Wir durften nun die Welt bereisen. So buchte unser Management, die Bryan Morrison Agency, bald ein zweiwöchiges Gastspiel in einem neu eröffneten Club in Mailand. Ich verließ somit zum ersten Mal in meinem Leben britischen Boden. Unsere Manager bei der Agentur hießen Tony Howard und Steve O’Rourke, der eine Weile mit meiner Schwester Stella ging. Außerdem kümmerte sich auch ihre Rezeptionistin Gita Maslen (Rennick) um uns. Obwohl Pink Floyd ihr wichtigster Act waren, wurde uns vom Team immer eine besondere Wertschätzung entgegengebracht. Bevor sie anfingen, Engagements für uns an Land zu ziehen, lud uns Bryan ein, den Vertrag zu unterzeichnen – und kredenzte uns eine Flasche Champagner! Wir hatten das Papier nicht durchgelesen. Aber wie Musiker nun einmal sind, schlugen wir sämtliche Bedenken in den Wind und setzten einfach unsere Unterschriften darunter. Für die Band brach nun eine fantastische Zeit an.
Um nach Mailand zu gelangen, nahmen wir die Fähre über den Ärmelkanal und fuhren weiter durch Frankreich hindurch. Der Schweizer Bergpass, den wir überqueren wollten, war aber leider geschlossen! Nach einer zweitägigen Reise schafften wir es jedoch nach Mailand. Ganz kurz vor unserer Ankunft im Hotel brach dann noch die Antriebswelle unseres Vans. Und als ob das nicht gereicht hätte, beschloss der Besitzer des Clubs, dass ihm unsere Musik nicht zusagte. Er bestand darauf, dass wir gewöhnliche Popsongs anstelle unserer Kombination aus Soul und improvisierten Stücken spielen sollten.
Bereits am Ende der ersten Woche betrug unsere Hotelrechnung so viel wie die gesamte Gage, die wir für zwei Wochen bekommen würden. Das muss wohl an der ganzen Butter gelegen haben, die wir konsumierten. Butter kostete im Jahr 1966 nämlich viel Geld. Vor allem in Italien. Und dann war da noch der Wein, der in Strömen floss. Wie wir überlebt haben, weiß ich nicht mehr. Allerdings kann ich mich noch daran erinnern, dass uns überall die Leute angestarrt und ausgelacht haben. Sie sprachen Italienisch und zeigten missbilligend mit dem Finger auf uns. Warum? Nun, wir kleideten uns im modischen London-Look, doch der hatte sich noch nicht nach Mailand herumgesprochen: blumige Hemden, lange Haare und Sterne oder Glitzer auf unseren Gesichtern. Das alles wirkte auf die Einheimischen eher tuntig. Wir fielen auf wie bunte Hunde – in sehr engen Hosen!
Trotz allem amüsierten wir uns prächtig in Mailand, genossen den Lifestyle und die lautstarken Diskussionen auf der Piazza del Duomo, während wir gleichzeitig den Spott ausblendeten. Wir ließen unseren Wagen reparieren, und nach Beendigung unseres Gastspiels fuhren wir damit wieder nach Hause. In beide Richtungen betrug die Wegstrecke jeweils 1.500 Kilometer. Wir transportierten unsere ganze Ausrüstung mitsamt komplettem Schlagzeug, meiner 175er-Gitarre und dem Vox AC-50, einer Bassgitarre mit Amp und Reisegepäck und Roadie. Die gute alte Zeit war vielleicht gar nicht so gut.
Nach unserer Rückkehr schien mir der richtige Zeitpunkt gekommen, einen Schlussstrich unter alles zu ziehen, was ich zurückgelassen hatte. Dazu gehörte zu Hause bei meinen Eltern zu wohnen ebenso wie die Beziehung zu meiner damaligen Freundin und die Sauferei. Als Nächstes verbrachte ich sechs Monate zusammen mit einem amerikanischen Girl, die in einer gemütlichen Kellerwohnung in Belsize Park wohnte. Mein Bruder Philip wohnte weiterhin bei Mum und Dad, wo er im Dunkeln Miles Davis’ bahnbrechendes Album Sketches Of Spain lauschte, auf dem sich auch Gil Evans’ Arrangement von Joaquín Rodrigos „Concerto De Aranjuez“ befand. Ich liebte die originalgetreue Version von John Williams und Julian Breams, doch dies hier war ein gutes Beispiel dafür, wie Musik in einem unterschiedlichen Stil interpretiert werden kann. Verschiedene Arten von Musik zu adaptieren übte eine gewisse Faszination auf mich aus.
Mein Spiel wurde immer besser. Meine Sounds brachten die Leute dazu, Dinge zu sagen, die zwar sehr schmeichelhaft waren, mir aber letztendlich schnuppe waren. Klar, es war gut für mein Selbstvertrauen, aber ich ließ mich dadurch nicht dazu verleiten zu glauben, dass meine Aufgabe hier bereits erledigt wäre. Tatsächlich glaubte ich, dass ich noch nicht einmal die Oberfläche des Möglichen angekratzt hätte. Eigentlich befehligte die Gitarre eher mich als umgekehrt. Echo und Fuzz, Wah-Wah und Phaser waren die prägenden Gitarreneffekte jener wegweisenden Zeit. Solche Gadgets verliehen dem allgemeinen „Radau“, der aus den Verstärkern dröhnte, noch den besonderen Pfiff – ein spezielles Zischeln, das wir mit dem Sound von siedendem Frittenfett verglichen. Natürlich ist die Arbeit mit Gitarreneffekten aufgrund diverser digitaler Möglichkeiten wie etwa Verstärker-Simulationen heute noch viel faszinierender als früher.
Mir die besten Gitarristen der Welt anzuhören half mir dabei, unterschiedliche Stile zu entwickeln. Ich bin mir aber nicht mehr sicher, woher ich die Idee hatte, zwei Gitarren auf einmal zu spielen. Allerdings tat ich das schon drei oder vier Jahre, bevor ich zum ersten Mal eine Gitarre mithilfe eines kleinen Ständers abstützte. Ich hängte mir einfach eine kleine Gibson Melody Maker (einfacher Cutaway, einzelner Tonabnehmer) über die Gibson 175, stöpselte sie in den zweiten Kanal meines Amps und spielte langgehaltene Akkorde in weiter Lage auf ihr, wohingegen ich die 175 für Melodielinien einsetzte. Ein wenig später griff ich während ausgedehnter Jam-Passagen für tiefe Haltetöne darauf zurück.
Mein Schaffen mit The In Crowd war sehr aufregend, aber wir durchliefen bald schon einen großen Neuausrichtungsprozess – eine Phase der Rekonstruktion, wenn man so will. Oder in unserem Fall vielleicht D-Konstruktion, da D für uns jene zentrale Tonart war, in der wir viele unserer ungestümen, experimentellen Nummern spielten.
Eines Tages wurden wir ins Hyde Park Hotel eingeladen, um uns mit dem berühmten italienischen Regisseur Michelangelo Antonioni zu treffen, da dieser auf der Suche nach einer Band für seinen nächsten Streifen Blow Up war, der heute als Kultfilm gilt. Wir diskutierten verschiedene Ideen. Etwa, dass ich einen billigen Nachbau meiner Gitarre für die Kamera zerdeppern sollte. Ich hätte mir eher ein Bein brechen lassen, als dass ich eine meiner eigenen schönen Gitarren beschädigt hätte! Der destruktive Umgang mit ihren Instrumenten hatte einige Bands dieser Tage ziemlich berühmt gemacht, doch war das schlichtweg nicht mein Stil! Wir absolvierten dann genau einen Drehtag, bevor wir erfuhren, dass die Yardbirds uns fortan ersetzen würden. Ihre damalige Besetzung umfasste Jeff Beck und Jimmy Page, und sie waren garantiert prominenter als wir. Im fertigen Film sieht man, wie Beck eine Gitarre zerstört, die ursprünglich gebaut worden war, um meiner zu ähneln. Keith hatte für den Film sogar schon einen Song geschrieben, der logischerweise „Blow Up“ hieß. Wir nahmen ihn auf und spielten diesen geradlinigen Rock-Track Antonioni vor. Allerdings schaffte er es nicht in den Film. Dafür bekommt man ihn als einen der In-Crowd-Songs auf Anthology 2 – Groups And Collaborations zu hören.
Zu unseren Gigs zählten auch Debütantenbälle, die wie so viele unserer Shows von unserem guten Freund Lord Antony Rufus Isaacs organisiert wurden. Diese Feiern machten großen Spaß. Zunächst wurden wir gut verköstigt und dann auf die Bühne geschickt. Oft spielten wir in Festzelten kurz vor Mitternacht, um die Feierlichkeiten ordentlich aufzulockern. Das war schon sehr witzig. Tony ergatterte für uns auch einen Gig bei einer Modenschau samt Laufsteg in Knokke Le Zoute an der belgischen Küste. (Lustigerweise sollte ich mich mit Yes 1970 ebendort zu ein paar Songs von Time And A Word vor der Filmkamera in Pose werfen.) Die Reaktion auf unsere Show ließ schwer zu wünschen übrig. Im Anschluss ließen wir uns ordentlich volllaufen. Wie die letzten Deppen schleuderten wir Teller aus dem Fenster unseres Apartments im vierten Stock, in dem wir untergebracht worden waren. Die belgische Polizei rückte aus und konfiszierte unsere Reisepässe. Wir mussten uns nun die ganze Nacht lang wie brave Jungs benehmen, bevor wir unsere Dokumente am folgenden Morgen wieder ausgehändigt bekamen.
Eines Abends spielten wir vor Cream in einem Club in Portsmouth namens Birdcage, in dem wir schon ein paar Mal aufgetreten waren. Wir fanden es sehr eigenartig, dass sie nach ihrer intensiven Show in die Garderobe kamen und sich mit völlig niedergeschlagenen Minen niedersetzten und vor sich hin schwiegen. Wir waren an eine gewisse Kameraderie zwischen den Bands gewohnt und gingen davon aus, dass sie völlig verpeilt gewesen sein mussten, da sie so gar keine Freude auszustrahlen schienen. Heute verstehe ich jenen Druck, unter dem sie wahrscheinlich standen, etwas besser. Man pushte sich selbst jeden Abend ans Limit, und das Leben auf Achse vermochte einem auch ganz schön an die Substanz zu gehen. Die Nerven können dann schon mal blank liegen – vor allem, wenn auch noch „hedonistische Hilfsmittel“ im Spiel sind. Die meisten von uns kratzen rechtzeitig