"Wer sind Sie wirklich, mein Fräulein?", fragte ich scharf.
Die Blonde musterte mich amüsiert.
"Dreimal dürfen Sie raten, Robert."
Ich zuckte zusammen.
"Robert?"
"Ja. Oder muss ich Herr Raboi sagen? Wir sind Kollegen."
Ich lenkte den Wagen an den Straßenrand und stoppte. Ich schaute sie an. "Kollegen?", echote ich ungläubig.
Die Blonde lächelte immer noch. Sie verzog keine Miene.
"Haben Sie noch nichts davon gehört, dass Herr Gennat seit kurzem auch weibliche Ermittler beschäftigt?" Gennat, der legendäre Chef der Kriminalpolizei in Berlin...
Sie schaute mich leicht belustigt an.
"Doch, das weiß ich. Ich kenne auch ein paar dieser Damen. Sie habe ich darunter noch nicht gesehen."
"Herr Fischbein hat mich geschickt. Genügt Ihnen das?" Herr Fischbein war mein direkter Vorgesetzter. Aber vielleicht ließ sie einfach nur seinen Namen fallen, um Vertrauen zu erwecken.
"Nein", sagte ich. "Würden Sie sich bitte ausweisen?"
Ich erwartete nicht wirklich, das sie ein Papier vorweisen würde und wurde von ihr auch nicht enttäuscht.
"Bedaure", meinte sie, "aber Herr Fischbein hat mir empfohlen, alles, was meiner falschen Identität schaden könnte, im Büro des Präsidiums zu lassen."
"So, meinte er das?", murmelte ich. "Und warum hat er mir nichts von Ihnen erzählt?"
"Sie leben erst seit kurzem wieder in Berlin. Aus Tarnungsgründen haben Sie keine Verbindung mit dem Präsidium aufgenommen. Deshalb können Sie nicht wissen, dass Fischbein es für ratsam hielt, Ihre Arbeit durch meinen Einsatz unterstützen zu lassen. Sie müssen zugeben, dass mein Erscheinen eine brisante Situation entschärft und sich zu Ihren Gunsten gewendet hat."
Ich starrte sie an. Das amüsierte Lächeln um ihre Mundwinkel blieb. Ich senkte den Blick, riss ihn aber sofort wieder hoch, als er sich in die üppigen Tiefen der ausgeschnittenen Bluse abzugleiten drohte.
"Wie heißen Sie wirklich?", wollte ich wissen.
"Karla Klausner", erwiderte die junge Frau. "Meine Freunde nennen mich aber nur KK."
"Ich sehe keinen Anlass, mich dieser Anrede zu bedienen", brummte ich ein wenig verstimmt.
"Schade", spottete sie. "Ich bewundere Sie nämlich sehr."
"Sie kennen mich doch kaum!"
"Ich habe schon viel von Ihnen gehört."
"Das ist betrüblich", stellte ich fest. "Ein echter Jammer. Ein Sonderermittler, der ins Gespräch kommt, ist schon so gut wie erledigt. Je anonymer wir bleiben, desto besser."
"Um anonym zu bleiben, hätten Sie um eine frühe Versetzung in die Registratur des Präsidiums bitten müssen", spottete sie und schaute mich dabei mit einem kecken Augenaufschlag an.
"Kommen Sie direkt von der Ausbildung?," fragte ich weiter.
"Ja. Was dagegen?"
"Das höre ich von Ihnen schon zum dritten Mal. Es scheint eine Standardformel Ihres Wortschatzes zu sein."
"Stimmt. Was dagegen?"
"Viermal", sagte ich. "Ab jetzt zähle ich mit. Vielleicht hilft das, Sie davon zu kurieren."
"Wollen wir nicht weiterfahren?"
Ich tat, wozu sie mich aufforderte, und bemühte mich, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Es traf zu, das Karla Klausners Auftauchen mir geholfen hatte, aber es war keineswegs sicher, ob das so bleiben würde.
"Ab sofort wird Ihre Gegenwart alles nur komplizierter machen", überlegte ich laut. "Ist Ihnen klar, dass wir in der kleinen Mansarde wie ein Ehepaar zusammenleben müssen?"
"Das weiß ich", spottete sie.
"Das Bett ist ein wenig schmal, nicht wahr? Und erst die Couch..."
Sie rollte mit den Augen.
Ich spürte ein seltsames Kribbeln auf der Haut. "Mir genügt es."
"Mir auch."
"Ich schlafe auf der Couch", verkündete ich.
"Sind Sie prüde?"
Was Frauen sich neuerdings herausnahmen! Die Extravaganz dieser Jahre zeigte sich nicht nur in den glamourösen Varietés, den vielen Tanzlokalen überall in der Stadt und in den Revuetheatern, wo man mit Federboa, Strumpfhalter und Zigarettenspitzen auftrat. Nein, auch in den privaten Salons nahmen sich die Damen nicht nur der feinen Gesellschaft immer mehr heraus.
"Sind Sie vom alten Schlag?"
Ich merkte, dass ich sauer wurde. Das Fräulein hatte Klasse, sogar Extraklasse, aber ich fühlte, dass sie mit ihrer weiblichen Ausstrahlung und ihrem forcierten Spott ein Element in diesen Fall trug, das meine Arbeit zu stören drohte. Ich war nicht nach Berlin zurückgekehrt, um zu flirten. Ich wollte den Tod einer jungen Frau und das Verschwinden eines Geheimnisträgers aufklären. Ob Fischbein bedacht hatte, dass Karla Klausner mich leicht von diesem Vorhaben ablenken konnte?
"Warum", fragte ich giftig, "haben Sie sich für diese Bluse entschieden? Sind Sie Frischluftfanatikerin, oder gehören Sie zu den Freisonnenländern?"
Ich spielte auf diesen Verein in Motzen aus dem Berliner Umland an.
"Gefällt Ihnen das hübsche Stück nicht? Ich habe lange suchen müssen, bis ich sie fand. Ich bin ziemlich sicher, dass sie mitgeholfen hat, die Burschen in dem Lokal friedlich zu stimmen. Als Blaustrumpf wäre ich wohl nicht so gut angekommen. Außerdem ist es genau das Modell, dass die Marie Dietrich auch trägt!"
"Mich regt sie auf. Und Sie sind nicht die Marlene!", korrigierte ich sie.
"Bezieht sich das auf Ihren dezenten Geschmack oder Ihre erotischen Vorstellungen?", fragte sie spöttisch.
Ich trat so scharf auf die Bremse, dass Karla um ein Haar mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geflogen wäre. Wir standen an einer auf Rot gesprungenen Ampel.
"He, muss das sein?", fragte sie vorwurfsvoll.
"Sie reagieren gut", stellte ich zufrieden fest.
"Jeder andere wäre in diesem Fall mit seiner Birne gegen die Scheibe geknallt."
"He, was soll das sein? Eine Prüfungsfahrt oder so was Ähnliches?", fragte sie.
Ich grinste. "Ich muss wissen, mit wem ich es zu tun habe."
"Das hoffe ich Ihnen bei passender Gelegenheit überzeugend beweisen zu können."
"Wo denn?", fragte ich scheinheilig. "Heute Abend beim trauten Beisammensein in der Mansarde?"
Halt dich zurück, Robert, bremste ich mich.
Jetzt begehst du den Fehler, den du ihr gerade vorgeworfen hast. Du versuchst zu flirten. Kümmere dich lieber um deinen Auftrag, alter Holzkopf.
"Darüber lässt sich sicher diskutieren", sagte sie und ihre Stimme entwickelte dabei einen besonderen Klang.
Ich musste zweimal um den Bahnhof kurven, ehe ich einen Parkplatz fand. Hier war es immer voll. Die Leute liefen geschäftig hin und her oder versuchten eilig den Bahnhof zu erreichen, um in die Sommerfrische zu entschwinden, was immer moderner wurde und ein Zeichen zur Schau gestellten Luxus war.
Wir stiegen aus, holten den Koffer und fuhren dann zurück. Diesmal redeten wir nur von unserer Aufgabe.
"Ich habe Frank Steinfurts Personalakte studiert... und auch die Aussagen seiner Kollegen", meinte die junge Dame neben mir auf dem Beifahrersitz.