„Du kennst dich also auf Hispaniola aus“, sagte Willem. „Könnte man dort eine Brauerei bauen? Wie stehen die Chancen?“
„Eine Brauerei? Es gibt doch Wein genug“, entgegnete Solimonte verdutzt.
Willem grinste ihn an. „Du hast eben mein Bier noch nicht probiert. So etwas gibt es in der ganzen Karibik nicht – echten holländischen Gerstensaft. Ich schwöre dir, damit werde ich auf Hispaniola Bombengeschäfte tätigen. In El Triunfo habe ich eine Brauerei gehabt, verstehst du?“
„Ja“, erwiderte der Spanier einigermaßen verwirrt. Er wußte nicht, was er mit diesem Hinweis anfangen sollte.
Diego beugte sich über den Tisch und legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Laß Willem reden, wundere dich nicht über ihn. Jedem, den er trifft, geht er mit seinem Geschwafel auf den Geist.“ Der dicke Holländer wollte aufbegehren, aber Diego fuhr fort: „Erzähl uns lieber deine Geschichte, El Tiburon. Jene, durch die du deinen Beinamen erhalten hast.“
„Warum?“ Solimonte schien jetzt eher konsterniert zu sein. „Du weißt doch, daß ich damit nicht gern herumprahle.“
Diego seufzte und blickte zu Arne und Oliver O’Brien. „Er sträubt sich mal wieder, dabei ist die Geschichte hochinteressant. Aber El Tiburon ist zu bescheiden, er stellt sich nicht gern heraus.“
„Ich erinnere mich nur ungern an die Begebenheit, das ist es“, sagte der Spanier.
„Trotzdem – ich will sie euch nicht vorenthalten“, sagte Diego unbeirrt. Er goß wieder Wein nach, und dann begann er zu sprechen, von Piraten und von Haien, Tiburones, den blutrünstigen, mordgierigen Schrecken aller Seefahrer, bei deren bloßer Nennung manchem ein kalter Schauer über den Rücken lief.
Nicht nur Arne, O’Brien, Carlos und der dicke Willem waren aufmerksame Zuhörer – auch Gilbert Sarraux und Joao Nazario lauschten. Vom Nebentisch aus konnten sie jedes Wort verstehen, denn Diego gab sich nicht die geringste Mühe, seine Stimme zu dämpfen. Er war ein fesselnder, mitreißender Erzähler, man konnte nicht umhin, seinem Bericht aufmerksam zu lauschen.
6.
Zwei Jahre lagen die Ereignisse zurück, an die Joaquin Solimonte noch heute mit gelindem Grauen zurückdachte. Seinerzeit hatte er noch mit einer Gruppe von Siedlern aus aller Herren Länder an der Nordküste von Hispaniola gelebt, westlich von Cabo Samaná an einer winzigen, geschützt und gut versteckt liegenden Bucht, in der das halbe Dutzend kleiner Einmaster ankerte, derer sie sich bedienten, um nachts ihre Fischernetze auszuwerfen. Einige der Glücksritter und Abenteurer waren früher Freibeuter gewesen, hatten die Piraterie aber satt und genossen ihr ruhiges, beschauliches Dasein.
Nur eine Gefahr gab es – die Haie, die die kleine Bucht verseuchten. Nie wagte einer der Siedler, ein Bad zu nehmen oder auch nur durch das flache Wasser in Ufernähe zu waten. Die Bucht schien ein Brutplatz der „Tiburones“ zu sein, der Menschenfresser, die überraschend angriffen und stets auf der Lauer lagen.
Manchmal sahen Joaquin und seine Gefährten die Dreiecksflossen, die die Fluten pfeilschnell zerschnitten. An den Lagerfeuern kursierten die wildesten und haarsträubendsten Erzählungen über Männer, die dem Blutrausch der Bestien zum Opfer gefallen waren.
Eines Nachts ging in der Bucht ein Dreimaster mit dunkel gelohten Segeln vor Anker. Viel zu spät warnte der Wachtposten die schlafenden Siedler durch seinen Pfiff. Er selbst war eingenickt und wachte erst auf, als die Besatzung der Galeone ein Beiboot abgefiert hatte und zwölf Männer an Land pullten. Ein fataler Fehler, für den die Siedler mit ihrem Blut bezahlten.
Schlaftrunken, noch halb benommen sprangen sie von ihren Lagern auf, griffen zu den Waffen und stürmten ins Freie, aber schon peitschten die ersten Musketenschüsse. Der Wachtposten brach mit einem gurgelnden Aufschrei zusammen, blieb liegen und rührte sich nicht mehr. Zwei andere Männer sanken vor den Hütten zu Boden, ein anderer blieb schwer verletzt liegen, die anderen rannten an ihm vorbei und eröffneten das Feuer auf die Angreifer.
„Ergebt euch!“ brüllte der Kapitän der Galeone auf französisch. „Ihr habt keine Chance!“ Er selbst führte das Bootskommando an, und er war der erste, der zwischen den Hütten war, seine Pistole abfeuerte und mit dem Säbel zwei Männer tötete.
Französische Piraten hatten die einsame Siedlung überfallen, um sie zu plündern und niederzubrennen. Sie waren auf der Suche nach allem, was es zu rauben gab – Gold, Silber, Juwelen, Munition und Waffen, Proviant und Wasser.
Reichtümer gab es in der Siedlung am Cabo Samaná nicht, wohl aber Pulver, Kugeln, Fisch und Wild – und die Ausrüstungen der Boote, die in der Bucht ankerten. Die Angreifer waren eine skrupellose Horde von Schnapphähnen, denen es an allem mangelte. Sie hatten ein Gefecht gegen zwei spanische Galeonen hinter sich, in dem sie arg angeschlagen worden waren und sich nur mit größter Not gerade noch rechtzeitig hatten zurückziehen können.
Nur notdürftig hatten sie die Schäden am Schiff behoben. Es war jetzt unterbemannt, es hatte mehr als ein Dutzend Tote gegeben, und zwei Freibeuter lagen im Logis im Sterben. Auch das wollte der Franzose: Männer pressen, damit die Galeone wieder voll seetüchtig und manövrierfähig wurde.
Doch der Franzose hatte nicht mit der Zähigkeit der Siedler gerechnet. Der Überraschungsangriff war gelungen, aber jetzt hatten die Überrumpelten sich gefangen und gliederten sich in zwei Gruppen auf. Die eine verteidigte verbissen die Hütten, die andere trieb eine Handvoll Piraten bis in den Urwald zurück, wo sich ein wütendes Handgemenge entwickelte.
Joaquin Solimonte kämpfte bei den Hütten, er schwang einen gewaltigen Schiffshauer und fällte einen Gegner, der ihm mit einem Entermesser entgegensprang. Dann hatte er den Kapitän vor sich – einen schwarzbärtigen, wüst aussehenden Kerl mit breitkrempigem, schwarzem Hut und schwarzer Kleidung. Joaquin griff ihn beherzt an, aber der Kerl konnte verteufelt gut fechten. Fluchend drangen sie aufeinander ein, aber keiner gewann im Kampf die Oberhand über den anderen.
Um sie herum waren das Brüllen und Fluchen der Männer, das Klirren der Blankwaffen und das vereinzelte Krachen von Musketen und Pistolen. Auch aus dem Busch drangen die Kampfgeräusche herüber – und plötzlich johlten und pfiffen die Siedler.
Es war ihnen gelungen, einen Teil der Widersacher niederzuwerfen und zu töten – nur zwei Piraten entkamen und hetzten zurück zum Boot. Vier Siedler jagten ihnen nach und stellten sie wenige Schritte von der Jolle entfernt. Noch einmal flammte das Handgemenge auf, und stöhnend sanken auch diese beiden Schnapphähne zusammen.
Die wenigen Kerle, die an Bord der Galeone zurückgeblieben waren, konnten nicht wagen, die Kanonen einzusetzen. Nichts von dem, was an Land geschah, war im Dunkeln zu erkennen. Sie riskierten, ihre eigenen Kumpane zu töten. Sie konnten nur abwarten.
Joaquin reagierte zu spät auf eine Finte des Piratenkapitäns, er mußte sich zur Seite werfen, um dem drohenden Stich zu entgehen. Er strauchelte und stürzte.
Bevor er sich herumwerfen und wieder aufrappeln konnte, war der Kerl über ihm, senste ihm den Schiffshauer aus der Hand und ließ das Heft seiner Waffe mit dem geschwungenen Handkorb auf Joaquins Kopf niedersausen. Joaquin spürte den Hieb, als habe ihn jemand mit einem Hammer geschlagen. Dann schwanden ihm die Sinne.
Die Schmerzen tosten in seinem Kopf, als habe man seinen Schädel gespalten, aber er erfaßte die Situation doch mit einem Blick, als er wieder bei Bewußtsein war. Sie hatten ihn verschleppt, er befand sich an Bord der Piratengaleone, allein unter Galgenstricken und gnadenlosen Schlagetots. Keinen seiner Kameraden hatte das gleiche Schicksal