„Ich setze mich inzwischen mal an die Bar, Steve, während du ein paar Nummern spielst!“, erklärte er. Da fühlte ich mich ziemlich angeschmiert. Ich bin geliefert, dachte ich mir.
Doch dann gelang es mir, ihn aus der Reserve zu locken. Ich erinnerte mich an zwei seiner Nummern. So spielte ich zuerst „Whispering“ und dann noch „Bye Bye Blues!“, beide eher in der Art von Chet Atkins gehalten. Ich rutschte wie Les über die Saiten, um ihn so zurück auf die Bühne zu locken. So bestand ich etwa darauf, einen zwölftaktigen Blues zu spielen, und begann eine Version von „D-Natural Blues“ von Wes Montgomery. Das machte Spaß und sorgte für Chancengleichheit.
Als Innovator war Les seiner Zeit stets voraus. Seine Idee eines Aufnahmegeräts, dessen acht Spuren präzise aufeinander abgestimmt liefen, führte zu Nebeneffekten wie etwa jenem Rückwandecho, das viele frühe Gesangsstimmen im Rock begleitete, sowie lange nachhallenden Verzögerungseffekten und Bandsynchronisierung oder ermöglichte auch, den Sound schrittweise aufzubauen. Er schwor auf schallweiche Tonabnehmer, obwohl sich diese nie durchsetzen konnten. (Nur ein einziges Modell der Les-Paul-Gitarre ist mit solchen Tonabnehmern versehen worden. Ich spielte so eine bei „Cactus Boogie“ auf The Steve Howe Album.)
Les nahm auch zwei Alben mit Chet Atkins auf. Sie ergänzten einander gut, und darüber hinaus gab es auf diesen Scheiben auch noch Wortwechsel und Gesang zu hören. Les Paul begriff als Erster das enorme Klangpotenzial einer Gitarre sowie ihre Eignung für Effekte und diverse Verfahren. Doch waren es letzten Endes die von ihm gespielten Noten, die am meisten Spaß machten.
Kapitel 3
Ein erster Schritt
Nach zwei Jahren voller Konzerte und unzähligen Proben betrat ich 1964 zusammen mit den Syndicats zum ersten Mal ein Aufnahmestudio.
Ich war noch nicht einmal 17 Jahre alt und spielte immer noch meine winzige Guyatone. Außerdem besaß ich eine Burns Jazz mit solidem Korpus, aber für diesen Anlass griff ich auf meine Antoria zurück. Wir nahmen in Joe Meeks Studio RGM Sound auf, das sich praktischerweise in der Holloway Road befand – nur zwei Straßen von meinem Elternhaus entfernt. Es war Kevin Driscolls Mutter, die uns bei diesem Vorspiel bei Meek, einem der angesagtesten britischen Produzenten, ablieferte. Wir schleppten unsere Ausrüstung das Treppenhaus hoch und bauten sie in einem Raum auf, von dem aus man die Busse und LKWs überblicken konnte, die die Holloway Road Richtung Highgate beziehungsweise Highbury entlangfuhren.
Die Studiowände waren mit Eierkartons beklebt, um so den Schall ein wenig in die Schranken zu weisen. Wir wurden in den Regieraum gebeten, dessen Boden mit Tonband-Schnipseln übersät war. Die mussten sich über Wochen oder gar Monate angesammelt haben. Meek erklärte uns, wie er seine zweispurigen Aufnahmegeräte und RCA-Mischpulte einzusetzen gedachte, die direkt an der Wand befestigt waren. Dann nahmen wir „Maybellene“ von Chuck Berry auf. Wir spielten die Musik in einem eher schnellen Tempo, was wir perfekt hinbekamen. Unser Drummer Johnny Melton bearbeitete seine Basstrommel samt seinem restlichen Schlagzeug, während Kevin auf seiner Bassgitarre ganz nah am Beat blieb. Tom Ladd sang seine Vocals in Meeks berüchtigtem Klo ein, das er angeblich für sämtliche Gesangsaufnahmen nutzte. Mein Solo steuerte ich später am Tag noch an derselben Stelle bei.
Die B-Seite sollte mit „True To You“ einen Song enthalten, den Tom und ich gemeinsam geschrieben hatten. Das Tempo war verhaltener und die Tonart etwas tiefer gewählt. Doch nachdem wir fertig waren, beschleunigte Joe die Aufnahme, bis alles ein bisschen nach Mickey Mouse klang. Wie aus einem Zeichentrickfilm eben. Ein anderer Trick bestand darin, die Tonhöhe des Tonbands um einen Halbton zu senken. Der Gesang konnte dann im Anschluss beschleunigt werden, um das Erreichen gewisser hoher Töne zu ermöglichen.
Unsere Single erschien schlussendlich im März 1964, kurz vor meinem 17. Geburtstag, was der örtlichen Islington Gazette eine eigene Meldung wert war. Wir arbeiteten auch weiterhin mit Joe zusammen, obwohl ich ihn oft genug daran erinnern musste, dass ich eine Freundin hatte, da er manchmal – nebst anderen offenkundigen Komplimenten – erwähnte, wie sehr ihm meine Hosen gefielen. Das konnte mitunter unangenehm sein.
Ende des Jahres kaufte ich die beste Allround-Gitarre, die man sich nur wünschen konnte. Mein Dad streckte mir 40 Pfund als Anzahlung vor, und im Verlauf von zwei oder drei Jahren zahlte ich das gute Stück in monatlichen Raten ab. So konnte ich mir jene herrliche Gitarre leisten, die mir bis heute große Freude bereitet, nämlich meine Gibson ES-175D. Damals kostete sie 210 Pfund – und heute über 4000 Pfund! Ich bestellte sie bei Selmer’s, einem großen Gitarrenhändler in der Charing Cross Road in London. Dann musste ich erst einmal zwei Monate warten, bis diese wunderschöne Gitarre endlich geliefert wurde. Ich eilte daraufhin nach Hause, um sie über meinen Fender-Tremolux-Verstärker spielen zu können. Sie klang fantastisch. Der vordere Tonabnehmer erinnerte mich an den Sound Kenny Burrells, der bis heute zu meinen liebsten Jazz-Gitarristen zählt. Der hintere Tonabnehmer verfügte über einen ungestümen Rocksound. Zusammen ergaben sie einen richtig großen, heftigen Sound – eine Kombination, auf die ich mich in meiner Karriere regelmäßig verlassen sollte.
Die ES-175 wurde zum ersten Mal 1949 in der Gibson-Fabrik in Kalamazoo in Michigan gebaut. Zunächst mit einem einzigen P90-Tonabnehmer, dann ab 1953 in doppelter Ausführung – deshalb auch das „D“ hinter dem „ES-175“. 1957 wurden die bisherigen Tonabnehmer gegen revolutionäre Brummkompensationsspulen, sogenannte Humbucker, ausgetauscht, die selbst heute noch kopiert werden. Ursprünglich spulten weibliche Angestellte die Tonabnehmer in der Gibson-Fabrik auf und führten dabei angeregte Gespräche, ohne zu ahnen, welch legendäres Produkt sie gerade herstellten. Diese originalen Pickups, die mit einem Aufkleber („patent applied for“) versehen wurden, sind heute noch heiß begehrt. Selbst nachdem das Patent ausgestellt worden war, wurden die Tonabnehmer noch eine Zeit lang mit einem solchen Aufkleber beklebt. 1964, als ich meine Gitarre kaufte, wurden 349 ES-175s hergestellt. Bis 1990, als Gibson aufhörte, derlei Zahlen zu veröffentlichen, entstanden ungefähr 37.000 Exemplare. Dieses Modell wird bis heute in vielen Varianten produziert – darunter etwa auch mein eigenes SH-Modell, das zwischen 2003 und 2014 gebaut wurde und die Spezifikationen meines 1964er-Modells imitierte. Ich erhielt Prozente auf die Verkäufe sowie jedes Jahr ein paar Exemplare. Viele Jazz-Gitarristen haben sich für mein Modell entschieden, etwa Wes Montgomery, Jim Hall, Joe Pass, Kenny Burrell und Howard Roberts. Auch andere Musiker erhielten ihre eigenen Modelle, darunter Johnny Smith, Barney Kessel, Tal Farlow und Hank Garland. Für Billy Bird wurde etwa die Byrdland gebaut. Gibson wurde im Verlauf der Jahrzehnte von Hunderten Gitarristen beworben, doch das beliebteste Modell ist bis heute die Les Paul. Meine erste Gibson galt eigentlich nicht als Rockgitarre, doch fand ich Methoden, um die Rückkoppelungen mithilfe meines Lautstärke-Pedals und der Verstärker-Einstellung zu unterdrücken. Alles, was dafür getan werden musste, war, den Bassregler nur ein wenig aufzudrehen, um jegliches Feedback zu eliminieren. Aber nur ein bisschen mehr – und man hatte ein Problem …
Die Geschichte der elektrischen Gitarre kann ganz schön verwirrend sein. Schon 1924 schlug Gibsons meisterhafter Mandonlinen- und Gitarrenbauer, der hochverehrte Lloyd Loar, eine Gitarre vor, die mithilfe eines „elektrostatischen Systems“ verstärkt werden sollte. Doch Gibson lehnte dies ab. Daraufhin baute und verkaufte Loar sein eigenes Modell, die Vivi-Tone, in geringer Stückzahl und relativ erfolglos. Rickenbacker baute seine erste elektrische Lap-Steel-Gitarre mit dem Spitznamen „Bratpfanne“ im Jahr 1931, bevor man 1934 die Spanish Electric folgen ließ. DeArmond und Dobro stellten bald neue Tonabnehmer