Blacky unterdrückte ein Grinsen. Es war wirklich beeindruckend, wie gekonnt Gigliola mit dem kaufmännisch-juristischen Jargon umging, den sie sich während ihrer Lehrjahre angeeignet hatte.
Die beiden Eleganten wandten sich ihm zu. Sie trugen blitzblanke Schnallenschuhe, weiße Strümpfe und Beinkleider aus weichem, schwarzem Leder, das bei nur flüchtigem Hinsehen wie Samt wirkte. Das Wams des Mannes namens Cóstola war aus Streifen von schwarzem Samt und roter Seide zusammengefügt und mit kunstvollen Stickereien aus Silberfäden verziert.
Das große Barett, das er sonst auf dem Rabenkopf zu tragen pflegte, hing in einer Schlaufe an der linken Hüftseite seines Wamses. Die Oberbekleidung des jüngeren Mannes war aus einfachem schwarzem Stoff gefertigt und hatte etwas Uniformhaftes. Über eine Kopfbedeckung schien er nicht zu verfügen.
Blacky rang sich zu einem Gruß durch, der noch halbwegs freundlich klang. Der öligen Höflichkeit dieser sardischen Gentlemen konnte er beim besten Willen nicht nacheifern.
„Oh, Sie stammen nicht aus Sardinien?“ rief Cóstola, als hätte er ein sorgsam gehütetes Geheimnis aufgedeckt. „Wenn ich Ihren Akzent richtig deute, sind Sie auch kein Italiener und ein Spanier schon gar nicht.“
„Sie deuten richtig“, entgegnete Blacky und nickte. „Ich bin Engländer.“
„Ah, wie interessant!“ Cóstola faltete die Hände über der Magengegend. „Ein Engländer in diesen von Spanien beherrschten Gewässern! Sehr mutig, Signor, wirklich sehr mutig.“
„Meine Freunde und ich sind Seefahrer. Wir führen keinen Privatkrieg.“
„Also Handelsfahrer?“
„So kann man es nennen.“
„Haben Sie auch einen Namen?“
Der breitschultrige Mann aus der Crew des Seewolfs grinste. „Ich werde Blacky genannt. Aber es wurde schon mehrfach angezweifelt, ob man das als einen Namen bezeichnen kann.“
„Oh, ich kann mir gut vorstellen, wie so etwas entsteht“, erwiderte der Rabengesichtige mit hochgezogenen Brauen. „In Seefahrerkreisen gelten besondere Gesetze, nicht wahr? Mit der Namensgebung, wie mit vielen anderen Dingen, nimmt man es da nicht übermäßig genau. Habe ich recht?“
„Sie kennen sich aus“, antwortete Blacky und wunderte sich insgeheim, daß der andere seinen Spott nicht zu bemerken schien.
Cóstola lächelte, sah Blacky noch einen Moment schweigend an und wandte sich dann dem Händler und seiner Tochter zu. Der Leibwächter folgte dem Beispiel des Rabengesichtigen. Mit einer knappen Handbewegung forderte er Porfirio Nócciolo auf, zu berichten.
Der Händler schilderte das Geschehen und übernahm dabei die Version, die sich Gigliola ausgedacht hatte. Cóstola nickte und rümpfte die Nase, als er den Seeteufel einer kurzen Prüfung unterzog. Der Leibwächter tat es ihm auch diesmal nach. Er hatte etwas Papageienhaftes.
„Nun“, sagte der Rabengesichtige mit der Gewichtigkeit eines über alle Alltäglichkeiten erhabenen weisen Mannes. „Wir wollen den Vorfall nicht aufbauschen, mein lieber Nócciolo. Aber über eins müssen wir uns doch wohl im klaren sein: Es geht beim besten Willen nicht, daß auf dieser Piazza, in dieser Stadt, mit verdorbener Ware gehandelt wird. Und die Geschichte mit den Musterexemplaren wollen Sie mir doch wohl nicht ernsthaft unterjubeln, nicht wahr?“
Porfirio preßte die Lippen aufeinander und blickte betreten auf den Tisch mit den „Beweisstücken“.
Gigliola holte tief Luft und wollte zu einer energischen Erwiderung ansetzen.
Doch Cóstola sorgte mit einer dämpfenden Handbewegung dafür, daß sie nicht erst den Mund auftat.
„Ziehen wir einen Schlußstrich“, sagte er mit unvermittelter Schärfe. „Ich werde Don Marcello vorerst nichts über den Vorfall berichten. Sie wissen, daß er es nicht schätzt, wenn die von ihm protegierten Händler einen schlechten Ruf erlangen. Sollte ich oder ein anderer aus unserem Freundeskreis aber noch einmal etwas Derartiges hören, werde ich gezwungen sein, Don Marcello die ungeschminkte Wahrheit offenzulegen. Sie wissen, was das bedeutet, Nócciolo.“
Der Händler senkte den Kopf wie ein kleiner Junge, der von seinem Vater bei einem bösen Streich ertappt worden ist. Auch Gigliola, vor wenigen Minuten noch voller Kampfeswillen, wagte kein Widerwort mehr.
Die beiden Eleganten wandten sich ab, bedachten Blacky noch mit einem letzten prüfenden Seitenblick und stolzierten über die Piazza davon. Überall zwischen den Marktständen wurden sie ehrerbietig gegrüßt.
Blacky trat auf den Verkaufsstand zu.
„Ich will mich nicht einmischen“,