Eine Stadt dreht durch. Andreas Heinzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Heinzel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948987206
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etwas beunruhigte. Aber gut, dachte ich, trotz seiner jungen Jahre war der Vereinstrainer hoffentlich eine Fachkraft, die den Spreu vom Weizen zu trennen wusste.

      „Wenn du möchtest, kannst du gerne zu uns kommen. Linus hat Geburtstag, und wir haben Kaffee und Kuchen dabei.“

      „Danke, aber ich würde gerne erst einmal das Verhalten meines Sohnes auf dem Platz beobachten.“

      „Wie du willst. Du weißt ja, wo wir sind. Wenn du genug beobachtet hast, bist du herzlich willkommen.“

      Ich bedankte mich bei der Vertreterin der Geburtstagsgesellschaft und widmete mich wieder der Mannschaft auf dem Platz. Wenigstens Trikots besaßen sie, wenn schon nicht das richtige Schuhwerk. Einige Jungs schrien herum, kommandierten ihre Mitspieler, forderten den Ball und schienen verärgert, wenn ihre Rufe ignoriert wurden. Niklas hingegen hatte den Ball, wenn ich es richtig verfolgt hatte, seit seiner Einwechslung noch kein einziges Mal zugespielt bekommen. Von Minute zu Minute missfiel mir das mehr, ganz im Gegensatz zu meinem Sohn, den die Ignoranz der Sportsfreunde nicht im Geringsten zu stören schien. Niklas lief den anderen freudig rufend hinterher und es war ihm gleichgültig, ob er den Ball bekam oder nicht. Ein absurdes Verhalten, das der Trainer hoffentlich schnell zu korrigieren gedachte. Wo steckte der überhaupt? Es war bereits fünf Minuten nach drei, das Training hätte längst beginnen sollen.

      Ich entdeckte Max, der nach wie vor eifrig mit den Eltern plauderte, mittlerweile jedoch vom Kuchen zu herzhaften Blätterteigtaschen gewechselt war. Als er meinen ungeduldigen Blick und das gleichzeitige Tippen des Zeigefingers auf das Ziffernblatt meiner Armbanduhr bemerkte, rief er mir mit vollem Mund und freundlichem Blick zu, dass es gleich losginge. Allem Anschein nach war Kalorienzufuhr ein plausibler Grund, das Training der ihm anvertrauten Schützlinge verspätet beginnen zu lassen. Ich addierte sein Verhalten als Punkt auf einer in Gedanken verfassten Malus-Liste und entschied, mit dem abschließenden Urteil zu warten, bis die nun hoffentlich bald startende Probeeinheit beendet war.

      Weitere fünf Minuten später schleppte sich Max zur G-Jugend, die noch immer ziellos dem Ball hinterher hetzte und dabei kostbare Energie vergeudete. Durch einen kurzen, energischen Pfiff unterbrach der Coach die Kindereien und rief die Mannschaft zu sich. Ich vermutete eine letzte taktische Besprechung, wahrscheinlich eine Veränderung des Systems vor dem Aufeinandertreffen mit dem nächsten Gegner. Ich suchte und fand meinen Sohn in der hinteren Reihe. Er bohrte in der Nase und war offensichtlich fündig geworden.

      Leider konnte ich kein Wort von dem verstehen, was der Trainer erklärte, geschweige denn, für welches Spielsystem er sich für die anstehende Trainingseinheit entschieden hatte. Ich tippte auf eine offensiv angelegte 2-3-2-3-Formation, auch ein 2-5-3-System war denkbar, je nachdem, wie der Gegner es zuließ.

      Erneut blies Max in die Trillerpfeife, dann händigte ihm einer der größten Schreihälse den Ball aus. Endlich ging es los, wurde auch Zeit. Ein Viertel der 60-minütigen Trainingseinheit hatten sie bereits mit unsinnigem Gerenne und Kindergeburtstag vertändelt.

      Planlos verteilten sich die Kinder auf dem mit Fähnchen abgesteckten quadratischen Feld und blickten erwartungsvoll in Richtung ihres Trainers. Doch anstatt des Balls bekamen sie einen weiteren Pfiff zu hören, woraufhin die Spieler von Rot-Schwarz Dornbusch die geballten Fäuste nach vorne reckten, lostrabten und seltsame, an Motorgeräusche erinnernde Laute von sich gaben. Als ich mich noch fragte, was der Unsinn sollte, hörte ich Max Autobahn! rufen, woraufhin die G-Jugend ihr Tempo beschleunigte, was ihnen – im Gegensatz zum Vater eines ihrer Spieler – großen Spaß bereitete. Auch mein Sohn irrte orientierungslos und mit von sich gestreckten Fäusten auf dem Trainingsgelände umher und kollidierte mehrfach mit aggressiven Mitspielern. Was sollte das Ganze? Warum hatten die keinen Ball?

      „Fußgängerzone!“, rief der Coach. Sogleich bremsten die Kinder ab und spazierten gemächlich über den Platz. Es folgten Kommandos wie Linkskurve, Rechtskurve, Rückwärtsgang und ähnlich seltsames Zeug, bevor der Trainer dem Quatsch mit einem weiteren Pfiff ein Ende bereitete und die Jungs laut schreiend zu ihm liefen. Wobei Jungs das Ganze nicht richtig traf, denn unverkennbar befanden sich auch einige Mädchen in der Mannschaft, was ich ebenfalls auf der Malus-Liste verbuchte, sich in dieser Altersklasse aber wohl nicht verhindern ließ.

      Inzwischen war eine gute halbe Stunde vergangen und noch immer kam kein Spiel zustande, schon gar kein vernünftiges, von taktischen Anweisungen des Coaches ganz zu schweigen. Immerhin hatte er die Gruppe mittlerweile in zwei Mannschaften eingeteilt und dem einen Team, zu dem auch Niklas gehörte, neongelbe Leibchen ausgehändigt. Sie kämpften sich hinein und verzogen sich daraufhin mit Kriegsgeheul auf ihre Seite des Platzes, während der leibchenlose Gegner das gegenüberliegende Terrain für sich in Anspruch nahm.

      Dann endlich … endlich … rollte Max den Ball ins Feld und pfiff das Spiel an. Einen Anstoß kannte man hier anscheinend nicht. Eine taktische Ordnung allerdings auch nicht. Wenn überhaupt, konnte man mit viel gutem Willen ein 6-0-0-System der insgesamt sechs Feldspieler erkennen. Wie zu Beginn des Nachmittags wurde das Kind, das den Ball besaß, vom Rest des Schwarms verfolgt, bis einer von ihnen das Leder eroberte und sich das Spielchen wiederholte. Ein komplettes Chaos, aus dem sich von Zeit zu Zeit eher zufällig ein Schuss aufs gegnerische oder auch das eigene Tor ergab. Als die leibchenlose Mannschaft nach ein paar Minuten aus heiterem Himmel den ersten Treffer erzielte, jubelten prompt beide Teams, was sich mir aus logischer Sicht nicht erschloss. Lediglich einer der Spieler schien am Geschehen gänzlich unbeteiligt. Niklas nutzte die Zeit, in der die anderen um den Ball balgten, um sich abseits des Geschehens von einer Gegenspielerin das Radschlagen beibringen zu lassen und im Anschluss hinter dem Tor Gänseblümchen zu pflücken.

      „Na, dein Niklas ist ja ein ganz Süßer“, vernahm ich zur Linken die inzwischen vertraute Stimme von Mutter Gabi. „Kaum da, schon flirtet er mit Eslem“, lachte sie. „Hat er das von dir?“

      „Ich flirte nicht mit Eslem“, antwortete ich. „Und Niklas flirtet ebenfalls nicht. Er baut ein Vertrauensverhältnis zur Mannschaft auf.“

      „Und er schlägt ein tolles Rad“, sagte Gabi. Ich drehte mich zu ihr um. Was wollte die eigentlich von mir?

      „Sag mal Gabi, ist euer Kindergeburtstag schon vorbei? Ich würde mich gerne auf das Spielgeschehen konzentrieren, um das Training im Anschluss zu analysieren.“

      „Oh sorry“, entgegnete sie spöttisch. „Da will ich dich nicht stören. Hat schon ein hübsches Sträußchen beisammen, dein Kleiner.“

      „Welcher von denen ist eigentlich deiner?“, wollte ich wissen. Doch die Frage beantwortete sich von selbst, als eines der Großmäuler, die zu Beginn lautstark den Ball gefordert hatten, zum zweiten Tor einschob und sich dafür von seiner Mannschaft feiern ließ.

      „Hey … super, Oskar, toll gemacht!“, schrie Gabi ins Feld, applaudierte und pfiff bewundernd durch die Zähne. Das verzogene Alphatier mit dem Killerinstinkt gehörte demnach zu ihr.

      Der Torschütze rannte auf seine Mutter zu, klatschte sich mit ihr ab und verschwand zurück aufs Feld. Auch mein Sohn freute sich für Oskar, begleitete ihn bei dessen Ehrenrunde und jubelte, als hätte er selbst und nicht der Chef des gegnerischen Teams ein Tor geschossen. Da wartete fraglos noch viel Arbeit auf mich.

      Wenig später war das erste Training meines Sohns auch schon vorbei. Freudestrahlend, so viele neue Freunde – und Freundinnen – gefunden zu haben, kam Niklas auf mich zugelaufen und führte mir sogleich das Rad vor, das er dank Eslems Anleitung in der zweiten Halbzeit des Trainingsspiels perfektioniert hatte. Verhalten freute ich mich über seine kunstturnerischen Fertigkeiten und wollte unbedingt noch ein Wort mit dem Trainer reden, bevor sich der junge Mann wieder dem Büffet widmen konnte. Max sammelte gerade die Leibchen ein, ließ sich von zwei Kindern die Eckpfosten bringen und trottete dann gemächlich in meine Richtung.

      „Ach, äh … Max, auf ein Wort“, rief ich ihn an.

      „Na Niklas“, richtete er indes nicht an mich, sondern an den Spieler zu meinen Füßen das Wort, der Mühe hatte, die Schnallen seiner Sandalen zu schließen. „Wie hat’s dir denn bei uns gefallen?“

      „Gut“, kam ebenso kurz wie pointiert die