„Bei uns auch nur ein paar Kratzer!“ brüllte Thorfin Njal. „Aber wie ist bei dir die Lage, Hasard?“
„Geringe Gefechtsschäden“, erwiderte der Seewolf. „Keine Toten, keine Verwundeten, nur ein paar Beulen und Abschürfungen. Wir sind noch voll einsatzbereit.“
„Deck!“ schrie Dan O’Flynn, der zu Big Old Shane in den Großmars der „Isabella“ aufgeentert war. Sofort hatte er mit dem Kieker Umschau gehalten, um sich von dem Zustand des Feindes ein Bild zu verschaffen. „Die Schiffe der Queen sind beschädigt, alle vier! Aber sie scheinen noch manövrierfähig zu sein! Am schlimmsten sieht es auf der ‚Caribian Queen‘ aus!“
„Ja“, sagte Ben Brighton. „Wir haben ihnen ganz schön eingeheizt. Ich frage mich aber, ob es überhaupt etwas genutzt hat.“
„Die Katze läßt das Mausen nicht“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn mit Leichenbittermiene. „Und der Schlagetot läßt das Töten nicht. Wenn sie Luft geschnappt hat, holt sie zu ihrem nächsten Schlag aus. Achtung, Männer, der Tanz ist noch nicht vorbei.“
Diesmal sollte er sich irren. Gut eine Stunde verstrich, ohne daß auf beiden Seiten nennenswerte Aktivitäten ergriffen wurden. Pausenlos beobachteten die Parteien sich gegenseitig, jeder war auf einen Ausfall des anderen vorbereitet. Die Kanonen waren wieder feuerbereit, die Männer hockten auf ihren Gefechtsstationen.
Dennoch geschah nichts. Die Wut der Black Queen hatte sich vorerst gelegt. Sie wägte alle Gesichtspunkte der Lage ab und entschied sich für einen Kompromiß. Sie verzichtete auf eine Entscheidung. Sie wußte, daß der Seewolf ihr nicht folgen würde, da er den Kampf mit der „Isabella“ allein nicht aufnehmen konnte. Andererseits lohnte es sich auch nicht, ihn erneut anzugreifen, denn die „Isabella“, die „Le Vengeur“ und das schwarze Schiff bildeten eine kampffähige Einheit, die nicht zu brechen war.
Deshalb hielt die Queen es für richtig, Gran Cayman zu verlassen. Das Proviant- und Wasserfassen mußte auf sich warten lassen, sie war gezwungen, sich ihre Vorräte anderswo zu suchen.
Wichtig war jetzt für sie, Kurs auf Tortuga zu nehmen. Die Siedler von El Triunfo mußten in Sicherheit gebracht werden. Diese Männer hatten für ihre Zukunftspläne eine größere Bedeutung als ein sinnloses Gefecht mit einem ebenbürtigen Gegner.
Ratlos und einigermaßen verwirrt beobachteten die Männer der „Isabella“ und ihre Gefährten von der „Le Vengeur“ und „Eiliger Drache“, wie an Bord der „Caribian Queen“, der „Aguila“, der „Vascongadas“ und der „Buena Estrella“ jetzt wieder die Segel gesetzt wurden. Der Wind wehte nach wie vor aus Osten und briste jetzt etwas auf. Die „Caribian Queen“ setzte sich an die Spitze ihres Verbandes, die drei anderen Galeonen schlossen sich ihr in Dwarslinie an, leicht ramponiert, aber – wie Dan richtig erkannt hatte – noch voll seetüchtig und manövrierfähig.
„Sir“, sagte Shane, der inzwischen aus dem Großmars abgeentert war. „Ist das dein Ernst? Du läßt die Queen wirklich ziehen?“
„Überlege mal, Shane. Haben wir noch eine Chance gegen sie?“
„Mit den Pulverpfeilen und den Höllenflaschen schon. Wir könnten ihr auch ein paar Brandsätze aus Thorfins Depot zwischen die Kiemen feuern.“
„Das hat keinen Wert“, sagte Ferris Tucker. „Nur die ‚Isabella‘ reicht nicht aus. Die Hunde würden uns zusammenschießen. Betrachte die Dinge mal ein bißchen sachlicher.“
„Wir haben keine andere Wahl“, sagte der Seewolf. „Wir müssen den Verband abziehen lassen.“
„Schon gut, ich sehe es ein“, sagte der graubärtige Riese.
„Aber das war kein Kampf nach unserem Geschmack“, sagte Roger Brighton. „Ihm fehlte die Würze.“
„Nur die Ruhe“, sagte sein Bruder ironisch. „Die Würze kriegst du noch zu schmecken, mein Junge, und das nicht zu knapp, wenn mich nicht alles täuscht.“
„Richtig“, sagte der Seewolf. „Wir sind gezwungen, hierzubleiben, unsere Verwundeten zu versorgen und die Schäden an der ‚Le Vengeur‘ und dem Schwarzen Segler zu beheben. Dann sehen wir weiter.“
„Daß das letzte Wort in dieser Geschichte noch nicht gesprochen ist, steht schon jetzt fest“, fügte Old O’Flynn hinzu. „Und ich schätze, wir sehen die Queen früher wieder, als uns lieb ist.“
„Der Teufel soll sie holen“, sagte der Seewolf. „Wir haben in diesen Breiten nicht eher Ruhe, bis wir sie besiegt haben.“
ENDE
Frank Moorfield
1.
Auf Tortuga bahnte sich an jenem Novembertag im Jahre des Herrn 1593, an dem die Sonne wie ein alles versengender Feuerball am tiefblauen Himmel stand, ziemlicher Ärger an.
Doch davon ahnte Diego, der dicke Wirt der Felsenkneipe „Zur Schildkröte“, vorerst nichts. Er war noch voll damit beschäftigt, einem betrunkenen Kerl zu beweisen, daß er sein Handwerk in jeder Beziehung verstand. Dieser verluderte Bursche hatte doch tatsächlich gewagt, ihm die Faust vor die Brust zu donnern, weil er sich geweigert hatte, ihm noch mehr Wein auf Pump zu kredenzen.
Der kleine, etwas bullige Mann geiferte vor Wut.
„Dir werde ich’s zeigen, du verdammter Geizkragen!“ schrie er. „Erst haue ich dich in Stücke, dann nehme ich mir dieses stinkende Rattenloch vor! Du wirst noch darum winseln, mir einen Humpen Wein spendieren zu dürfen!“
Diegos Schweinsäuglein verengten sich.
„Eins sage ich dir, du mickrige Saufeule: Diegos Kneipe mag – gemessen an ihren Gästen – eine Räuberhöhle sein. Aber sie ist kein stinkendes Rattenloch, das solltest du dir merken!“
Bevor der Betrunkene den Kopf senken konnte, um ihn dem Wirt in den mächtigen Bauch zu rammen, riß dieser die Arme hoch und trieb ihn mit raschen und wuchtigen Hieben vor sich her. Schließlich packte er ihn am Kragen seines dreckigen Hemdes und verpaßte ihm einen gewaltigen Fausthieb unter das Kinn.
Der Radaubruder ächzte wie ein vom Sturm gebeuteltes Schiff, taumelte zurück und stieß gegen den Tisch, an dem er noch vor wenigen Minuten gesessen hatte. Das grobgezimmerte Möbelstück stürzte um, und der wütende Zecher ging mit ihm zu Boden. Die wenigen Schlucke Rotwein, die sich noch in seinem Humpen befunden hatten, flossen über den kühlen Steinboden.
Diegos feistes Gesicht verzog sich zu einem schadenfrohen Grinsen.
„Gleich wirst du sehen, wo Schnorrer und Ratten hingehören“, versprach er. „Und wenn du dich noch mal hier blicken läßt, stopfe ich dich kopfüber in ein Essigfaß. Da kannst du umsonst saufen, soviel du willst.“
Der Wirt der „Schildkröte“, wußte, wie man eine Kneipe so richtig „ausmistete“, schließlich gehörte das zu seiner täglichen Arbeit. Außerdem mochte er es nicht, wenn man seine inniggeliebte Goldgrube als „stinkendes Rattenloch“ bezeichnete, auch wenn es sich nur um eine tief in den Felsen reichende Höhle handelte, in der es zahlreiche Räume, Gänge und Nischen gab.
Unter dem lauten Gegröle der anderen Zecher stapfte er auf den Kerl zu, der benommen am Boden lag, packte ihn kurzerhand am Gürtel und schleifte ihn zur Tür hinaus. Dort warf er ihn schwungvoll in die Gosse.
Nachdem Diego die Hände an seiner speckigen Schürze abgewischt hatte, wollte er