Noch während ich mir überlegte, was zu tun sei, um dieses Ziel zu erreichen, stand Steinfurt auf.
"Ich muss jetzt gehen", sagte er und kramte in seiner Tasche nach Kleingeld.
"Ich komme mit", erklärte ich.
"Das werden Sie schön bleibenlassen!"
Ich lächelte. "Wollen Sie mich daran hindern, dass ich Sie begleite?"
"Nein, aber Sie verplempern damit nur Ihre Zeit. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen. Sie kennen meinen Namen, Sie wissen sogar, für wen ich arbeite. Soll ich Ihnen noch meine Schuhgröße oder die Marke meiner Unterwäsche mitteilen?"
Sein Spott beeindruckte mich nicht.
Ich spürte, wie aufgesetzt das Ganze war, und dachte nicht daran, mich von Steinfurt abschütteln zu lassen. In diesem Moment bewegte sich der Filzvorhang. Ich sah nicht, wer die Bewegung verursachte, aber ich spürte die plötzliche Gefahr, in der ich mich befand. Noch ehe ich es schaffte, mich darauf einzustellen, hörte ich ein scharfes, trockenes "Plopp", das sich mit einem seltsamen Schmerz verband und eine jähe Kraftlosigkeit in meine Knie schickte.
Ganz langsam brach ich zusammen, fand keinen Halt am Tisch, noch an dem Thekenhocker, den ich nur umwarf und merkte, wie sinnlos es war, mich gegen die aufkommende Ohnmacht zu stemmen. Dunkle Wogen überschwemmten mich. Ich verlor das Bewusstsein.
14
Als ich wieder zu mir kam, ruhte ich in einer Kreuzung von Büro und Lagerraum auf einer Couch. Am Fußende der Couch saß der Wirt und rauchte eine Zigarre.
"Na, bitte", sagte er, ohne das Gesicht zu verziehen, "da wären wir ja wieder. Weshalb sind Sie denn umgekippt, Franky?"
Ich versuchte mich langsam aufzurichten, aber das schmerzhafte Hämmern, das dabei hinter meiner Stirn einsetzte, brachte mich rasch dazu, wieder die alte Position einzunehmen.
Ich schielte auf meine Uhr. Ich konnte höchstens zehn Minuten ohnmächtig gewesen sein. Ich spürte eine leise Übelkeit, aber das störte mich nur wenig.
"Was ist eigentlich passiert?", fragte der Wirt in betonter Schuldlosigkeit.
"Das möchte ich gern von Ihnen wissen."
"Als ich hereinkam, lagen Sie vor der Theke auf dem Boden. Ich kriegte einen Mordsschreck. Ich dachte schon..." Er führte den Satz nicht zu Ende und ließ die Zigarre in den anderen Mundwinkel wandern. Wieder war sie erloschen. Der Mann nuckelte einfach nur an... Zigarren!
"Was dachten Sie?", drängte ich. Ich hatte weiter etwas Mühe klar zu sprechen.
"Na, dass es Sie erwischt hätte. Nach der Geschichte mit Erika ist man hier auf alles gefasst."
"Wer ist ›man‹?", wollte ich wissen.
"Na, ich und die anderen. Oder die anderen und ich, ganz wie Sie wollen. Michael und seine Freunde."
Ich registrierte den abgestanden Gestank nach Tabak, einer Dunstwolke, vermischt mit dem Geruch von schalem Bier und altem Urin aus der Toilette deren Tür nicht geschlossen war. Ich stellte für mich fest, dass ich noch immer in der Kneipe war. Vermutlich in einem Hinterzimmer.
"Sie trugen mich also in Ihr Büro und betteten mich hier auf die Couch..."
"Ganz recht", sagte er lakonisch. "Ich konnte Sie doch nicht auf dem schmutzigen Boden liegenlassen. Als ich merkte, dass Ihr Herz ganz normal schlug, war ich beruhigt. Haben Sie oft solche Anfälle?"
Ich setzte mich behutsam auf. Das Hämmern in meinem Kopf machte sich wieder bemerkbar, aber es ebbte rasch ab. Ich fühlte mich noch etwas schwindlig.
"Nein, bislang nicht", sagte ich. "Wo waren Sie vorhin?"
"An der frischen Luft. Wieso?"
"Warum schließen Sie Ihr Lokal nicht ab, wenn Sie weggehen?"
"Hier klaut niemand etwas."
"Aber Sie hatten einen Gast."
"Der hatte schon bezahlt. Ich wollte mir nur an der frischen Luft auf dem Hinterhof etwas die Beine vertreten......"
"Warum?"
"Na, Sie machen mir Spaß", sagte er und nahm die Zigarre aus dem Mund. "Was soll die Fragerei? Ich brauchte frische Luft, das war alles. Stellen Sie sich mal den ganzen Tag in diesen verdammten Mief!"
"Niemand zwingt Sie, ein Lokal zu bewirtschaften."
"Da haben Sie verdammt recht", sagte er grimmig. "Ich bleibe nur noch so lange, bis die ganze Hütte abgerissen wird, dann suche ich mir einen anderen Job."
"Wie gut kannten Sie den Gast, der den Kaffee bei Ihnen bestellt hatte?"
"Ich kannte ihn überhaupt nicht. Wieso?"
Ich schaute ihn an. Er sah ehrlich verblüfft aus. Wenn er schauspielerte, verdiente er einen Photoplay-Award von dem ich gehört hatte, das man ihn neuerdings in Chicago den Foto- und Stummfilm-Schaffenden vergab.
"Wie lange waren Sie weg?" Langsam konnte ich wieder klarer denken.
"Ungefähr zehn Minuten. Warum?"
"Schon gut", winkte ich ab und stand mühsam auf. "Geben Sie mir einen Brandy."
Wir kehrten durch den kleinen, dunklen Flur in das Lokal zurück. Die Kaffeetasse stand nicht mehr auf dem Tisch, an dem Steinfurt gesessen hatte.
"Was ist aus der Tasse geworden?", fragte ich und stellte gleichzeitig fest, dass auch die Zeitung fehlte, in der Frank Steinfurt gelesen hatte.
"Aus welcher Tasse?", fragte der Wirt.
"Aus der Tasse, die der Gast benutzte", sagte ich ungeduldig.
"Sie haben recht", meinte er verdutzt.
"Das ist komisch. Er kann sie doch nicht mitgenommen haben! Ich habe sie jedenfalls nicht abgeräumt..."
Er schenkte mir einen Brandy ein. Mit Steinfurts Fingerabdrücken war es also nichts. Ich leerte das Brandyglas in einem Zug, stellte es ab und fragte: "Woran liegt es, dass hier so wenig Betrieb ist? Ist doch eine Arbeitergegend nicht weit von Borsig, und wie überall in Berlin, wäre jetzt die Zeit, eine ordentliche Molle zu zischen, bevor es wieder zu Muttern an den heimischen Herd geht!"
"Die Straße ist schon so gut wie tot. Das Viertel wird saniert. Nur Michael und seine Freunde sind noch geblieben. Ich lebe von ihnen, den Anwohnern der umliegenden Häusern und ein paar Zufallsgästen."
"Und wovon leben sie, oder gehören