Das Verrückte war, dass Frank Steinfurt in diesem Haus gewohnt hatte. In der Mansarde. Etwa drei Wochen lang, betreut von seiner Freundin Erika Fuchs.
Er war niemals ausgegangen. Er hatte sich praktisch in dieser Mansarde versteckt gehalten. Behutsame Recherchen hatten ergeben, dass niemand in diesem Viertel ihn jemals zu Gesicht bekommen hatte. Das schloss auch die Männer im Lokal ein. Nur deshalb hatte ich es wagen können, mich ihnen gegenüber als Franky Steinfurt auszugeben.
Erika Fuchs, Steinfurts Freundin, war am 11. August tot aufgefunden worden.
In einer kleinen Gasse, die nur wenige Minuten von hier entfernt lag. Bei der Überprüfung ihrer Mansardenwohnung hatte man nur noch feststellen können, dass Frank Steinfurt mit dem Fräulein darin gelebt hatte.
Seit dem Tod von Erika Fuchs war Frank Steinfurt wie vom Erdboden verschluckt.
"Du weißt nicht, was du redest", sagte ich zu Michael Krawulke und setzte eine ärgerliche Miene auf.
"Du bist nicht Franky Steinfurt", erklärte er selbstsicher.
"So?" fragte ich lauernd. "Kennen wir uns beide? Hast du schon mal mit mir gesprochen? Ich habe bis jetzt noch mit keinem von euch je zu tun gehabt — oder?"
Ich versuchte lässig zu wirken, als ich mit meiner rechten Hand eine Bewegung machte und die Männer am Tisch einschloss.
"Das stand in der Zeitung", höhnte er. Seine Augen verrieten einen lauernden Ausdruck, aber da war noch etwas anderes, eine winzige flackernde Unsicherheit.
Einer der Männer rührte sich.
"Daher hast du deine Weisheit bezogen. Was versprichst du dir von diesem idiotischen Auftritt? Steinfurt wäre niemals wie du in diese Kneipe gekommen. Niemals! Er war ein Phantom. Ein Mann, der die Menschen scheute. Nur Erika hat ihn gekannt — und die ist tot."
"Ich weiß", sagte ich und schaute einen blassen, hageren Burschen an, der mich aus schmalen dunklen Augen musterte.
"Du bist Ernst, ihr Bruder."
Ernst Fuchs zog die Luft durch die Nase und hob das Kinn.
"Ja", erwiderte er. "Ich bin Ernst. Ich bin der Mann, der Erikas Tod rächen wird. Mein Wort darauf."
Die anderen schwiegen weiterhin. Sie hielten die Blicke gesenkt.
Ernst Fuchs machte sich etwas vor. Er hatte einfach nicht den Mumm und die Fähigkeit, seine Worte in die Tat umzusetzen. Als einziger der fünf war er an den Suff geraten. Es gab kaum noch Stunden, wo er richtig nüchtern war. Er hatte sehr an seiner Schwester gehangen. Ihr Tod hatte ihn zum Trinker werden lassen.
"Wenn du Steinfurt bist", sagte er in der langsamen, etwas schwerfälligen Art eines Mannes, der Mühe hat, seine Zunge zu kommandieren, "wirst du mir auch sagen können, warum sie sterben musste. Hast du es getan?"
"Nein", sagte ich fest und ohne zu zögern.
"Sprich nicht mit ihm", fuhr Michael Krawulke dazwischen.
"Dieser Kerl ist ein Simulant. Entweder ist er ein Polizist, der uns auszuquetschen will, oder einer von diesen oberschlauen Reportern, die Futter für ihre Schlagzeilen suchen."
Er schlug ganz plötzlich zu. Ich hatte ihn wohl doch unterschätzt. Sein linker Haken streifte mich noch am Kinn, obwohl ich reflexartig zurück zuckte. Ich geriet ins stolpern. Er setzte nach und traf mit der Rechten meine Deckung.
Ich konterte und mein Treffer machte ihn wütend. Er ging mit beiden Fäusten auf mich los, aber das war, als liefe er in ein offenes Messer.
Ich deckte ihn mit kurzen, trockenen Haken ein. Die anderen waren aufgesprungen, aber keiner kam auf die Idee, in den Kampf einzugreifen.
Ich erwischte Krawulke voll am Kinn. Er kippte über einen Stuhl und ging mit dem Sitzmöbel zu Boden.
Doch er kam wieder auf die Beine.
Michael Krawulke hatte Fäuste wie Dreschflegel, aber ich gab ihm keine Chance, die nächste Runde zu gewinnen. Er hatte vermutlich längst begriffen, dass er auf verlorenem Posten stand, aber er war einer von diesen dickköpfigen Burschen, die niemals aufgeben. Ich ließ ihn kommen. Solange die anderen sich nur als neugierige und verblüffte Zuschauer betätigten, bestand für mich keine Gefahr. Und diese wurden weniger – denn der Raum leerte sich. Nicht jeder wollte in eine Kneipenschlägerei hineingezogen werden.
"Schwein!", keuchte er leise. "Mich verschaukelst du nicht."
Ich traf ihn ein zweites Mal voll auf die Glocke.
Er fiel um und blieb schwer atmend liegen. Diesmal brauchte er eine ganze Minute, um sich zu erholen. Als er mich zum dritten Mal angreifen wollte, kam die Blonde herein. Sie war ein fleischgewordener Traum aus langen Beinen, seidig glänzendem Haar und provozierenden Kurven und sie schien direkt aus einem der vielen Revuetheater zu kommen, die überall in der Stadt wie Pilze aus dem Boden schossen.
Die Faust meines Gegners blieb buchstäblich in der Luft hängen. Die Suffköppe am Tresen vergaßen, ihn anzufeuern. Sie musterten aus weit aufgerissenen Augen die Blonde, als würde sie ihnen Atembeschwerden verursachen.
Die Frau marschierte geradewegs auf mich zu. Das Kreisen ihrer Hüften und die schwingenden Bewegungen in ihrem engen Charleston-Kleid brachten mich zum Blinzeln.
"Franky, Liebling", hauchte sie mit dunkler, samtiger Stimme. "Da bin ich endlich."
8
Das haute mich um. Doch nicht nur mich – es lenkte alle anderen ab von einem weiteren Faustkampf-Runde. Ich versuchte kein ratloses Gesicht zu machen.
Wer war die Blonde, und was brachte sie dazu, auf mein Spiel einzugehen?
Die Blonde blieb dicht vor mir stehen.
Ihr Parfümduft traf mich härter, als das bisher Michael Krawulkes Fäuste geschafft hatten. Ich warf einen kurzen Blick auf meinen Gegner. Er atmete wie jemand, der seine Luftzufuhr mit Hilfe einer Fahrradpumpe regelt.
"Küss mich, Liebling", flüsterte sie.
Ich starrte auf ihren weichen, schwellenden Mund und sah dahinter das Blitzen ihrer gleichmäßigen weißen Zähne.
Was für eine Frau! Auf welcher Seite stand sie, und was brachte sie dazu, mir zu Hilfe zu eilen? Ich war sicher, sie noch nie zuvor in meinem Leben gesehen zu haben.
Aber das Ganze passte mir durchaus in den Kram. Wenn man in diesem Kreis bestätigt bekam, dass ich tatsächlich der legendäre Franky Steinfurt war, konnte das meine Aufgabe nur erleichtern.
Mein