Eine Stadt dreht durch. Andreas Heinzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Heinzel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948987206
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auf die Welt, weitere Kinder waren uns nicht vergönnt, was letzten Endes aber auch gut war, vor allem für die nicht gezeugten Kinder. Als Lorenz elf Jahre alt war und die Entscheidung für eine weiterführende Schule getroffen werden musste, entschied Joachim, seinen Sohn, für den er nur die allerbeste Ausbildung vorsah, in ein Internat an den Bodensee zu schicken. Ich wurde dazu nicht befragt, Lorenz schon gar nicht. Und so übergab ich unseren Sohn an einem Spätsommertag schweren Herzens und mit Tränen in den Augen den verantwortlichen Erziehern und reiste mit Joachim, der Abschiede hasste und im Wagen auf mich gewartet hatte, zurück an den Main.

      Wider Erwarten gewöhnte sich Lorenz nach anfänglichen Schwierigkeiten an das Leben im Internat. Mit dem Einsetzen der Pubertät besuchte er uns nur noch sporadisch und legte seinerseits wenig Wert auf einen Besuch seiner Eltern. Nach dem Abitur zog er nach London, wo er ein Wirtschaftsstudium absolvierte und direkt danach ein erfolgreiches Maklerbüro für gewerbliche Immobilien gründete und leitete. Er fand eine Frau, mit der er in der Nähe von Windsor schließlich ein gemeinsames Cottage kaufte, und ich hatte Grund zu der Annahme, dass es ihm gut mit ihr ging. Wir hörten seitdem nicht viel voneinander, ab und zu führten wir lediglich kurze Videotelefonate über den Computer und bekamen bei der Gelegenheit auch unsere Enkel zu Gesicht. Jeffrey war mittlerweile zwei Jahre alt, seine Schwester Elaine würde nächsten Februar fünf. Beide hatten wir von Angesicht zu Angesicht das letzte Mal bei Jeffreys Taufe gesehen.

      Kurz nach der Geburt unseres Sohns hörten Joachim und ich auf, miteinander zu schlafen. Joachim hatte sich von Anfang an beschwert, ich sei kalt und steif wie ein Brett, ich solle mich gefälligst gehen lassen, das sei doch nicht so schwer. Er ging grob vor und dachte wohl, dass er mich auf die Art zu einem lustvollen Empfinden bringen würde. Das genaue Gegenteil war der Fall. Daraufhin verweigerte ich mich ihm immer häufiger, und nach kurzer Zeit entschieden wir uns für getrennte Schlafzimmer.

      Zu dieser Zeit begannen auch seine Affären. Zunächst ließ er sich mit meinen Nachfolgerinnen ein, denn auf Joachims ausdrücklichen Wunsch hin hatte ich nach der Geburt unseres Sohns die Stelle in der Kanzlei aufgegeben. Die Anzeichen für seine anschließenden Bettgeschichten waren untrüglich. Immer häufiger ging er auf Dienstreisen, und wenn ich anschließend in seiner Brieftasche forschte, fand ich jedes Mal die Spesenbelege exklusiver Restaurants, meist für zwei Personen, immer mit Champagner und allem drum und dran. Natürlich schnupperte ich auch an seiner Kleidung, wie man das tat, wenn man Verdacht schöpfte, und nicht selten roch sein Hemd oder sein Sakko nach einem blumigen, schweren Duft.

      Ich stellte ihn nicht zur Rede, nein, eigentlich war es mir einerlei. Sollten die Flittchen ruhig mit ihm ins Bett steigen, ich wünschte ihnen viel Spaß. Vielmehr war ich froh, dass dieses Kapitel endlich vorbei war, zumindest mit Joachim. Stattdessen schlief ich mit Staatsanwalt Karrenfeld, sobald ich sicher sein konnte, dass Joachim wegen eines Prozesstermins mehrere Stunden lang vor Gericht eingespannt war. Ein paar Monate lang genossen wir unsere Zeit in den Zimmern des Frankfurter Hofs, ja, tatsächlich, ich verspürte in der Tat körperlichen Spaß. Etwas, das ich zum ersten Mal mit jemandem erlebte, und vielleicht hätte ich Joachim damals einfach verlassen sollen. Im Nachhinein betrachtet wäre es sicher die richtige Entscheidung gewesen. Doch Klaus Karrenfeld, den ich kennengelernt hatte, als er auf Einladung meines Manns bei einer Sommerfeier des Juristenkreises in unserem Garten erschienen war, war glücklich verheiratet und Vater zweier Töchter. Nichtsdestotrotz hätte er alles für mich aufgegeben, zumindest behauptete er das. Jedoch wollte ich weder daran schuld sein, noch wollte ich ausprobieren, ob er am Ende wirklich zu seinem Wort stehen oder mir, wenn es darauf ankam, doch den Laufpass geben würde. Nach ein paar Monaten zog ich daher selbst die Konsequenzen und beendete unsere Affäre. Es grenzte sowieso an ein Wunder, dass Joachim, der mich seinerseits munter weiter betrog, von meinen Seitensprüngen nichts mitbekommen hatte. Nach den Anwaltsschlampen stieg er nun auf die Professionellen um. Möglicherweise war er trotz des beruflichen Erfolgs nicht mehr anziehend genug, oder ein Verhältnis mit einem jungen Ding wurde ihm einfach zu anstrengend. Jedenfalls stöberte ich weiter regelmäßig in seinen Taschen und Aktenkoffern und fand dort irgendwann die Visitenkarte eines Escort-Services. Weniger störte mich, dass Joachim für seine Eskapaden inzwischen bezahlen musste, das fand ich sogar belustigend. Viel mehr ärgerte es mich, dass er nicht mal mehr den Versuch einer Heimlichtuerei unternahm, sondern die Visitenkarte mehr oder weniger offen in seiner Tasche herumliegen ließ. Im Grunde war ihm also egal, ob ich etwas davon mitbekam oder nicht. Das war das eigentlich Verletzende.

      Auch die Reisen mit den Studienfreunden zu den Auswärtsspielen der Eintracht begannen meist mit einem Besäufnis, denn das konnten sie noch, die alten Herren, und endeten irgendwann in einem Bordell oder einem Hotelzimmer mit den örtlichen Dienstleisterinnen. Vermutlich auch jetzt in München, vorausgesetzt, er hatte daran gedacht, sich die kleinen blauen Pillen einzupacken, die er im Nachttisch aufbewahrte, aber davon war auszugehen.

      Ich stand vor dem Sarg und überlegte, wie es wäre, darin zu liegen. Welches Gefühl stellte sich wohl ein, wenn sich der Deckel über einem schloss und man darin zu Grabe getragen wurde? Nicht, dass ich das gerne bei lebendigem Leibe miterleben wollte, schon gar nicht, da ich mich für eine Feuerbestattung entschieden hatte, aber irgendwie reizte es mich schon, das Ganze einmal auszuprobieren. Warum auch nicht?

      Ich legte den Schlüssel, die Fernbedienung für das Garagentor und mein Mobiltelefon neben die Lackpolitur für den Jaguar auf das kleine Wandbord, zog die Schuhe aus und stieg vorsichtig in den Sarg. Langsam senkte ich den Oberkörper ab und ließ meinen Kopf auf dem Eintracht-Kissen ruhen. Zugegebenermaßen war mein erster Eindruck etwas enttäuschend. Zwar lag der Kopf bequem, doch erfüllte die seidene Auspolsterung eher dekorative Zwecke. Es ließ sich nicht leugnen, dass ich letzten Endes in einer Holzkiste lag. Dann zog ich am Deckel und war gespannt, was ich empfinden würde, wenn sich die Kiste gänzlich über mir schloss. Ich hatte noch nie unter Platzangst gelitten, auch in großen Menschenmengen oder engen Aufzügen fühlte ich mich nicht unwohl, daher senkte ich den Deckel vollends ab und ließ ihn auf den Korpus nieder.

      Mit einem schnappenden Geräusch schloss sich der Sarg, und sofort überlegte ich, worauf der seltsame Klang zurückzuführen war. Was hatte da geschnappt? Ich versuchte, den Deckel wieder anzuheben, doch vergeblich, der Versuch misslang. Ich drückte fester dagegen, doch das Ding bewegte sich keinen Millimeter. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, als mir bewusst wurde, dass ich allem Anschein nach gefangen war. Das Schnappgeräusch war ein Schloss gewesen, ein Mechanismus, der sich nur von außen mit dem Schlüssel öffnen ließ. Ich merkte, wie ich Oka Nikolov unter mir vor Schreck einnässte, während Joachim in einem Schwabinger Hotel vermutlich gerade eine volltätowierte junge Russin vögelte. Ich überlegte zu schreien, doch das war vollkommen sinnlos. Das Garagentor hatte ich selbst geschlossen, bis zur Straße waren es sicher hundert Meter, die Nachbargrundstücke lagen sogar noch weiter entfernt und die älteren Herrschaften, die dort wohnten, hörten schwer. Das kannten wir selbst gut genug. Zudem kostete jeder Schrei wertvollen Sauerstoff.

      Auf Joachim musste ich nicht warten, der hatte heute früh den Zug in die bayerische Hauptstadt genommen, ging morgen gepflegt zum Spiel seiner Eintracht gegen die Bayern und kam mit Sicherheit nicht vor Montag zurück. Anrufen würde er nicht, das hatten wir von Anfang an so gehandhabt. Solange er verreist war und sich nicht meldete, ging es ihm gut. Da er nie angerufen hatte, wenn er unterwegs war, ging ich davon aus, dass es ihm immer dann gut ging, wenn er nicht zu Hause war. Und da er nicht anrief, würde er mich auch nicht vermissen. Er würde mich sowieso nicht vermissen.

      Noch einmal versuchte ich mit der Kraft, die ich mit meinen zweiundsiebzig Jahren noch aufbringen konnte, den Deckel aufzustemmen. Ich drückte und hämmerte dagegen, ich trat mit den Füßen gegen die massive Eiche, doch vergebens. Die Füße anzuheben und mich mit Wucht dagegenzustemmen, war unmöglich, dafür war der Korpus viel zu eng. Ich wunderte mich, dass ich nicht weinen musste. War ich selbst für meinen Tod zu rational veranlagt? Statt in Panik zu verfallen, versuchte ich noch immer, eine Lösung zu finden, wie ich der Falle entfliehen konnte. Doch es gab keine.

      Es begann bereits unangenehm zu riechen, dafür hatte ich selbst gesorgt. Auch hatte ich das Gefühl, dass die Luft im Inneren mit jedem Atemzug stickiger wurde. Wie lange hatte ich noch? Bis morgen vielleicht? Noch ein paar Stunden? Die Antwort darauf war müßig. Meine Situation war hoffnungslos.

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