Eine Stadt dreht durch. Andreas Heinzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Heinzel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948987206
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also“, sagte Gabi und biss in den Keks. „Wusste ich’s doch. Aber er schreit gleich noch mal, pass auf.“

      Das größte Mittelfeldtalent, das der deutsche Fußball seit Günter Netzer auf den Weg gebracht hatte, stand unbewegt am Torpfosten des Gegners und tauschte sich offensichtlich mit dem Keeper aus. Das Spielgeschehen lief derweil komplett an ihm vorbei. Die Mannschaften jagten dem Ball hinterher und versuchten, ihn irgendwie in eines der beiden Tore zu bugsieren. Welches, war ihnen nach wie vor einerlei, was zur Folge hatte, dass es mir zunehmend schwerer fiel, das Match in Ruhe zu verfolgen. Das Schlimmste aber war, dass all das den Trainer nicht zu stören schien. Max stand seelenruhig am Spielfeldrand, rief den Spielern von Zeit zu Zeit etwas zu und wirkte, als verliefe alles nach einem klaren, mir nicht ersichtlichen Plan. Wie um alles in der Welt sollte er einen Eindruck von den Fähigkeiten meines Sohns bekommen, wenn dieser erst einen einzigen Ballkontakt zu verzeichnen hatte, und den nur deshalb, weil er versehentlich angeschossen wurde und das Leder von seinem Schienbein ins Seitenaus geprallt war?

      „Du musst dich anbieten, Niklas. Spiel dich verflucht noch mal frei, damit du den Ball kriegen kannst! Auf, auf, auf!“

      „Bingo“, sagte die Strickerin. „Woher wusstest du das?“

      „So sind sie alle“, antwortete Gabi. „Wenn ihr Knirps nicht sofort Kapitän wird, drehen sie durch.“

      Meine aufmunternden Worte zeigten Wirkung Tatsächlich löste sich Niklas von seinem angestammten Platz, lief mal hierhin, mal dorthin, fand allerdings nur schwer ins Spiel. Andererseits stand er als Einziger praktisch immer frei, da die anderen fünf Feldspieler grundsätzlich gemeinsam dem Ball nachjagten und die Torhüter darauf warteten, dass, aus welchem Grund auch immer, irgendwann einmal ein Torschuss auf sie abgegeben wurde.

      Als ich schon alle Hoffnung auf ein erfolgreiches Debüt von Wenninger Junior aufgegeben hatte, passierte das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Erwartbare: Aus unerfindlichen Gründen löste sich der Ball aus dem Spielerknäuel und rollte meinem Sohn direkt vor die Füße.

      „Schieß!“, schrie ich wie entfesselt. „Niklas, schieß das Ding rein!“

      Und das Wunder geschah: Mein Sohn, mein eigen Fleisch und Blut, mein ganzer Stolz nahm sich ein Herz, traf den Ball geradezu ideal und drosch ihn mit dem Vollspann auch noch ins richtige Tor, nämlich in das das Gegners.

      „Tooooooooooooooooooor!“, brüllte ich und rannte einem Rumpelstilzchen gleich Richtung Platz. Der Spieler des Tages hatte seinen Einstand mit dem Tor des Monats gekrönt. Was für ein Schuss! Selbst Neuer wäre da machtlos gewesen.

      Folgerichtig umarmten die Mitspieler ihren Helden und warfen sich auf ihn, dass ich Angst bekam, ob sein schmächtiger Brustkorb die Last des Teams unbeschadet überstehen würde. Doch bevor ich einschreiten musste, ließen sie von ihm ab, Niklas rappelte sich auf und schlug, seinen Erfolg feiernd, erst einmal ein weiteres Rad. Von mir aus, dachte ich, ich hatte schon dämlichere Torjubelvarianten gesehen. Da ich ihn nicht in Verlegenheit bringen und ihn diesen Moment ganz für sich allein auskosten lassen wollte, blieb ich mit Tränen in den Augen in einiger Distanz zum Platz stehen. Das, dachte ich, das bedeutete für meinen Filius einen Stammplatz bei Rot-Schwarz.

      Als etwas später das Spiel und damit gleichzeitig das Training beendet war, schritt ich, in mich gekehrt wie weiland der Kaiser, über das Gelände und kostete den Moment des Sieges aus. Mein Sohn hatte das einzige, das entscheidende Tor geschossen. Es war eine gute, eine weise Entscheidung gewesen, ihn hier, in dieser Talentschmiede, anzumelden. Apropos: Angemeldet war Niklas ja noch gar nicht. Das musste ich unbedingt nachholen, schließlich fand am Wochenende das Turnier statt, und dafür musste mein Sohn offiziell zum Verein gehören. Ich fragte Max, der mich jedoch auf die Webseite des Vereins verwies.

      „Da kannst du dir das Formular herunterladen und uns zuschicken. Das geht am Schnellsten.“

      „Wird gemacht“, antwortete ich und nutzte die Gelegenheit, um den Eindruck des Trainers von seinem Schützling zu erfragen. „Und?“, erkundigte ich mich so beiläufig wie möglich. „Was sagst du als Fachkraft zum Potenzial von Niklas?“

      „Schöner Schuss“, sagte Max.

      „Hat dich das Tor nicht an etwas erinnert?“, wollte ich wissen.

      „Erinnert? An was?“, fragte er zurück.

      „Na komm“, lächelte ich und senkte verschwörerisch die Stimme. „Ich sage nur: Bar-ce-lo-na.“

      Max sah mich ungläubig an. Ich sah schon, ich musste ihm auf die Sprünge helfen.

      „Der junge Messi.“

      „Messi. Ah, verstehe, klar.“

      „Ein Jahrhunderttalent.“

      „Unbestritten.“

      Ich war froh, dass Max meinen Sohn genauso einschätzte wie ich. Jung war er, dieser Trainer, vielleicht etwas lax in seinen Methoden. Aber er hatte ein Händchen für begnadete Kicker. Für die, die es wirklich drauf hatten. Freundschaftlich boxte ich ihm auf den Oberarm, Max lächelte verlegen. Dann drückte er Niklas das Vereinstrikot in die Hand, das er beim Turnier tragen sollte. Sein erstes Trikot. Vorsichtig befühlte ich die Kunstfaser. In ein paar Jahren wäre das Stück sicher ein Vermögen wert. Ich nahm mir vor, es nach dem Turniersieg rahmen zu lassen, dann verabschiedete ich mich bis Samstag, schnappte meinen Sohn und verließ die Arena.

      Eine weitere Woche später begleitete die komplette Familie Wenninger den Jungstar von Rot-Schwarz Dornbusch zu seinem ersten offiziellen Auftritt. Während sich meine Frau beim Trainer als Mutter von Niklas vorstellte, legte sich meine Tochter Emma auf den Rasen und las. Sie wäre viel lieber zu Hause geblieben und hätte Blockflöte geübt, doch heute würde sie Zeuge eines historischen Ereignisses werden, daher hatte ich auf ihre Anwesenheit gepocht.

      Während sich Niklas umzog, kam unvermeidlicherweise Gabi auf uns zu, in der Hand ein Weizenbier. Alkoholfrei, nahm ich an.

      „Tag die Herren … oh … und Damen“, begrüßte sie uns. „Seid ihr heute mit der ganzen Familie angereist, das ist ja süß. Dann hoffen wir doch mal, dass Niklas heute auch spielen wird, hm?“

      „Das steht nach seinem spielentscheidenden Tor letzte Woche wohl außer Frage.“

      „Ja, bestimmt. Wenn Max das genauso sieht. Oh, wie schön, Niklas, du hast ja schon ein eigenes … Moment mal, was ist denn das da?“

      Gabis Gesichtsausdruck verhärtete sich, als sie Niklas’ Trikot in Augenschein nahm.

      „Das ist mein Trikot“, antwortete Niklas wahrheitsgemäß.

      „Das sehe ich. Ich meine … das da. Dreh dich mal.“

      „Das ist seine Rückennummer. Die Zehn“, klärte ich sie auf.

      „Wir haben hier keine Rückennummern.“

      „Naja, ihr vielleicht noch nicht, aber Niklas schon. Hab ich ihm extra aufflocken lassen.“

      „Sorry, aber das geht auf gar keinen Fall. Damit kann Niklas nicht spielen. Und überhaupt: Wenn hier einer ein Trikot mit der Nummer Zehn verdient hätte, dann ja wohl Oskar. Der spielt schließlich auf dieser Position.“

      „Ich denke, das entscheiden nicht Sie.“

      „Und Sie erst recht nicht, mein Lieber.“

      Damit zog sie wutentbrannt ab und stampfte Richtung Max, während Niklas die Tränen in die Augen schossen und er mich fragte, ob es stimmte, dass er heute nicht spielen dürfe.

      „Natürlich darfst du spielen, Niklas. Dafür werde ich schon sorgen. Das hat nicht die böse Hexe zu entscheiden, sondern dein Trainer.“

      Hexe und Trainer standen derweil am Spielfeldrand. Gabi sprach wild gestikulierend auf Max ein und deutete dabei abwechselnd auf meinen Sohn und auf mich, bis sich schließlich beide auf den Weg zu uns machten.

      „Hi“, begrüßte mich Max. „Ich hab gehört, dass es Schwierigkeiten mit dem Trikot von Niklas gibt.“