Siri-Tong und die Männer fuhren auf dem Achterdeck herum. Plötzlich fielen die vier Galeonen zurück. Sie gaben den Kreuzkurs auf und drehten überraschend bei.
„Hol’s der Henker“, sagte Jean Ribault entgeistert. „Die geien die Segel auf.“
„Sie haben uns durchschaut“, sagte Siri-Tong. „Die Queen gibt uns einen neuen Beweis für ihre Gerissenheit. Jetzt ist guter Rat teuer.“
„Wir segeln weiter“, sagte Ribault. „Wir müssen Hasard und den Wikinger sofort unterrichten. Ich nehme an, daß er trotzdem angreifen will. Aber das Überraschungsmoment haben wir jetzt natürlich verspielt.“
„Wir haben immer noch einen Trumpf, Sir“, erklärte Jenkins. „Die Luvposition.“
„Die reicht nicht aus, um eine Teufelin wie die Queen vernichtend zu schlagen“, entgegnete Ribault.
Keiner sah einen Anlaß, ihm zu widersprechen. Die Bedingungen hatten sich erneut verändert, und die Lage wendete sich zu ungunsten der „Le Vengeur III.“, der „Isabella IX.“ und des Schwarzen Seglers.
Ein höhnisches, überlegenes Lächeln beherrschte die Züge der Black Queen. Sie verfolgte die „Le Vengeur III.“ mit ihrem Blick. Das Schiff segelte mit Kreuzschlägen zur Ostseite von Gran Cayman, seine Umrisse wurden allmählich etwas kleiner, dann tauchte es im Morgennebel unter.
„Dreimal darfst du raten, was an der Ostseite der Insel auf uns wartet“, sagte die Queen. „Galeonen, Caligula, vielleicht sogar die ‚Isabella‘. Irgendwie ist es Ribault und Siri-Tong gelungen, Verstärkung zu holen.“
„Aber wie nur, wie?“
„Das darfst du mich nicht fragen“, erwiderte sie. „Und es spielt jetzt auch keine große Rolle. Wichtig ist nur, daß wir die Tricks der Hurensöhne erkennen und uns darauf einstellen.“
Nur zu genau erinnerte sie sich noch an den Fehler, den die Kapitäne ihrer beiden Schiffe begangen hatten, die Jean Ribault bis zur Windward Passage verfolgt hatten. Sie hatten mit dem Leben dafür bezahlt, und die Schiffe waren versenkt worden. Dieses Mal war die Queen nicht bereit, auch nur ein Schiff ihres Verbandes durch Leichtfertigkeit und übertriebene Impulsivität einzubüßen.
„Wir bleiben hier in Warteposition liegen“, sagte sie. „Mal sehen, was Ribault unternimmt. Verdrücken kann er sich nicht, dazu ist er zu stolz. Vielleicht wartet er die Dunkelheit ab, aber bis dahin ist noch viel Zeit. Wir können der Entwicklung gelassen entgegensehen.“
Caligula schwieg. Innerlich bereitete er sich auf das Gefecht vor. Er wollte sich Ribault vor die Klinge holen, er wollte ein Duell. Nicht nur, um der Queen zu imponieren – er hegte seinen persönlichen Haß gegen den Franzosen, und die endgültige Abrechnung stand noch bevor. Was auf Gran Cayman geschehen war, hatte er noch nicht vergessen. Ribault hatte sich an ihm gerächt, aber er würde es ihm heimzahlen.
Ganz anderen Gedanken hing Emile Boussac nach, der auf die Back der „Caribian Queen“ geentert war. Sein kühnster Traum war nicht in Erfüllung gegangen. Nicht das Schiff der fünfzig Mädchen hatte vor Gran Cayman vor Anker gelegen, sondern die Galeone dieses verdammten Jean Ribault, dem er in El Triunfo dummerweise das Messer zugesteckt hatte.
Emile beschloß, seinen Freund Willem aufzusuchen. Er berichtete ihm, was in der Zwischenzeit vorgefallen war, und Willem sah todtraurig zu ihm auf.
„Dieser Ribault“, murmelte er, „der bringt uns nichts als Verdruß. Ich würde am liebsten ins Wasser springen.“
„Du vergißt die Haie. Und wohin willst du schwimmen? Nach Gran Cayman? Die Insel ist verflucht. Keine tausend Teufel bringen mich dorthin.“
„Außerdem bin ich ein schlechter Schwimmer. Ich habe das ja auch nur so gesagt. Mir ist elend zumute, Emile. Ich glaube, heute muß ich sterben.“ Willem ließ den Kopf hängen. Der Zustand tiefster Niedergeschlagenheit nahm immer mehr zu und wollte nicht verschwinden.
Emile fand, daß es an der Zeit war, ein offenes Wort mit dem Dicken zu reden. „Hör mal zu, Willem. Während der ganzen Zeit der Überfahrt bist du nicht an Deck erschienen, du hast die Tage hier, in dem muffigen Salon, verbracht. Das ist nicht gut für dich. Komm mit an Deck und schnapp ein bißchen frische Luft. Das heitert dich wieder auf.“
„Du weißt doch, daß ich nicht gern laufe.“
Emile beugte sich zu ihm hinunter. „Du benimmst dich lächerlich. Reiß mir den Kopf ab, wenn du willst, aber laß es dir von mir gesagt sein: Du läßt dich viel zu sehr hängen. Nimm dich zusammen. Du bist der Bürgermeister von El Triunfo, wir haben dich zu unserem Sprecher und Vertreter gewählt. Es ist nicht nur dein gutes Recht, es ist deine Pflicht, die Black Queen nach ihren Plänen zu fragen.“
„Du meinst, was sie vorhat, nachdem Ribaults Schiff weitergesegelt und verschwunden ist?“
„Ja, genau das.“
„Sie wird ihn verfolgen wollen.“
„Warum hat sie dann beigedreht?“ Emile trat an die Rückwand der Kammer und öffnete die Tür, die auf die Heckgalerie hinausführte. „Da, sieh doch selbst. Wir segeln nicht mehr. Was hat das zu bedeuten? Die drei anderen Galeonen liegen auch beigedreht in der See. Interessiert es dich denn überhaupt nicht, zu erfahren, was jetzt aus uns wird? Die Männer von El Triunfo sehen zu uns herüber. Wie lange willst du noch tatenlos herumhocken?“
Willem Tomdijk fühlte sich bei seiner Ehre gepackt. Mit einem Ruck erhob er sich – diesmal klappte es gleich beim ersten Versuch. Er warf einen Blick zur Tür hinaus, stieß ein grimmiges Brummen aus und bewegte sich mit seinem typischen Watschelgang durch den Salon. Seine Füße waren nach außen gerichtet, seine Beine schienen kaum das Gewicht seines Körpers zu halten. Erstaunlich schnell begab er sich jedoch auf den Mittelgang. Emile rammte die Heckgalerietür hinter sich zu und folgte ihm.
Gemeinsam traten sie durch das Achterdecksschott auf die Kuhl. Sofort ertönte über ihnen eine barsche Stimme. „Ihr beiden! Verschwindet! Ihr habt hier nichts zu suchen!“
Willem fuhr zusammen wie von der Tarantel gestochen. Heftig wandte er sich um und blickte zu Caligula, dem Sprecher, auf.
„Wann ich auf Deck erscheine und wann nicht, bestimme ich selbst!“ schrie er.
„Irrtum! Hier fliegen gleich die Fetzen!“
„Wo ist die Black Queen?“ schrie Willem mit überschnappender Stimme.
„Hier!“ rief sie und war mit zwei Schritten neben Caligula. Drohend blickte sie ihn an. Ihre Stimme klang scharf und schneidend. „Schluß jetzt! Ab mit dir, Caligula! Ich will kein Wort mehr hören!“ Diesmal war es ihr ernst. Sie hatte die Farce satt und war entschlossen, energisch durchzugreifen, falls die Streitereien nicht aufhörten. „Schieb ab, wird’s bald?“ fuhr sie den schwarzen Riesen an.
Caligula begriff, daß es keinen Sinn hatte, ihr zu widersprechen. Sie war von rasch aufbrausendem, jähzornigem Temperament und konnte fuchsteufelswild werden, wenn man wagte, ihr zu widersprechen. Dann wurde sie auch sehr schnell handgreiflich – und sie war stärker, als mancher Kerl es von ihr annahm. Sie konnte es mit jedem Mann aufnehmen, auch mit Caligula.
Er wandte sich ab und begab sich nach achtern zum Rudergänger, versäumte aber nicht, im Herumdrehen noch einen haßerfüllten, mordlustigen Blick auf Willem abzuschießen.
Die Queen winkte dem Holländer und dem kleinen Franzosen zu. „Hier herauf!“ Ihr Tonfall war weniger kalt, aber immer noch herrisch. Sie verlangte, daß man ihr gehorchte und duldete kein Zögern. Willem und Emile spürten es. Sie enterten das Achterdeck über den Backbordniedergang.
Der Mantel der katzenhaften Freundlichkeit war von der Queen abgefallen, sie zeigte ihr wahres Gesicht. Sie hatte es ohnehin satt, Willem Honig um den Bart zu schmieren, obwohl sie andererseits auch nicht plante, ihn auszubooten. Nur: Die Gegebenheiten verlangten ihre äußerste Härte und Entschlossenheit.
Sie wartete, bis die beiden