Ich war da anders, weil ich Fußball einfach liebte. Ich genoss es, den Ball an meinem Fuß und die Sonne in meinem Gesicht zu spüren. Ich schätzte das Gemeinschaftsgefühl eines Teams und die Elektrizität, die durch meine Venen schoss, wenn ich ein Tor erzielte. Aber am meisten liebte ich es, Zeit mit meinem Papa zu verbringen. Während all dieser Stunden, die wir trainierten, dachte Dondinho wohl nie daran, dass ich reich oder berühmt werden würde. Damals zumindest noch nicht. Er liebte einfach nur das verdammte Spiel – und wollte seinem Sohn diese Liebe vermitteln.
Er hatte Erfolg damit. Und ich muss anmerken, dass diese Liebe nie nachgelassen hat. Sie sitzt tief in mir drin, so wie eine Religion oder eine Sprache, die man von klein auf erlernt. Mein Papa ist nicht mehr bei uns. Allerdings kann ich bis heute nicht die Liebe für das Spiel von meiner Liebe zu meinem Vater trennen.
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Im Laufe meines Lebens sollte ich die Ehre haben, in beinahe jedem herausragenden Stadion der Welt auflaufen zu dürfen – darunter das Maracanã in Rio, Camp Nou in Barcelona und sogar das Yankee Stadium in New York City. Aber meine ersten Auftritte absolvierte ich auf der geweihten Erde des „Rubens-Arruda-Stadions“, welches eigentlich kein Spielfeld im herkömmlichen Sinne war, sondern vielmehr die staubige Straße vor unserem Haus in Baurú. Die Kinder aus der Nachbarschaft waren meine ersten Kontrahenten. Alte Schuhe dienten uns als Torpfosten. Die Häuser lagen jenseits der Spielfeldbegrenzung – jedenfalls meistens. Und wenn ein verirrter Schuss eine Straßenlaterne oder ein Fenster in Mitleidenschaft zog, so rannten wir wie die Irren davon, obwohl die Schuld meistens an mir hängenblieb, da ich weithin als der größte Fußballnarr unserer Gruppe galt. Das war der Nachteil daran, Dondinhos Sohn zu sein.
Unsere Spiele unterstrichen meine Behauptung, dass Fußball die Menschen wie keine andere Aktivität zusammenbringe. Für andere Sportarten wie Baseball, Cricket oder American Football braucht man allerlei Ausrüstung und streng organisierte Teams. Das war nichts für arme, chaotische Kinder aus einem Ort wie Baurú. Für Fußball brauchten wir bloß einen Ball. Man konnte eins gegen eins oder elf gegen elf spielen – es war derselbe Spaß.
In meiner Nachbarschaft fanden sich zu jeder erdenklichen Tageszeit mindestens sechs bis zehn Kinder, die spielen wollten. Unsere Mütter waren in der Nähe, damit sie ein Auge auf uns haben konnten. Allerdings gab es nicht viel, worüber sie sich in dieser brasilianischen Kleinstadt der 1940er hätten Sorgen machen müssen – es gab keine Autos, kaum Gewaltverbrechen, und jeder kannte jeden.
Also fand praktisch ständig irgendein Match im Rubens-Arruda-Stadion statt, wenn nicht der Schiedsrichter – also meine Mutter – das Spiel unterbrach.
Eine andere Sache, die den Fußball so toll macht, ist, dass buchstäblich jeder mitspielen kann. Es ist egal, ob jemand klein, groß, stark oder geschickt ist, solange man laufen und schießen kann. Daher zogen unsere Partien alle möglichen Kinder an. Jede unserer Mannschaften war eine Miniaturausgabe der Vereinten Nationen: Da waren syrisch-, portugiesisch-, italienisch-, japanischstämmige Kinder und natürlich viele Afrobrasilianer wie ich.
Auf diese Weise stellte Baurú auch ein gutes Abbild von Brasilien dar, das so viele Immigranten aus der ganzen Welt aufgenommen hatte. Es war ein echter Schmelztiegel, nicht weniger vielfältig als die USA. Nicht viele Ausländer wissen etwa, dass São Paulo die größte japanische Community außerhalb Japans beherbergt. Baurú lag 350 Kilometer von São Paulo entfernt und war gefühlt eine Million Mal kleiner, aber auch zu uns kamen Immigranten, die auf den Kaffee-Plantagen außerhalb der Stadt Arbeit suchten. Meine Nachbarn hatten Nachnamen wie Kamazuki, Haddad und Marconi. Der Fußball ließ uns über etwaige Unterschiede zwischen uns hinwegsehen, und nach den Spielen ging ich mit zu ihnen nach Hause, um mit ihnen Yakisoba, Kebbe oder auch nur brasilianische Bohnen zu essen. Es war eine tolle Art, die Welt kennenzulernen, und weckte in mir schon früh den Wunsch, mich mit anderen Kulturen zu beschäftigen, wozu ich in den folgenden Jahren oft genug die Möglichkeit bekommen sollte.
Ich konnte es kaum erwarten, mit dem Spielen anzufangen, daher war ich auch derjenige, der in der Regel die Teams einteilte. Eine komplizierte Angelegenheit. Warum? Nun ja, ich will nicht unbescheiden klingen, aber die Trainingseinheiten mit Dondinho fingen an, sich auszuzahlen. Und das wurde zu einem Problem. Meine Mannschaft gewann ihre Spiele mit Resultaten wie 12:3 oder 20:6. Manche Kinder, sogar solche, die älter als ich waren, begannen sich zu weigern, gegen uns anzutreten. Also versuchte ich, sie zu beruhigen, indem das Team, in dem ich spielte, in Unterzahl gegen sie auflief. Als auch das nicht mehr half, stellte ich mich für die erste Halbzeit als Goalie ins Tor, damit der Spielstand vorerst ausgeglichen blieb. Erst in der zweiten Hälfte kam ich in der Offensive zum Zug. Die Entscheidung, mich damals so oft zwischen die Pfosten zu stellen, würde im Verlauf meines Lebens noch auf seltsame Weise Nachhall finden und mir schließlich auch meinen Spitznamen einbringen – denjenigen, unter dem mich die ganze Welt kennt.
Die brasilianischen Spitznamen sind eine lustige Sache – beinahe jeder hat einen, manche haben aber auch drei oder vier. Damals kannte man mich noch als „Dico“ – meine Familie nennt mich sogar heute noch so. Mein Bruder Jair war als „Zoca“ bekannt. Wenn Zoca und ich nicht gerade Fußball spielten, erlebten wir mit unseren Freunden viele Abenteuer in der ganzen Stadt – der Bahnhof etwa befand sich nur wenige Blocks von unserem Haus entfernt. Wir hingen dort herum, um uns die Leute anzusehen, die aus São Paulo oder sonst wo eintrafen. Es war unser Fenster zur weiten Welt. An anderen Tagen fischten wir im Fluss, direkt unter einer Eisenbahnbrücke. Freilich konnten wir uns keine Angelruten mit Spulen leisten, deshalb liehen wir uns runde, mit Holz eingefasste Siebe, um mit ihnen die Fische aus dem Wasser zu schöpfen. Oft liefen wir mit unseren Freunden in den Wald, der die Stadt umgab, um dort frische Mangos und Pflaumen von den Bäumen zu pflücken oder um Vögel zu jagen. Eine dieser Vogelarten hieß Tiziu, was kurze Zeit dann auch einer meiner Spitznamen war. Tizius sind nämlich schwarz, klein und schnell.
Natürlich war nicht alles nur Spiel und Spaß. Aufgrund unserer finanziellen Situation musste ich bereits mit sieben einer Teilzeitarbeit nachgehen. Mein Onkel Jorge borgte mir etwas Geld, wovon ich mir ein Schuhputz-Set kaufte. Dieses bestand aus einer kleinen Box, in der ich ein paar Bürsten aufbewahrte, und einem Ledergurt, damit ich sie mir umhängen konnte. Zuerst übte ich mit den Schuhen von Freunden und Verwandten, aber sobald ich meine Technik ausgefeilt hatte, lief ich zum Bahnhof, um dort Schuhe zu polieren. Ein paar Jahre später arbeitete ich auch in einer Schuhfabrik. Eine kurze Zeit lang lieferte ich Pastels, köstliche frittierte brasilianische Teigtaschen, die üblicherweise mit Hackfleisch, Käse oder Palmherzen gefüllt sind, für eine syrische Frau, die in unserer Nachbarschaft lebte und sie zubereitete, an einen Verkäufer. Er wiederum verkaufte sie dann an die Passagiere einer der drei Straßenbahnlinien, die durch unsere Stadt führten.
Mit nichts von alledem ließ sich viel Geld verdienen. Baurú war so arm wie das restliche Brasilien. Oft schien es, als gäbe es mehr Schuhputzer als Schuhe. Egal, wie viel ich einnahm, ich gab alles pflichtbewusst meiner Mutter, die davon Essen für uns kaufte. Wenn es uns mal etwas besser ging, gab sie mir ein paar Münzen, damit ich am Sonntag ins Kino gehen konnte.
Dann war da noch die Schule. Ich muss gestehen, dass meine schulischen Leistungen leider nicht mit meiner Performance auf dem Spielfeld Schritt halten konnten. Meine Begeisterung für Fußball machte mich zu einem schwierigen und aufmüpfigen Schüler. Manchmal verließ ich einfach das Klassenzimmer, um im Schulhof mit einem zusammengeknüllten Stück Papier zu dribbeln. Meine Lehrer gaben ihr Bestes: Sie versuchten mich zu disziplinieren, indem sie mich auf getrockneten Bohnen knien ließen. Hin und wieder stopften sie mir Papierkugeln in den Mund, damit ich aufhörte zu quasseln. Ein Lehrer stellte mich mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke. Dort musste ich die Arme von mir strecken, so wie die Christus-Statue in Rio. Ich weiß noch, dass ich einmal ziemlichen Ärger bekam, weil ich unter das Pult der Lehrerin gekrabbelt war und einen Blick unter ihren Rock riskiert hatte.
Mit der Zeit entmutigte mich die Schule. Es gab so viele andere Dinge zu tun. Ich muss leider zugeben, dass ich nur mehr sporadisch in der Klasse auftauchte. Das war damals typisch für mich. In den späten Vierzigern ging überhaupt nichts. Nur jedes sechste Kind schaffte es in die Oberschule.