Seewölfe Paket 13. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395026
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die plötzliche Wärme, die das hochauflodernde Feuer in seiner Nähe abgab, als wohltuend. Seine kalten, steifen Glieder begannen sich langsam zu erwärmen.

      Totenstille war eingetreten. Keiner der Derwische tanzte mehr oder sang den monotonen „Dhikr“ vor sich hin. Alle blickten gespannt auf Ibrahim Salih, ihren Führer.

      „Naci“, sagte dieser nun zu dem kleinen, rundlichen Mann, der außer ihm der einzige war, der des Lesens und Schreibens kundig war. „Bringe den Koran. Und dann lies laut vor, was im dritten Vers der vierundzwanzigsten Sure geschrieben steht. Dieser Hund, der da vor uns steht, soll seine Ohren weit öffnen, und er soll auf die Knie gehen, wenn das Wort Allahs an ihn ergeht!“

      Während Naci dienstbeflissen den Koran herbeiholte, wurde Sobocan von seinen Bewachern in die Knie gezwungen.

      Naci begann mit lauter Stimme vorzulesen: „So wurde dem Propheten zu Medina offenbart: Eine Hure und einen Hurer sollt ihr mit hundert Schlägen geißeln. Laßt euch nicht, diesem Urteil Allahs zuwider, von Mitleid gegen sie einnehmen, wenn ihr an Allah und den Jüngsten Tag glaubt. Einige Gläubige sollen ihre Bestrafung bezeugen.“ Nachdem er geendet hatte, blickte er abwartend zu Salih hinüber.

      „Hast du es gehört, du Ratte?“ fragte Ibrahim Salih zu Sobocan gewandt. In seinen stechenden Augen lag ein merkwürdiger Glanz, als er fortfuhr: „Du hast Slobodanka, die Tochter unseres Wohltäters Barabin in den Dreck gezogen. Ja, du Hund, du hast dich an das Mädchen herangepirscht, und dafür wirst du die hundert Schläge erhalten, von denen der Prophet gesprochen hat.“

      Einen Moment wirkte Sobocan wie erstarrt. Hundert Schläge! Erst gestern hatte er zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen erhalten. Kämen jetzt noch weitere hundert dazu, dann würde das auch der stärkste Mann nicht verkraften. Es wäre das sichere Ende. Und außerdem: Was hatte er Slobodanka getan? Sie liebten sich, das war alles. Nie hatten sie etwas getan, was gegen die Gebote Allahs und seines Propheten verstoßen hätte.

      Rasch sprang der junge Mann auf.

      „Was du gesagt hast, ist eine Lüge!“ rief er mit lauter Stimme. „Eine elende Lüge! Und Allah wird auch die Lügner eines Tages bestrafen. Ich habe Slobodanka mit keinem Finger angerührt. Ja, ich liebe sie, und sie liebt mich. Und ich habe Barabin gebeten, mir seine Tochter zur Frau zu geben. Ist das vielleicht ein Unrecht? Auch du, Salih, hast nicht das Recht, Gutes in Böses zu verwandeln!“

      „Schweig, du Hund!“ brüllte das Oberhaupt der Derwische mit haßverzerrtem Gesicht. „Sei still, oder ich lasse dir augenblicklich den Kopf abschlagen!“

      Seine Augen funkelten tückisch, als er sich Naci zuwandte.

      „Lies weiter“, sagte er. „Wir wollen aus der neunten Sure des Korans den einundvierzigsten Vers hören.“

      Eilig küßte Naci den Koran, bevor er mit lauter und hoher Stimme zitierte: „Zieht in den Kampf, leicht und schwer, und kämpft mit Gut und Blut für die Religion Allahs; dies wird besser für euch sein, wenn ihr es nur einsehen wollt.“

      Nachdem Naci verstummt war, legte Ibrahim Salih eine kurze Pause ein, um die Wirkung seiner Worte zu erhöhen. Er verfolgte sein Ziel mit eiskalter Präzision.

      „Mit Gut und Blut haben wir für die Religion Allahs zu kämpfen“, sagte er zu Sobocan. „Und was hast du vor zwei Tagen getan, als die ‚El Jawhara‘ die ungläubigen Hunde samt ihrem Schiff vernichtet hat? Du hast feige den Schwanz eingezogen und Barabin, deinen Kapitän, sogar noch einen Meuchelmörder genannt. Du bist ein Verräter! Jawohl, ein ganz elender Verräter! Und als solcher wirst du sterben, und zwar gleich im ersten Morgengrauen. Allah sei mein Zeuge, daß ich dieses Urteil in seinem Auftrag gesprochen habe.“

      Wieder bäumte sich Sobocan auf, aber gegen die Übermacht der Derwische konnte er nichts ausrichten.

      „Auch das ist eine üble Verleumdung!“ schleuderte er Salih entgegen. „Ich bin kein Verräter, aber Barabin ist ein Meuchelmörder, er hat die Besatzung des venezianischen Schiffes mit eurer Hilfe in einen Hinterhalt gelockt. Alle Männer mußten sterben, obwohl das nicht nötig gewesen wäre, um die Beute zu übernehmen.“

      „Schweig!“ brüllte Ibrahim Salih und hob drohend den Krummsäbel, den er noch immer in der Hand hielt.

      Doch Sobocan fuhr unbeirrt fort: „Und nun öffne du deine Ohren, Salih. Wie Naci vorgelesen hat, sollen die Gläubigen mit Gut und Blut für die Religion Allahs kämpfen. Bei dem hinterhältigen Morden, das Barabin mit deiner Hilfe betrieben hat, ging es aber nicht um die Religion, sondern um fette Beute, und damit um die Befriedigung eurer Gier und Habsucht. Allah wird euch dafür bestrafen, er wird euch …“

      Weiter gelangte Sobocan nicht. Ein gewaltiger Fausthieb streckte ihn nieder. Das Feuer vor seinen Augen begann zu tanzen, dann griff eine kalte Dunkelheit wie mit tödlichen Klauen nach ihm.

      2.

      Über der Felsenmoschee der Derwische lag eine bedrohliche Stille. Das rituelle Singen und Tanzen, das nach der Verurteilung Sobocans fortgesetzt worden war, hatte inzwischen aufgehört. Nur vereinzelt drang der Ruf eines Nachtvogels durch die uralten Gemäuer der Ruine.

      Als Sobocan aus der Bewußtlosigkeit erwachte, glaubte er zunächst, die Welt drehe sich in einem rasenden Wirbel um ihn. In seinem Schädel explodierten tausend Pulverfässer, und er hatte ein Gefühl, als hielten ungeheure Lasten seinen Körper am Boden fest.

      Blinzelnd öffnete er die Augen, doch das einzige, was sich seinem Blick bot, war Dunkelheit. Als er dann noch die Kühle und Feuchtigkeit seiner Umgebung spürte, kehrte seine Erinnerung zurück.

      Der Körper Sobocans straffte sich. Mit einer reflexartigen Bewegung wollte er vom Boden aufspringen. Aber es blieb bei dem Versuch, denn man hatte ihm wieder Hände und Füße zusammengebunden.

      Während ihn diese bittere Erkenntnis wie ein Hammerschlag traf, fielen ihm die Worte Ibrahim Salihs ein. Und gleichzeitig stieg eine ohnmächtige Wut in Sobocan auf. Man wollte ihn beseitigen, und das im Auftrage Barabins, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr.

      Hundert Schläge sollte er erhalten. Außerdem hatten ihn die Derwische zum Tode verurteilt, und das eigentlich nur, weil er sich einen Rest von Menschlichkeit bewahrt hatte.

      Ein schmerzliches Lächeln quälte sich in Sobocans Gesicht. Man hatte ihn nicht ausreden lassen, sondern einfach niedergeschlagen. Dennoch grenzte es bereits an ein Wunder, daß er überhaupt noch am Leben war. Aber Ibrahim Salih, dieser eiskalte, berechnende Schurke, würde nicht davor zurückschrekken, das Urteil zu vollstrecken.

      Das Oberhaupt der Derwische hatte seinen Plan genau durchdacht. Unter dem Deckmantel der Religion würden auch seine Männer ohne weiteres mitspielen.

      Auch Salih mußte sich darüber im klaren sein, daß er die hundert Schläge nicht überstehen würde. Sollte das trotzdem der Fall sein, würde das zusätzlich ausgesprochene Todesurteil dafür sorgen, daß er, Sobocan, zu Beginn des neuen Tages nicht mehr unter den Lebenden weilte.

      Als Sobocans Blick die schmale Maueröffnung seines Verlieses streifte, durch die das spärliche Licht des Mondes auf die gegenüberliegende Mauer fiel, durchzuckte ihn plötzlich ein eisiger Schreck. Wieviel Zeit war seit der gespenstischen Szene im Kreis der Derwische überhaupt vergangen? Wie lange würde es noch dauern, bis das erste Morgengrauen hereinbrach? Konnten nicht jeden Moment seine Mörder die schwere Holztür öffen? Vielleicht stand derjenige, den das Los getroffen hatte, schon mit dem Richtschwert bereit?

      Sobocan wußte, daß er keine Zeit verlieren durfte. Aber was sollte er tun? Gab es überhaupt eine Möglichkeit für ihn, den Derwischen zu entrinnen?

      Schließlich war es der Gedanke an Slobodanka, der ihn aus seinen Überlegungen riß. Seine alte Entschlossenheit und ein eiserner Lebenswille packten ihn.

      Nachdem es ihm gelungen war, seinen Oberkörper aufzurichten, versuchte er mühsam, seine Umgebung mit den auf den Rücken gefesselten Händen abzutasten. Aber es waren nur kalte, feuchte Steine, die er berührte.

      Trotzdem