Mir wurde das große Glück zuteil, in fast allen möglichen Konfigurationen Musik machen zu können, doch als Solo-Gitarrist fühle ich mich am wohlsten. 2015 veröffentlichten Rhino Records meine Doppel-CD Anthology – A Solo Career Retrospective, der 2017 mit Groups And Collaborations eine Dreifach-CD folgte, die die Spannbreite meines Schaffens gut abdeckte. Diese Neuauflagen zusammenzustellen, half mir dabei, mich noch einmal daran zu erinnern, was ich in all den vielen Jahren im Musikgeschäft erreicht hatte. Dabei war aller Anfang schwer gewesen …
Kapitel 1
Gemeinsam am Start
Nach einigen schwierigen Monaten, in denen wir genau durchgekaut hatten, wie wir unseren Auftritt gestalten würden, versammelte sich im April 2017 die verbliebene und noch verfügbare Besetzung der Union-Tour von 1991, um bei der Einführung von Yes in die Rock and Roll Hall of Fame aufzutreten und eine Dankesrede zu halten. Das war kein leichtes Unterfangen.
Alan White und ich hatten seit 2004 weder mit Jon Anderson noch Rick Wakeman gespielt. Bei Trevor Rabin war es noch länger her – nämlich seit dem März 1992, als die Union-Tour in Japan ihr Ende gefunden hatte. Bill Bruford, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, war zwar gekommen, doch Tony Kaye konnte nicht nach New York reisen, und Chris Squire war bereits 2015 verstorben.
Wir begnügten uns mit einer Probe am Vortag der Zeremonie und bereiteten auch nur zwei Songs vor. Geddy Lee, Bassist und Sänger der kanadischen Band Rush, wollte beim ersten Song Bass spielen. Ich bot an, den Bass bei der zweiten Nummer zu übernehmen – um Chris die Ehre zu erweisen, ergriff ich die einmalige Gelegenheit und orientierte mich exakt an der Originalaufnahme.
Zwischen den verschiedenen anderen Mitgliedern des inneren Kreises war die Stimmung spürbar angespannt. Die jeweiligen Versuche, wieder einen Draht zueinander zu finden, waren erfolglos. Wir blieben auf Distanz, als wir beide Songs ein paar Mal spielten und versuchten, die Einsätze, Übergänge und Schlüsse auf die Reihe zu bekommen. Zu meinem Glück kreuzte auch mein Sohn Dylan auf und erhielt so weitere wertvolle Einblicke in die Chemie dieser so seltsam dysfunktionalen Truppe. Er half mir dabei, der überaus eigenartigen Gruppendynamik dieser speziellen Band zu entgehen, die 1968 – und somit zwei Jahre vor meinen Einstieg – gegründet worden war. In den Pausen vernahm ich vage Zukunftspläne, doch letzten Endes sollten diese im Großen und Ganzen im Sand verlaufen.
Vor unserem großen Auftritt glich die Bühne der einer aufwendigen Fernsehshow. Sie strotzte nur so vor Kameras, Scheinwerfern, Leuten mit Headsets und malochenden Crew-Mitgliedern. Es herrschte das reinste Durcheinander! Alles wurde noch einmal einem letzten Test unterzogen – sowohl die Musik und unsere Ausrüstung als auch unsere Geduld. Unsere jeweiligen Positionen wurden für die Scheinwerfer markiert. Noch am Nachmittag rückten dann gewisse unangenehme Themen in den Vordergrund. Bald schon strapazierten diverse Manager, Pressesprecher und Tourmanager die Nerven der Mitarbeiter der Hall of Fame mit Angelegenheiten, von denen alle dachten, dass sie bereits vorab geklärt worden wären, die aber nun offenbar doch wieder zur Debatte standen. Egal. Dabei handelte es sich um Machtkämpfe und Reibereien, die von Dummköpfen befeuert wurden, denen es schlichtweg an jeglichem Verstand fehlte.
Allerdings schien nicht alles verloren. So freute ich mich sehr, als ich herausfand, dass Dave Natelle den Sound für das Publikum vor Ort und die Fernsehübertragung mischen würde. Bei ihm wusste ich uns in guten Händen. Immerhin hatte Dave nicht nur mit Yes und Asia gearbeitet, sondern darüber hinaus auch mit den Rolling Stones und noch vielen anderen. Seine Versicherung hinsichtlich der Klarheit seines Bühnen-Mix verschaffte mir große Erleichterung. Ich verstand dies als leicht verschlüsselte Botschaft, was gut und was nicht so gut zu hören sein würde. Sobald wie möglich kehrten Dylan und ich für ein paar Stunden ins Hotel zurück.
Als wir zurückkamen, begaben wir uns in die Garderoben mit der Aufschrift „Yes“. Alan, Chris und ich waren, zunächst mit Benoît David und Oliver Wakeman und später mit Geoff Downes und Jon Davison, die letzten neun Jahre zusammen als Yes auf Tournee gegangen. 2015 hatte sich dann noch Billy Sherwood zu uns gesellt. Wir fühlten uns völlig im Recht, gemeinsam als Yes hier zu sein. Was jedoch ARW (Anderson, Rabin und Wakeman) betraf, so versuchten wir, nicht mehr Zeit als nötig mit ihnen zu verbringen.
Schließlich begaben wir uns in den Festsaal, wo Dylan und ich mit Alan, Geoff und Billy sowie unserem Manager Martin Darville am Yes-Tisch saßen. Nachdem das Electric Light Orchestra und Joan Baez geehrt worden waren, wurden endlich wir zur Bühne gelotst. Rush-Gitarrist Alex Lifeson und sein Bandkollege Geddy Lee sprachen dort als Laudatoren über unsere Musik und stellten uns einzeln vor. Dann spielten wir „Roundabout“ mit dem so ehrgeizigen Geddy am Bass. Es erfüllte uns und sicherlich auch ihn mit großem Stolz, dass er Chris so würdig ersetzte. Wir lieferten eine astreine Version ab, da wir schon vorab bei der Probe besprochen hatten, in den Strophen Freiräume zu kreieren und den Refrain nur mit meiner Gitarre zu starten. Ich wechselte dafür zwischen meiner Variax für die Akustikparts und meiner zweitbesten E-Gitarre, einer Gibson ES-175D, hin und her. Ich beendete den Song wie auf der Platte mit ein paar akustischen Klängen. Neben Jon steuerte ich außerdem meine üblichen Gesangsparts bei. Auch glaube ich mich zu erinnern, dass Trevor nicht viele von Chris’ Parts sang. Im Anschluss daran hängte ich mir für „Owner Of A Lonely Heart“ einen gemieteten Rickenbacker-Bass um. Mittlerweile spiele ich ausschließlich nur mehr Bässe von Rickenbacker, und dieser hier war identisch mit meinem eigenen. Dabei handelte es sich um ein Sunburst-Modell von 2001, das darüber hinaus jenem Bass sehr stark ähnelte, den Chris selbst gespielt hatte.
Mit dem Einsetzen des aus vier Akkorden bestehenden Intros spielte ich den Bass genau so, wie er 1982 von Chris aufgenommen worden war. Die munter-fröhliche Schlusspassage uferte in eine ungestüme Jamsession aus, und ich schaffte es sogar, kurz zu einem „Duck Walk“ anzusetzen. Chuck Berry, dessen Markenzeichen diese kühne Einlage einst gewesen war, hatte erst unlängst das Zeitliche gesegnet und war an diesem Abend schon öfter erwähnt und gepriesen worden.
Die Veranstaltung wurde nicht nur als Livestream übertragen, sondern auch noch einmal in einer gestrafften Version im Fernsehen ausgestrahlt. Einige meinten, dass wir die beste Band des Abends gewesen seien. Es war mit gerade einmal zwei Songs sicherlich das seltsamste Set, das ich je mit Yes gespielt habe. Doch kam es mir so vor, als wäre da noch eine ganz andere Macht im Spiel gewesen, die es uns erlaubte, unseren Auftritt zu absolvieren und dabei nur minimal miteinander interagieren zu müssen. Wir blieben, auch als wir unsere Reden hielten, in zwei Lager gespalten.
Jon Anderson wirkte benommen und bedankte sich wiederholt bei seiner Frau Jane und ihren gemeinsamen Freunden. Alan sprach ebenfalls eine ganze Weile. Dann war ich an der Reihe. Ich war das einzige Mitglied von Yes, das sich vorbereitet und etwas notiert hatte, so wie es die Hall of Fame von uns erbeten hatte:
„Ich möchte mich herzlich bei allen Fans dafür bedanken, dass sie all die Jahre daran geglaubt haben, wir würden es verdienen, in diese besondere Ruhmeshalle aufgenommen zu werden. Ruhm bedeutet für verschiedene Menschen Unterschiedliches. Manche mögen sich danach sehnen, während andere ihren eigenen Bekanntheitsgrad lediglich zur Kenntnis nehmen.
Da die Musik noch lange nach ihrer Entstehung für sich selbst zu sprechen imstande ist, verschafft sie auch jenen Respekt, die leider nicht mehr unter uns weilen, und ermöglicht es den verbliebenen Mitgliedern, alle gebührend zu würdigen, die an den Ideen, Melodien, Texten, Arrangements und der generellen Ausrichtung der Musik von Yes beteiligt waren. Niemand kann uns die positive Resonanz unseres Publikums nehmen, dessen Ohren offenkundig ein wenig anders gepolt zu sein scheinen als jene der allgemeinen Hörerschaft. Doch zum Glück ist es in der Lage, unsere Texturen, Harmonien und Dissonanzen zu würdigen, da diese nun einmal notwendig sind, um Musik voller Dynamik und Dramaturgie, aber auch Bescheidenheit und Gefühl sowie nicht zuletzt Lautstärke als solche in Szene zu