Anfangs tat ich einfach bloß so, als würde ich spielen, obwohl ich eigentlich nicht wusste, wie das ging. Nachdem ich Marschkapellen und Schnulzenheinis hinter mir gelassen hatte, entwickelte ich eine Vorliebe für Les Paul sowie seine mehrspurig aufgenommenen und mitunter beschleunigt abgespielten Gitarren, die vor Hall und Echo nur so strotzten, ohne dass mir das sonderlich bewusst gewesen wäre. Auch interessierte ich mich für die Spieltechnik von Jimmy Bryant & Speedy West. Dieses Duo versah abwechselnd Tennessee „Ernie“ Fords Country/Hillbilly-Aufnahmen wie „Shotgun Boogie“ mit aufregenden Gitarren- und Steel-Guitar-Solos. Sie waren beide zwei wirklich bahnbrechende Pioniere. Ich hörte diese Musik via Musiktruhe unserer Familie, einer Kombination aus Radio und Schallplattenspieler. Bald schon aber besaß ich meinen eigenen Plattenspieler. Wenn ich damit Musik hörte, versuchte ich, die Shadows und Duane Eddy auf der Gitarre zu begleiten.
Lehrbücher für angehende Gitarristen stellten keine große Hilfe für mich dar, obwohl mir Dance Band Chords For The Guitar von Eric Kershaw durchaus zusagte. Damit erlernte ich unterschiedliche Akkordumkehrungen sowie auch ein paar komplexere Griffe, wie sie nicht allzu häufig im Rock’n’Roll Anwendung finden. So saß ich in meinem Zimmer in unserer Wohnung in Loraine Mansions und übte Akkordwechsel und Tonleitern. Auch probierte ich, mir selbst Sachen einfallen zu lassen, die sich an den Gitarrensolos jener Tage orientierten. Schrittweise war ich bald in der Lage, mir das gesamte Griffbrett in meinem Kopf bildlich vorzustellen. Ich konnte nun gewisse Muster heraushören und mir vorstellen, wo ich mit meinen Fingern hinmüsste, um bestimmte Noten oder Akkorde zu spielen. Es fühlte sich an, als müsste ich fortan zwei parallel verlaufende Leben unter einen Hut bringen. Als ob ich Kopf voraus ins kalte Wasser gesprungen wäre! Zuerst dachte ich, dass es ein guter Einstieg sein müsste, Gitarre im Stil der Tanzbands zu spielen. Oft beobachtete ich Gitarristen im Fernsehen, die ihre Akkorde zu den Bigbands improvisierten. Sie trieben zusammen mit dem Bass und dem Schlagzeug den Rhythmus voran – auf gewöhnlichen Archtop-Gitarren, wie ich selbst eine hatte. Ich stellte mir vor, wie ich auf der Bühne stünde, neben einem Sänger, und auf den Einsatz für mein Solo wartete, etwa während eines zwölftaktigen Breaks oder eines einfachen Riffs. Am besten war es wohl, die gitarrenlastigen Instrumentalstücke jener Zeit zu lernen. Wer sich diese aneignete, löste quasi das Ticket zur Mitgliedschaft in einer Band.
Gleichzeitig recherchierte ich ständig neue Gitarristen. So wurde etwa Chet Atkins bald mein absoluter Lieblingsgitarrist. Teensville von 1960 war mein erstes Album von Atkins. Seine Country-Picking-Arrangements hatten einen großen Einfluss auf mich. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, ihn auf meinem Plattenspieler anzuhören. Obwohl manchmal auch Gesangsharmonien zum Einsatz kommen – und sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt –, vermag nichts von seinen außergewöhnlichen Darbietungen abzulenken. Wie er mit dem DeArmond Volume & Tone Pedal umging, war bahnbrechend. Er hatte sich diese Technik bei den Steel-Guitar-Spielern abgeschaut. Es ist vor allem seine Daumen-Technik in Kombination mit der Melodielinie, oft noch um einen Akkord ergänzt, die mich verblüfft. Er nahm sich oft selbst bei sich zu Hause auf. Sein Sound entsprang sowohl seiner gefühlvollen rechten Hand als auch seinem Talent als Produzent. Er schlug die Saiten überraschend soft an und bewegte seine linke Hand mit großer Eleganz und Logik über das Griffbrett.
Ich hätte zwar gern alle seine Platten gekauft, doch waren nur ein paar davon in Großbritannien erhältlich. Auf Chet Atkins’ Workshop und Finger-Style Guitar ist der Sound einfach unfassbar gut. Er brachte seine Gretsch förmlich zum Swingen und Singen. Ungefähr zur selben Zeit wie Chet trieb auch Les Paul seine Karriere voran, und ich besitze von beiden ihre ersten 10-Inch-Schallplatten. Ob ihr mir glauben wollt oder nicht, aber sie heißen beide Galloping Guitars.
Chets Lebensgeschichte enthält gleich mehrere historische Meilensteine. Obwohl er lange als verkannter Held galt, wurde er letzten Endes für seine beispiellosen Leistungen rund um die Countrymusik mit vielen Auszeichnungen überhäuft. Ich durfte ihn mehrmals treffen, etwa im Rahmen eines Konzerts in London, wo er in den Achtzigerjahren mit Doug Turner auftrat, der selbst wiederum ein unglaublicher Gitarrist im Stil von Chet ist – was eigentlich noch eine grobe Untertreibung darstellt. Nach der Show überreichte ich Chet die Noten zu „Clap“. Ich wäre ja komplett durchgedreht, wenn er es jemals gespielt oder sogar aufgenommen hätte! Das letzte Mal sahen wir einander in den Neunzigerjahren, als wir beide gemeinsam mit Larry Coryell und Herb Ellis in einer vom Gitarrenhersteller Gibson veranstalteten Konzertreihe auftraten. Diese Shows fanden im Rahmen einer Musikmesse in Frankfurt am Main statt. (Larry und ich ergriffen am letzten Tag die Gelegenheit, zusammen zu jammen. Auch er war ein fantastischer Gitarrist.) Chet und ich fuhren allabendlich gemeinsam zum Club, und ich löcherte ihn mit Fragen nach Details zu einzelnen Aufnahmen. Allerdings konnte er sich nur an ein paar seiner Gitarren-, Verstärker- und Mikrofon-Einstellungen erinnern. Er hatte einen entspannten Sinn für Humor und verstrahlte diese gewisse Herzlichkeit. Ich fragte ihn auch, ob er vorhabe, noch einmal etwas mit Les Paul aufzunehmen. „Ach, nur wenn er mich anruft!“, antwortete Chet lapidar.
Angesichts seines Spiels entdeckte ich, wo ich mich selbst am wohlsten fühlte. Nicht etwa, indem ich ihn imitierte, sondern vielmehr, indem ich eigene Stücke schrieb, in denen ich auf ein paar seiner Country-Picking-Techniken zurückgriff. Er hat diesen Stil zwar nicht selbst erfunden, aber doch weiterentwickelt – nicht zuletzt für die elektrische Gitarre. Auch Merle Travis darf nicht unerwähnt bleiben, da Chet dort weitermachte, wo dieser aufgehört hatte. Scotty Moore, der ursprüngliche Gitarrist von Elvis, führte diese Spieltechnik dann in den Rock’n’Roll ein. Nur Chet war nun einmal eben der Meister, was das Picking anging – sein Stil wurde Thumb-Picking, Travis-Picking, Fingerpicking, Cross-Picking oder sogar Claw-Picking genannt. Chets DVDs Rare Performances By Chet Atkins Volume 1 & 2 sind sehr gute Retrospektiven, und auch all seine Aufnahmen – vielleicht mit Ausnahme von Christmas With Chet Atkins und Sing Along With Chet Atkins – sind es wert, gehört zu werden, so etwa die bereits genannten Finger-Style Guitar, Teensville und Workshop oder auch Down Home und The Other Side Of Chet Atkins.
Mein beschaulicher Alltag wurde dann durchbrochen, als ich mit 13 im Jahr 1960 einen üblen Husten aufschnappte. Ich schwöre, das war eine ganz schlimme Sache, die sich über zwei Monate hinzog. Immer wieder litt ich unter heftigen Husten- und Erstickungsanfällen. Zur Behandlung wurde in meinem Zimmer in der Nacht Kohlenteeröl entzündet. Ich glaube, dass das Halluzinationen bei mir auslöste, da meine Träume plötzlich völlig irre waren. Ich hatte schon zuvor sehr lebhaft geträumt, wobei ich oft irgendwo zwischen Wach- und Schlafzustand zu schweben schien. Einmal saß ich etwa auf einem Elefanten, der irgendwo in Indien durch Wände stürmte. Das war extrem bizarr! Seltsamerweise beruhigte Teensville meine Nerven aber, wenn ich mich zum Schlafen niederlegte, und lenkte mich von abstrusen Gedanken ab.
Zurück zur Musik. Ich interessierte mich weiterhin für Gitarristen, die die Explosion der Rockmusik vorweggenommen hatten. Django Reinhardt, der bei einem Brand seines Wohnwagens einst schwer verletzt worden war, spielte seine Maccaferri-Gitarre nur mit den zwei voll funktionsfähigen Fingern seiner linken Hand. Dennoch war sein Spiel wild und aufregend – samt epischen Läufen quer über das ganze Griffbrett, etlichen Triller- und Vibrato-Einlagen, die seine oft radikalen Ideen noch betonten. Ich kaufte mir ein 10-Inch-Album von ihm, auf dessen Cover nur eine einzelne Saite zu sehen war. Es trug den schlichten Titel Django und enthielt Aufnahmen von 1934 und 1935, die zum ersten Mal 1957 veröffentlicht worden waren. Zusammen mit Stéphane Grappelli führte er das Quintette du Hot Club de France an, eine der damals angesagtesten Jazz-Combos Europas.
Ich lauschte auch dem lieblichen Klang von Wes Montgomerys Gibson L-5, den er oft mithilfe seines Oktavspiels noch erweiterte. Das hieß, dass er zwei Töne, die eine ganze Oktave auseinanderlagen, gleichzeitig spielte. Außerdem hörte ich Tal Farlow und ließ mich von seinem Spiel hypnotisieren und in andere Gefilde entführen. Er war ein Gitarrist, der vor allem bei seinen Kollegen hohe Wertschätzung genoss. Ich entdeckte zudem noch viele weitere großartige Gitarristen.