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Als wir zum Präsidium zurückkehrten, erwartete uns die Nachricht, dass der Entführer offenbar seine Forderung konkretisiert hatte.
Dienststellenleiter Sörgelmeier spielte uns die letzte Nachricht, die vor wenigen Minuten eingetroffen war, in seinem Büro vor. Der Unbekannte forderte die Zahlung auf ein Konto auf den Cayman Islands und setzte eine Frist von 72 Stunden.
„Die Stimme ist leicht verzerrt, wie schon bei der anderen Nachricht”, erklärte Sörgelmeier. „Der Betreffende hat einfach ein Taschentuch oder so etwas benutzt, um die Identifizierung zu erschweren.”
„Das heißt, er hat keine Ahnung davon, wie man so etwas wirklich professionell macht”, stellte ich fest.
„Das ist unser Glück. Wenn wir den Kerl hätten, dann wäre es keine Schwierigkeit anhand einer Sprachprobe ihm die Erpressung nachzuweisen”, erklärte Sörgelmeier. „Ich sage bewusst Erpressung, denn ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt jemanden gefangen hält oder nur blufft.”
„Daran habe ich auch schon gedacht”, gestand ich. „Vor allem ist an der Sache merkwürdig, dass sich die Drohung nur auf Dieter Reims bezieht und nicht auf die anderen Verschwundenen.”
„Der Anrufer mag nichts davon verstehen, wie man seine Stimme am Telefon wirklich unkenntlich macht. Aber er weiß, wie man eine Million finanztechnisch so ableiten kann, dass sie sich nicht mehr zurückverfolgen lässt”, erklärt Sörgelmeier. „Die Bank auf den Cayman Islands, über die die Transaktion gehen soll, spielte auch in den Liga-Verfahren eine entscheidende Rolle. Das Geld wird anschließend über verschiedene Stationen und Scheinfirmen rund um den Globus geschickt. Sie haben keine Chance mehr, jemals herauszubekommen, wie genau der Weg gewesen ist.”
„Meinen Sie, das war jemand, der in dem Liga-Sumpf irgendeine Rolle spielte?”, hakte ich nach.
Sörgelmeier zuckte mit den Schultern. „Das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Aber der unser Wirtschaftsexperte meint, dass es da ein paar auffällige Gemeinsamkeiten gibt.”
„Es genügt ja auch, wenn dieser Kerl einfach nur jemand ist, der irgendwie damals in einer der hinteren Reihen stand, aber trotzdem nahe genug dran war, um mitzukriegen, wie so etwas im Prinzip abgewickelt wird”, warf Rudi ein.
„Wo kam denn der Anruf her?”, fragte ich an Sörgelmeier gerichtet. „Wieder aus der Umgebung des ‘Magic’?”
„Es war dieselbe Funkzelle, in die sich das Gerät eingewählt hat. Mehr lässt sich dazu nicht sagen.”
Mein Handy klingelte. Kriminaldirektor Hoch meldete sich. „Harry, ich habe gerade schlimme Neuigkeiten aus Frankfurt bekommen. Petrick Dorian hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass man soeben auf einer städtischen Müllhalde den Leichnam vom Kollegen Dieter Reims gefunden hat. Er starb offensichtlich durch einen aufgesetzten Schuss mit einer Waffe, die einen Schalldämpfer hatte. Laut des vorläufigen Berichts ist der Abdruck deutlich zu sehen.”
„Bedeutet das, die Entführung war ein Fake?”
„Höchstwahrscheinlich ein Trittbrettfahrer, Harry. Jedenfalls müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen. Kollege Sörgelmeier hat mich ja über die neueste Forderung des Erpressers informiert. Aber erstens war Reims da bereits mit Sicherheit tot. Als der zum ersten Mal angerufen hat und zweitens spricht es Bände, dass Reims Leiche 400 Kilometer von dem Ort aufgefunden wird, an dem sich offenbar der angebliche Entführer befindet. Ich will nicht ausschließen, dass das auch eine besonders ausgefeilte Tarnung sein könnte, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht daran.”
„Ich auch nicht”, gestand ich.
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„Es gibt nur einen vernünftigen Grund, weshalb dieser Kerl nur eine Forderung für das Leben von Dieter Reims gestellt hat”, meinte Rudi später, als wir bereits zusammen mit den Kommissars Havixbeck und Gravenschmidt auf dem Weg zum ‘Magic’ waren.
Wir fuhren mit dem SUV, den wir bereits benutzt hatten. Rudi und ich saßen auf den Rücksitzen. Rudi hatte das Laptop auf den ausklappbaren Tisch gelegt. Kommissar Havixbeck saß am Steuer, Gravenschmidt auf dem Beifahrersitz. Es herrschte Rush Hour. Und das bedeutete auch in Hannover, dass man ungefähr alle zweihundert Meter anhalten musst, weil irgendeine Ampel auf rot sprang und einfach zu viele Fahrzeuge zur selben Zeit unterwegs waren.
„Und was wäre das für ein Grund?”, fragte ich.
„Der Kerl wusste nichts davon, dass vier Kollegen verschwunden sind. Er wusste nur etwas von Reims, hat sich gedacht, dass er daraus Kapital schlagen kann und hat seine ziemlich amateurhafte Tour abgezogen!”
„Das wäre eine Erklärung”, gab ich zu. „Allerdings interessiert mich im Moment sehr viel mehr dieser kahlköpfige Komplize von Pascal Basemeier. Und natürlich der Auftraggeber dieses Duos.”
„Und wenn das alles irgendwie miteinander zusammenhängt?”, fragte Rudi. „Alles nochmal auf Anfang, Harry! Manchmal hilft das! Nicht nur Laptops brauchen ab und zu mal ein komplettes Reset.”
„Was meinst du damit?”
„Vielleicht haben wir das Wesentliche aus den Augen verloren. Das was jetzt unseren Kollegen zugestoßen ist, muss etwas mit der Liga, den damaligen Ermittlungen und dem ‘Magic’ zu tun haben. Und dieser Pseudo-Entführer spielt da irgendeine Nebenrolle!”
„Und Sebastian Pender?”
„Der auch.”
„Pender arbeitete für Basemeier und seinen unbekannten Komplizen, diesen Riesen ohne Haare.”