„Übrigens Flaschen“, sagte Dan, als er die ersten Bissen mit Wein heruntergespült hatte. „Ferris hat wieder einige Sätze Hölleneier gebastelt. Die Queen wird sich wundern, wenn wir sie auf die Decks ihrer Kähne feuern.“
„Aber sie hat auch aus den vergangenen Gefechten gelernt“, sagte Bill. „Wir sollten wirklich nicht zu zuversichtlich, sondern besser auf einen harten Kampf gefaßt sein.“
Dan war ernst geworden. „Das tue ich auch, Bill. Du kennst doch meine Flachserei. Ich ziehe den Teufel gern am Schwanz, aber ich weiß genau, was uns bevorsteht. Die Queen und Caligula gehören zu den gefährlichsten Feinden, die wir je bekämpft haben.“ Er stellte seine Flasche weg und stieß Bill mit dem Ellbogen an. „Siehst du, dort unten?“
„Die Todesbucht, nicht wahr?“
„Ja. Ich kann auch die ‚Vengeur‘ sehen. Teufel, Jean und Siri-Tong hätten sich bestimmt nicht ausgemalt, daß sie als Köder herhalten müssen.“
„Die Frage ist, ob die Black Queen anbeißt“, sagte Bill. „Wenn alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, läuft sie genau in die Falle. Und wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Hast du dich jemals gefragt, wie es geschehen kann, daß eine Frau so grausam ist?“
„Nein. Es gibt Frauen, die sich schlimmer aufführen als der wildeste und skrupelloseste Kerl.“
„Was würdest du tun, wenn sie dir im Duell gegenüberstehen sollte?“
„Ich würde sie töten“, erwiderte Dan, ohne zu überlegen. „Sie kennt keine Gnade. Ich bin der Ansicht, daß man in diesem Fall gleiches mit gleichem vergelten sollte.“
Während er sprach, hielt er angestrengt nach allen Seiten Ausschau. Nichts konnte seiner Aufmerksamkeit entgehen. Aber noch näherte sich kein Schiff Gran Cayman.
Die Windverhältnisse waren im Heraufziehen des neuen Tages unverändert. Ein zufriedenes Lächeln glitt über die Züge der Black Queen. In aller Frühe stand sie wieder auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“, warf einen prüfenden Blick auf den Stand der Segel und überprüfte den Kurs und die Position.
Die Entfernung nach Gran Cayman war auf fünfzig Meilen zusammengeschrumpft. Wenn der Wind nicht einschlief, konnte der Verband die Insel noch am Vormittag erreichen. Sie wandte sich um und warf einen Blick zurück zur „Aguila“, zur „Buena Estrella“ und zur „Vascongadas“. Auch dort schien alles in Ordnung zu sein. Die Schiffe hielten den Kurs und die Geschwindigkeit, es gab keine Verzögerungen.
Caligula enterte das Achterdeck. Die Queen begrüßte ihn mit einem harten Lächeln.
„Was treibt unser Freund Willem?“ fragte sie.
„Schläft.“
„Und Emile?“
„Der schläft in der Kombüse. Er scheint seine neue Aufgabe sehr ernst zu nehmen.“ Caligulas Miene war finster, er betrachtete den Holländer und den Franzosen nach wie vor als Störenfriede an Bord des Schiffes. Am liebsten hätte er sie ins Meer geworfen, aber er hielt sich mit seinen Wutausbrüchen zurück.
Die Queen hatte recht – noch brauchten sie die beiden. Aber was geschah, wenn sie Tortuga erreicht hatten? Vielleicht hatte er dann endlich Gelegenheit, auf seine Weise ein Wörtchen mit Willem Tomdijk und Emile Boussac zu reden.
Vor allem mit Willem wollte er abrechnen. Eine groteske Situation wie diese hatte es auf der „Caribian Queen“ noch nie gegeben. Ein dicker Mann, der obendrein eine Memme war, störte das Gleichgewicht. Das konnte nach Caligulas Überzeugung noch böse Folgen haben.
„Ich weiß, was du denkst“, sagte die Queen, die ihn nicht aus den Augen ließ. „Aber laß die Finger von Willem.“
„Unser Schiff ist kein Narrenhaus.“
„Natürlich nicht“, sagte sie scharf. „Aber spar dir deine idiotischen Bemerkungen. Ich weiß genau, was ich tue. Laß lieber die leeren Fässer auf die Kuhl mannen. Ich will auf Gran Cayman nicht mehr Zeit verlieren, als unbedingt erforderlich ist. Wir schaffen die Fässer an Land und füllen sie.“
„Ja. Und wer geht auf die Jagd?“
„Sechs Mann, du führst sie an. Im vertrauten Revier stöbert ihr genug Wild auf, das unseren Bedarf an Frischfleisch deckt. Die ‚Estrella‘ und die ‚Vascongadas‘ sind mit Fleisch auch noch ganz gut eingedeckt, es geht in erster Linie darum, unser Schiff und die ‚Aguila‘ zu versorgen.“
Caligula enterte auf die Kuhl ab. Er ließ alle notwendigen Vorkehrungen treffen, und schon kurze Zeit später waren nicht nur die „Caribian Queen“, sondern auch die drei anderen Galeonen zur Proviant- und Trinkwasserübernahme bereit. Jaime Cerrana und die beiden Männer, die als provisorische Kapitäne auf den spanischen Kriegsseglern eingesetzt worden waren, verständigten sich über ihre Toppgasten mit der Queen. Es wurde mit Flaggen signalisiert.
Die Stunden verstrichen jetzt schneller, die bevorstehende Ankunft auf Gran Cayman beschäftigte die Gedanken der Kerle. Man konnte sich ein wenig die Füße vertreten, die Jagd war eine willkommene Abwechslung. Vielleicht spendierte die Queen auch eine Extraration Rum, wie es in solchen Fällen oft geschah. Vielleicht wurde in der Todesbucht – zur Feier des Sieges in El Triunfo – eine rauschende Orgie mit den Siedlern abgehalten.
Emile Boussac erschien blinzelnd auf der Kuhl und trat ans Schanzkleid. Zeigte sich ein Schiff an der Kimm? Er seufzte. Nein, es gab keine Hoffnung. Er konnte die fünfzig Mädchen in den Wind schreiben. Er würde ihnen nicht begegnen, einen solchen gleichsam unerhörten Zufall gab es nicht. Jemand anderes würde die Mädchen kaufen – ein Gedanke, der ihn fast um den Verstand brachte.
Willem Tomdijk hatte sich schlaftrunken bis zum Achterdecksschott geschleppt. Er öffnete es und sah Emile am Schanzkleid stehen.
„Emile!“ rief er. „Komm sofort her!“
Mit leicht verwundertem Blick begab sich der Franzose zu dem Dicken. Dieser führte ihn in die Kapitänskammer, ließ sich ächzend auf seinem Lager nieder und sagte klagend: „Ich warte ständig auf dich, aber du verkriechst dich im Vordeck. Was ist los? Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen? Hast du was gegen mich?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Emile. „Aber ich muß immer an mein Schiff und die Mädchen denken. Außerdem habe ich jetzt die verantwortungsvolle Aufgabe, dem Koch, diesem Giftmischer, auf die Finger zu schauen.“
„Das heißt – das Essen wird besser?“
„Heute gibt es eine erlesene Bouillabaisse“, entgegnete Emile stolz.
„Endlich. Ich sterbe vor Hunger. Kannst du mir nicht das Frühstück bringen?“
„Ich sorge dafür, daß du es kriegst“, erwiderte der kleine Franzose ernst. Er erkannte, daß sich der Dicke in einem äußerst kritischen Zustand befand. Da war es nur ratsam, ihm gut zuzureden.
„Dieser Caligula führt was gegen mich im Schilde“, sagte Willem mit ärgerlicher, trotziger Miene. „Am liebsten würde er mir die Kehle durchschneiden, glaube ich. Er versucht, die Queen gegen mich aufzuhetzen. Heute nacht wollte sie mich besuchen, hat es aber nicht getan. Das ist alles seine Schuld.“
„Ich werde ein waches Auge auf ihn haben“, versprach Emile. Dabei fürchtete er Caligula noch mehr als die Pest. Nie würde er sich offen mit ihm anlegen – er war nicht lebensmüde.
Ein Ruf, der aus dem Großmars der „Caribian Queen“ ertönte, lenkte sie ab.
„Gran Cayman voraus!“
Bewegung entstand an Deck, das Trappeln von Schritten war zu vernehmen. Die Kerle stürzten auf die Back und ans Schanzkleid der Kuhl,