Rudi sagte: „Eigentlich haben wir in erster Linie ein paar Fragen an Sie, Herr Kreutzer.”
31
Es sollte noch eine lange Nacht werden.
Noch bevor wir das hiesige Präsidium erreichten, kam ein Anruf von Dr. Wildenbacher.
„Hallo Harry. Ich befinde mich gerade auf dem Weg nach Börneburg. Dort hat man gerade die Leiche von Kommissar Raimund Lester gefunden. Über die Todesursache kann ich natürlich noch nichts sagen, aber die Kollegen meinen, eine Schusswunde gesehen zu haben. Aber ich habe auch schon erlebt, dass Kollegen einem Mordopfer mit stark blutender Messerwunde eine natürliche Todesursache zugeschrieben haben, also sehe ich mir das lieber selber an.”
„Dann wären noch zwei der Verschwundenen nicht aufgefunden worden”, stellte ich fest.
„Es wird jetzt überall nach ihnen gesucht. Und zwar auf Müllkippen in der Nähe ihrer Wohnorte. So traurig es klingen mag, aber ich gehe davon aus, dass wir keinen von ihnen noch irgendwo lebend finden werden.”
„Ein akribisch vorgehender Killer, der sehr stark darauf achtet, dass man die Opfer möglichst spät findet”, fasste ich zusammen. Wenn Basemeier und sein bisher unbekannter Komplize dahintersteckten, dann waren sie zumindest bei Reinhold Kahlmann von dieser Maxime abgewichen. Aber daran war vielleicht der Zeitfaktor Schuld gewesen. Und die Umstände. Schließlich war es nicht so ganz einfach, jemanden umzubringen, der sich gerade mit zwei BKA-Kriminalinspektoren unterhielt. Und die Tatsache, dass Basemeier es trotzdem getan und den Job nicht einfach verschoben hatte, zeigte, wie dringend die Erledigung dieses Mordes gewesen war.
„Ach übrigens gibt es in dem Fall von Gregor Bellhoffs Vergiftung eine neue Spur. Hat Frau Gansenbrink euch schon angerufen?”
„Nein.”
„Diese Perfektionistin. Die will wahrscheinlich alles erst bis auf die letzte Stelle hinter dem Komma nachgerechnet haben, bevor sie etwas weitergibt.”
„Worum geht es denn?”
„Wir haben vor zwei Stunden sehr ausführlich miteinander gesprochen. Es ging um die besonderen Merkmale dieser Vergiftung. Es lässt sich jetzt auch näher eingrenzen, wann dies geschehen sein muss. Bellhoff hat sich in einem Lokal mit einem Unbekannten getroffen und zu Mittag gegessen. Normalerweise hat Bellhoff immer in der Kantine seines Präsidiums gegessen.”
„Und dieser Unbekannte könnte ihm das Gift ins Essen gemischt haben.”
„Das ist sehr einfach, Harry. Sie sehen mal in die falsche Richtung und es ist passiert. Sowas erwartet ja niemand. Und nun halten Sie sich fest: Weder Sebastian Pender noch Pascal Basemeier noch dessen auffälliger Riesen-Komplize, nach dem inzwischen gefahndet wird, waren die Person, mit der sich Bellhoff getroffen hat.”
„Wer dann?”
„Wir wissen es nicht Es wird zurzeit ein Phantombild anhand von Zeugenaussagen hergestellt. Aber - und jetzt kommt Kollegin Gansenbrink ins Spiel. Es gibt überhaupt nur sehr wenige Fälle, in denen dieses spezielle Gift verwendet worden ist. Und einer davon hat mit Dorian Rinescu zu tun.”
„Dem Chef der Liga?”
„Exakt. Es gab da einen ungeklärten Todesfall eines Neffen von ihm, der wohl auch in die Geschäfte seines Onkels verwickelt war, aber irgendwann eigenen Plänen nachgehen wollte. Genau weiß man das nicht. Dass Rinescu mit der Tat etwas zu tun hatte oder sie in Auftrag gegeben hat, war immer nur ein Gerücht. Er hat jedenfalls davon profitiert.”
„Aber was kann Rinescu mit unserem jetzigen Fall zu tun haben? Er ist doch tot.”
„Vielleicht steckt jemand aus seiner damaligen Umgebung dahinter.”
Ich atmete tief durch. „Richten Sie der Kollegin Gansenbrink meinen Dank für die frühzeitige, unverzügliche Information aus, wenn Sie wieder mit ihr sprechen.”
„Das können Sie selbst tun, Harry. Ich streite mich lieber nicht mit ihr.”
32
Hartmut Kreutzer saß in sich zusammengesunken in einem der Verhörräume des Polizeipräsidiums in Hannover. Außer Rudi und mir war auch der Kollege Sörgelmeier bei dem Gespräch über weite Strecken dabei.
Bislang hatte Kreutzer keinen Anwalt verlangt. Er schaltete auf eine Art passiven Widerstand. Vielleicht dauerte es auch einfach etwas, bis er innerlich bereit war, sich von dem Karibik-Traum zu verabschieden. Aber alles in allem war dieser Traum von Anfang an reichlich naiv gewesen. Und die Art und Weise, wie er als Trittbrettfahrer agiert hatte, war alles andre als geschickt gewesen.
Dienststellenleiter Sörgelmeier hatte ihm bereit mehr als einmal die Beweislage klargemacht - und mit der Zeit kamen durch die Durchsuchung seiner Wohnung und das Eintreffen von Untersuchungsergebnissen weitere belastende Indizien hinzu. Da war beispielsweise das Handy, mit dem er seine Forderungen übermittelt hatte, dann der gefilterte Stimmenabgleich, der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit belegte, dass er der Anrufer war, und die Tatsache, dass er Dieter Reims kannte, da er früher jahrelang sein Informant gewesen war.
Myra Jörgensen war inzwischen auch vorläufig festgenommen worden, denn es bestand der Verdacht, dass sie