Eine Stadt dreht durch. Andreas Heinzel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Heinzel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948987206
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„Tolles Hemd“, befand er. Triumphierend lächelte ich Oskars Mutter an. „Aber leider kannst du das nicht anziehen.“

      „Wie jetzt?“, fuhr ich ihn an.

      „Sorry, aber wir haben hier keine Nummern. Bei unseren Bambinis gibt es keine festgelegten Positionen. Bei den ganz Kleinen ist das noch alles spielerisch, die Trikots tragen sie nur, damit sie wissen, dass sie zu einem Team gehören. Von mir aus könnten sie auch T-Shirts tragen. Und das hier … das geht leider gar nicht.“

      Max deutete auf den Schriftzug, den ich eigens auf Niklas’ Brust hatte aufdrucken lassen: Anwaltskanzlei Wenninger & Partner. Von Fall zu Fall an Ihrer Seite.

      „Hab ich doch gesagt, Max. Unmöglich, echt“, mischte sich Gabi ein.

      „Tut mir leid, Werbung auf den Trikots möchten wir bei uns nicht. Komm, Niklas, ich hab bestimmt noch ein anderes Hemd für dich.“

      „Aber Niklas spielt doch auf der Zehn, oder?“

      „Wenn einer die Zehn spielt, dann Oskar.“

      „Halten Sie sich da mal raus“, bremste ich die Furie.

      „Was erlauben Sie sich? Sie und ihr gänseblümchenpflückender, herumturnender Spross?“

      „So, jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder“, versuchte der Trainer zu beschwichtigen, doch inzwischen hatte Niklas bereits zu heulen begonnen, was meine Frau wiederum in großen Aufruhr und schnellen Trab versetzte. Sie hatte sich gerade am Getränkestand mit demselben – Gabis unmöglichem Verhalten nach zu urteilen wohl doch alkoholischen – Getränk versorgt, das mir Oskars Mutter just in diesem Moment über mein nicht eben günstiges Ralf Lauren Polohemd schüttete, was auch Gabis Sohn mitbekam, der daraufhin ebenfalls aufgeregt zu uns gelaufen kam und, als er des Geschreis der Erwachsenen und des Geheules seines Mitspielers gewahr wurde, ebenfalls zu plärren anfing.

      „Schluss jetzt!“, fuhr uns der Trainer an, doch da hatte er bereits Sybilles Weizenbier im Nacken, das eigentlich für die hysterische Mutter des Mitspielers bestimmt gewesen war.

      „Oh Entschuldigung Max, das war so nicht …“

      „Schluss! Aus!“, rief der ebenso triefende wie überforderte Juniorentrainer. „Oskar und Niklas, ihr beiden bleibt erst einmal draußen, bis sich eure Eltern wieder beruhigt haben. Und ihr …“ Max fuchtelte mit dem Finger zwischen Gabi, meiner Frau und mir hin und her, scheinbar abwägend, welchen der Erwachsenen er als Hauptübeltäter identifizieren sollte, bis der Finger – natürlich – bei mir Halt machte.

      „Euch alle will ich heute nur noch in ganz, ganz weiter Distanz sehen, verstanden? Ihr solltet euch schämen, euren Kindern so den Spaß zu verderben. Ihr seid wirklich eine Schande.“

      Damit ließ er uns zugegebenermaßen etwas bedröppelt stehen und begab sich zu den anderen Kindern, während die Eltern der beteiligten Vereine, aber auch die Trainer der Turniermannschaften kopfschüttelnd zu uns herübersahen, als wären sie gerade Zeuge eines drittklassigen Kampfes im Schlammcatchen geworden.

      „Gratuliere“, fauchte ich Gabi an.

      „Leck mich“, antwortete sie und zog von dannen, während meine Frau ihre Sachen packte, Emma schnappte und mich mit den Worten verließ, dass ich das ja schön hingekriegt hätte und dass sie es ihrerseits vorzöge, den Rest des Nachmittags zu Hause zu verbringen, und ich könnte mich ja melden, wenn der Spuk vorbei sei.

      Nach diesem für alle Unbeteiligten unschönen Verlauf des Events begann das Turnier dann schließlich doch noch, wenn auch mit leichter Verspätung. Max machte seine Drohung wahr und ließ die unschuldigen Kinder der Streithähne im ersten Spiel außen vor. Ein, wie ich fand, pädagogisch ausgesprochen fragwürdiges Unterfangen, aber gut, was konnte man von einem unerfahrenen, vermutlich schlecht oder gar nicht ausgebildeten Hilfstrainer schon erwarten?

      Niklas und Oskar hatten den Zwist ihrer Eltern hingegen schnell vergessen und feuerten sämtliche am Turnier beteiligten Mannschaften gleichermaßen an. Elf Freunde sollt ihr sein, ging es mir durch den Kopf und erfreute mich am Fairplay der Kinder. Das war echter Sportsgeist.

      Ein Verhalten, das auch Oskars Mutter gut zu Gesicht gestanden hätte, doch die Furie würdigte mich während des Turnierverlaufs keines Blickes mehr. Selbst da nicht, als Niklas und Oskar beim nächsten Spiel gemeinsam zum Einsatz kamen und Oskar auf Vorlage meines Sohns ein zugegebenermaßen sehenswertes Tor schoss und der Mannschaft von Rot-Schwarz nicht nur zum Sieg, sondern auch zum dritten Platz in der Abschlusstabelle verhalf.

      Als das letzte Spiel vorbei war und sich die Mannschaften unter dem Applaus der Zuschauer ihre Medaillen abgeholt hatten, trottete Niklas mit hängendem Kopf auf mich zu. Oje, die Enttäuschung über den verpassten Turniersieg schien ihn offenbar tief zu treffen.

      „Hey Sportsfreund“, versuchte ich ihn aufzubauen. „Der dritte Platz beim ersten Turnier ist ein schöner Erfolg. Beim nächsten Mal spielst du von Anfang an, und dann gewinnt ihr, du wirst sehen.“

      Niklas nickte stumm und wirkte weiterhin bedrückt. Oder war Gabis peinlicher Ausraster der Grund für seine Laune?

      „Du, und Oskars Mutter … weißt du, manchmal sind Mamas so. Die wollen unbedingt, dass ihr Kind das Beste ist, auch wenn sie froh sein können, wenn es den Ball überhaupt trifft, und dann sind sie neidisch auf so ungewöhnliche Talente wie dich.“

      Wieder nickte Niklas, doch seine Laune wollte sich partout nicht aufhellen. Was hatte der Star vom Dornbusch nur?

      „Eshrff …“, hörte ich ihn endlich unverständlich nuscheln.

      „Was sagst du?“

      „Eslem hört auf“, sagte er dann leise, doch einigermaßen deutlich.

      „Eslem? Wieso das denn?“, fragte ich ehrlich verwundert. Das Mädchen war zwar ein Mädchen, hatte aber zweifellos Talent.

      „Sie geht jetzt turnen“, schluchzte Niklas und drückte sich an mich, etwas das normalerweise ganz und gar nicht seiner Art entsprach. Eslems Wechsel der Sportart schien meinen Sohn zu bedrücken. Daran war nur das Radschlagen schuld.

      „Das wird ihr bestimmt großen Spaß machen, auch wenn sie wirklich super Fußball spielt. Aber dann spielst du eben mit den ande …“

      „Ich will auch turnen gehen, Papa.“

      „Turnen?“ Das Kind stand unter Schock. „Was willst du denn mit Turnen, Niklas? Du bist doch das Fußballtalent.“

      „Ich will aber turnen“, stieß Niklas unter Tränen hervor und zog sich das anonyme, nummernlose Trikot vom schmächtigen Leib. Oh mein Gott, schwante es mir, der Junge war verliebt. Ein Vater spürte das.

      „Aber wie soll das denn gehen? Fußball und Turnen? Du kommst doch jetzt in die Schule, da hast du sowieso nicht mehr so viel Zeit, und dann geht bestimmt nur eins von beiden.“

      „Ich will lieber turnen.“

      Es war sinnlos. Eslem hatte ihm komplett den Kopf verdreht. Und jetzt? Was konnte ich tun? Das Talent meines Sohnes vergeuden und ihn wegen eines kleinen Mädchens zum Radschlagen animieren?

      Eslem kam auf uns zugelaufen, setzte sich neben ihren weinenden Freund und drückte ihn.

      „Hast du deinen Papa gefragt?“

      Niklas nickte stumm.

      „Und was hat er gesagt?“

      Niklas zuckte mit den Schultern. Das war unfair. Eslem sah mich mit großen braunen Augen an Die beiden kämpften eindeutig mit unfairen Mitteln.

      „Und? Darf er, Niklaspapa?“

      „Na schön“, gab ich schweren Herzens nach. „Du kannst dir ja mal ansehen, ob das überhaupt was für dich ist. Wenn nicht, gehst du wieder Fußball spielen.“

      Niklas und Eslem sprangen auf und tanzten herum, als wären sie gerade Pokalsieger geworden. Turnen, dachte ich. Das roch nach miefigen Hallen und kreidiger Luft. Geld verdienen