„Und dann kam eins zum anderen”, sagte ich.
„Er sagte, er sei krank und hätte vielleicht ein oder zwei Jahre und wollte von mir die Wahrheit wissen. Die Wahrheit über Dorian Rinescu, der sie offenbar alle hereingelegt hatte. Die Vorstellung, dass der Kampf gegen die Liga umsonst gewesen war, wollte er einfach nicht akzeptieren.”
„Wenn er sein Schweigen gebrochen hätte, hätte das auch für ihn Konsequenzen gehabt”, stellte Rudi fest.
„Ihm wäre das egal gewesen. Den anderen vielleicht nicht. Die hatten alle ihr beschauliches Leben zu verlieren. Ob die das getan hätten, weiß ich nicht. Theo Görremann vielleicht. Bei Gregor Kahlmann, der später zu mir kam, glaube ich das ganz bestimmt nicht, denn er beschwor mich, über die Sache zukünftig zu schweigen.”
„Bellhoff hatte nichts mehr zu verlieren. Deswegen musste er als erster sterben”, erkannte ich. Rinescu war zum Handeln gezwungen gewesen. Der erste Mord sollte gar nicht als solcher zu erkennen sein.
Ich zeigte ihm das Phantombild auf meinem Handydisplay, das von dem Mann angefertigt worden war, mit dem sich Bellhoff getroffen hatte und der ihn wahrscheinlich vergiftet hatte.
„Das ist er”, sagte Bendix. „Sie werden ihn kaum wiedererkennen, wenn Sie die alten Bilder von ihm sehen. Er hat sich chirurgisch behandeln lassen. Ihre Bilderkennungsprogramme werden da keinen Treffer anzeigen. Aber eine Sache lässt sich nicht ändern.” Er deutete auf die Kinnpartie. „Sehen Sie diese dunkle Stelle dort?”
„Die Zeugen haben das Muttermal beschrieben.”
„Das ist kein Muttermal. Das ist eine Narbe. Er hatte als Junge einen Fahrrad-Unfall und seitdem hat er das Ding da im Gesicht. Da haben sich schon einige Ärzte dran verkünstelt, aber wenn Sie ihm einmal aus der Nähe gesehen haben, erkennen Sie es immer wieder.”
„Sie sind ihm seit seinem fingierten Explosionstod nochmal begegnet?”, schloss ich, denn ich hatte auch Fotos von Rinescu gesehen. Fotos, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie denselben Mann zeigten wie den, der auf dem Phantombild abgebildet worden war.
Bendix zögerte.
„Sie wollten reinen Tisch machen”, erinnerte ihn Rudi.
„Es war ein Zufall”, sagte Bendix. „Es gibt eben Angewohnheiten, die man nicht ablegt. Ich habe ein orthopädisches Problem mit meinem rechten Fuß und brauche darum Spezialeinlagen. Herr Rinescu hat mir damals ein Geschäft für derartigen Bedarf empfohlen, da er selbst Schwierigkeiten mit den Füßen hat. Wir haben uns dort zufällig gesehen. Niemand von uns hat ein Wort gesagt, aber ich war mir vom ersten Augenblick an sicher. Trotz aller Veränderungen.”
„Sie haben nicht zufällig eine Idee, wo wir ihn finden können?”
„Tut mir leid. Und das ist die reine Wahrheit. War’s das? Ich hätte nämlich nichts mehr zu sagen. Und falls irgendein Gericht entscheidet, dass ich diesen Wagen abgeben muss, dann will ich wenigstens vorher etwas Geld verdient haben, um mir einen Anwalt leisten zu können.”
„Eine Frage noch”, sagte ich. „Kennen Sie einen dieser beiden Männer? Der erste heißt Pascal Basemeier, von dem zweiten haben wir nur eine Phantomzeichnung, dafür aber eine sehr markante Beschreibung. Er hat die Statur eines Basketballers und ist kahlköpfig....”
Bendix sah sich die beiden Bilder auf meinem Smartphone an. „Nummer eins kenne ich nicht, aber Nummer zwei.”
„Den Kahlkopf.”
„Das müsste Zaid Gremel sein. Ein übler Kerl. Ich hatte öfter Schwierigkeiten mit ihm.”
„In wie fern?”
„Er war bis vor kurzem Türsteher vor einer Discothek namens 'LaPlata' . Dort stand ich auch ab und zu mit meinem Wagen. Aber bei Zaid Gremel lief das so, dass man dafür bezahlen musste, wenn man einen Platz für den Wagen haben wollte. Und wenn man das nicht einsah, konnte der sehr unangenehm werden.”
37
Wir fuhren zum 'LaPlata'. Zwar kannten wir uns in Hannover nicht besonders gut aus, aber das Dienstfahrzeug aus den Beständen der Hannoveraner Polizei verfügte über ein ausgezeichnetes Navigationssystem, das uns sicher zum Ziel führte.
„Den ersten Mord hat Rinescu selbst begangen”, sagte Rudi.
„Wahrscheinlich wäre es ihm am liebsten gewesen, alle der Reihe nach allein umzubringen, dann hätte er niemanden einweihen müssen”, meinte ich. „Aber dazu hatte er nicht mehr die Zeit. Vielleicht hat er Anfangs darauf gesetzt, dass die Ex-Mitglieder der Task Force weiter schweigen würden, um persönliche Konsequenzen zu vermeiden. Aber irgendwann scheint er daran Zweifel bekommen zu haben.”
„Er engagiert also dieses Killerpaar: Zaid Gremel und Pascal Basemeier. Und die haben dann der Reihe nach zugeschlagen... Glaubst du, die Idee, Sebastian Pender in die Sache einzubeziehen kam von den beiden?”
„Nein, nie im Leben. Das ist Rinescu gewesen. Dafür wette ich! Und ich wette auch, dass Penders Tod dabei von Anfang feststand, damit die Ermittlungen ins Leere laufen.”
„Glaubst du, Zaid Gremel und Pascal Basemeier wussten, wer sie da engagiert hat?”
„Kann ich mir nicht vorstellen, Rudi. Dieses Risiko wäre Rinescu niemals eingegangen. Und wenn, dann wären Basemeier und Gremel jetzt nicht mehr am Leben.”
„Dann kann der Besitzer der Zigarrenlimousine ja froh sein, dass er noch lebt. Ich meine, wenn es stimmt und er Rinescu wirklich gesehen hat.”
„Woran ich nicht zweifle, Rudi!”
„Scheint als hätte der skrupellose Boss doch eine sentimentale Seite gehabt.”
„Weil er seinen Ex-Fahrer nicht getötet hat?” Ich zuckte die Achseln. „Vielleicht hat er ihm tatsächlich einfach vertraut.”
Der Parkplatz vor dem 'LaPlata' war überfüllt. Wir mussten den Wagen einen Block entfernt abstellen - und so ganz korrekt stand er dort wohl auch nicht. Aber wir gingen davon aus, dass um diese Zeit in Hannover nicht mehr kontrolliert wurde.
Wenig später erreichten wir den Eingang des 'LaPlata'.
Zaid Gremel stand dort auf seinem Posten. Seine hoch aufragende Gestalt im langen Ledermantel war unübersehbar. Das Neonlicht fiel auf seinen kahlen Kopf. Wir näherten uns und warteten ab, bis er die Gäste hereingelassen hatte, die um diese Zeit noch feiern wollten. Dann stand er allein da. Er sah uns an. Wir zogen die Dienstwaffe. „Polizei! Keine Bewegung!”, rief ich. „Herr Zaid Gremel,