"Die Bandenmitglieder — die Burschen um Michael Krawulke — sind verschwunden", berichtete ich ihm, als wir gegen Morgen in Ottos Kneipe saßen. Im Hintergrund saßen einige Beamte der Inspektion A. Vor dem Lokal drängten sich die Reporter und eine Handvoll Neugierige. Der Wirt selbst war verschwunden, genau wie Michael Krawulke und seine Leute.
"Die befürchten mit Recht, dass ihre Mitwisserschaft ihnen eine Menge Ärger einbringen wird", sagte ich.
"Sie sind erst mal auf Tauchstation gegangen, um abzuwarten, wie der Fall sich entwickelt."
"Immerhin haben wir Ernst Fuchs", sagte Frantzen.
"Stimmt, aber er hat angeblich keine Ahnung, wo Karla Klausner versteckt gehalten wird."
"Glaubst du, dass er die Wahrheit sagt?"
"Ja. Für ihn ist die Geschichte gelaufen. Er kann nur noch daran interessiert sein, für sich Pluspunkte zu sammeln. Schon deshalb würde er uns das Versteck nennen, wenn er es wüsste."
Frantzen sah bedrückt aus. "Wir stecken in der Klemme. Die beiden einzigen, die das Versteck kennen, sind tot."
Das Telefon klingelte. Alle starrten auf den Apparat. Ich erhob mich und nahm den Hörer ab.
"Ja?", fragte ich.
"Sind Sie’s, Raboi?", tönte es mir entgegen. Ich erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte Michael Krawulke.
"Wo sind Sie, Michael? Wir brauchen Sie. Kommen Sie sofort her", sagte ich.
"Bedaure, Raboi", meinte er. "Ich habe keine Lust, mich von Ihnen in die Pfanne hauen zu lassen."
"Wenn Sie abzuhauen versuchen, machen Sie damit alles nur viel schlimmer."
"Moment, Schnüffler. Ich möchte, dass wir die ollen Kamellen vergessen. Das ist doch uninteressant. Legen Sie keinen Wert darauf, das Fräulein Karla wiederzukriegen?"
Ich merkte, wie sich alles in mir spannte. Im Lokal war es völlig still. Alle blickten zu mir her.
"Wo ist sie?" fragte ich.
"Ich kann es mir denken", sagte er vorsichtig. "Ich glaube, ich hätte eine Chance, sie zu finden."
"Dann sagen Sie gefälligst, was Sie wissen."
"He, Sie vergreifen sich im Ton!"
"Wo ist das Fräulein?"
"Ich sage nicht, dass ich es weiß, aber ich bilde mir ein, sie aufstöbern zu können."
"In welchem Zeitraum?"
"Das hängt von Ihnen ab."
"Wieso?"
"Gute Bezahlung wird meinen Eifer anheizen", spottete er.
"Nennen Sie eine Summe", forderte ich ungeduldig.
"Zweihunderttausend", sagte er.
Ich machte eine kurze Pause. Mir war klar, dass er nicht spaßte, aber ich fragte trotzdem mit gebotener Schärfe: "Soll das ein Witz sein?"
"Reden wir offen", meinte er. "Die Sache mit Weissner und Krause wird mich in Schwierigkeiten bringen. Mich und die anderen. Ich will verduften. Ohne Geld geht das nicht. Die Kohle wird mir helfen, mich abzusetzen."
"Sie haben den Verstand verloren, Michael."
"Im Gegenteil. Ich benutze ihn. Sie haben die Wahl, Schnüffler", meinte er.
"Wieso ich. Von mir können Sie kein Geld kriegen."
"Das weiß ich. Aber Sie werden meine Forderung weiterleiten. Zweihunderttausend Reichsmark! Keinen Pfennig weniger. Vergessen Sie nicht, worum es dabei geht..."
"Es geht vor allem um Erpressung", sagte ich. "Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was darauf steht."
"Verschonen Sie mich mit diesem albernen Quatsch", raunzte er. "Das nächste Gespräch wird kürzer sein. Es wird von einem anderen Anschluss erfolgen und genaue Anordnungen enthalten. Für heute muss Ihnen die Festlegung der Summe genügen." Es klickte in der Leitung. Der Teilnehmer hatte aufgelegt.
Ich hängte ein und wandte mich um. "Das war Michael Krawulke", sagte ich. "Er weiß, wo Karla ist — und fordert für sein Wissen Zweihunderttausend!"
"Der spinnt, noch nicht mal in Inflationsgeld!", sagte jemand im Raum, aber es klang ziemlich bedrückt und resigniert.
Ich wandte mich an Inspektor Keller, der die Untersuchungen leitete.
"Michael Krawulke ist für viele Polizisten dieser Stadt kein unbeschriebenes Blatt. Geben Sie sofort einen Rundspruch an alle Streifenwagen und Reviere durch. Ich muss wissen, ob und wo Michael Krawulke gesehen wurde. Lassen Sie ihn bitte verhaften, falls er sich irgendwo zeigen solltet..."
Zehn Minuten später trat Inspektor Keller an unseren Tisch. "Sie haben Glück", sagte er. "Die Besatzung eines Streifenwagens hat ihn gesehen, beim Telefonieren. Er stand in der Telefonzelle Ecke Tietz- und Borsigwalder."
Er breitete einen Stadtplan vor uns aus, tippte mit der Spitze seines Stiftes darauf und sagte: "Hier, das ist die Stelle. Gar nicht sehr weit von hier entfernt."
"Komm", sagte ich zu Frantzen und verließ mit ihm das ‚Knuff‘.
Zehn Minuten später hatten wir die von Inspektor Keller beschriebene Kreuzung erreicht. Auf der stark befahrenen Berliner Straße herrschte selbst jetzt, um fünf Uhr morgens, noch eine Menge Betrieb. Wir warfen einen Blick ins Innere der Telefonzelle, aber außer einem zerrissenen Fernsprechverzeichnis und einigen Zigarettenkippen war nichts Nennenswertes darin zu finden.
"Warum hat er ausgerechnet von hier telefoniert?", wunderte sich Frantzen.
"Ich wette, er ist in der Nähe untergeschlüpft", sagte ich.
"Hier? Die Gegend macht keinen schlechten Eindruck. Fast schon gutbürgerlich, zumindest zum Max-Vessier-Park runter", sagte Frantzen.
"Vielleicht wohnt er hier bei einer Freundin."
"Ich bezweifle, ob er sich in seiner gegenwärtigen Lage darauf einlässt, dass Vertrauen einer Frau zu strapazieren", spottete Frantzen.
"Ich wette, er weiß, wo Karla sich aufhält. Vielleicht hat er sogar schon mit ihr gesprochen", sagte ich und musterte die umliegenden Häuser. "Möglicherweise wird sie keine fünfzig oder hundert Meter von uns entfernt festgehalten..."
"He, wohin gehst du?", rief Frantzen mir zu, als ich plötzlich die Straße überquerte. Er folgte mir und holte mich erst ein, als ich die Tür eines um diese Zeit geschlossenen Lokals erreichte. Im Innern brannte noch das Licht. Ich rüttelte an der Tür. Hinter der Scheibengardine des Eingangs tauchte ein Schatten auf. Die Gardine wurde beiseitegeschoben. Ein etwa dreißigjähriger Mann mit rundem Gesicht und kurzgeschorenem Haar starrte uns an. Frantzen zeigte ihm einen Zehn-Mark-Schein an der Glasscheibe. Der Mann schloss die Tür auf.
"Ich muss aufpassen, Leute, ich habe heute die Polizeistunde überschritten", knurrte er. "Aber nur um kurze Zeit. Was kann ich für euch tun?"
"Wir suchen Michael Krawulke", sagte ich. "Kennen Sie ihn?"
"Krawulke ist ein gebräuchlicher Name. Michael Krawulke? Nein, in dieser Zusammensetzung habe ich ihn noch nicht gehört", sagte der Mann. Er trug die weißen Hosen eines Kochs und hatte einen blau-weiß gestreiften Pullover über sein Hemd gezogen.
"Gehört Ihnen das Lokal?", fragte ich.
"Ja. Es ist eine gute Ecke, aber ich habe Personalsorgen. Muss praktisch alles allein machen. Was hat dieser Krawulke denn angestellt?"
"Das sage ich Ihnen gleich, aber vorher möchte ich Ihnen das Aussehen des Mannes schildern", sagte ich. "Hören Sie bitte genau zu."
Ich lieferte ihm eine präzise Beschreibung des