Da er nicht in der Lage war, ein zweites Spiel zu bestreiten, verlor Dondinho seinen Platz im Kader und wurde zurück zu Três Corações abgeschoben. Damit begannen unsere eigentlichen Wanderjahre, eine Phase, in der meine Familie permanent kämpfen musste, um über die Runden zu kommen.
Sogar wenn es uns relativ gut ging, war es hart. Dondinho war nun oft zu Hause, um sein Knie zu schonen. Er hoffte, dass es wieder irgendwie zusammenwachsen würde und er zurück zu Atlético könnte bzw. sich vielleicht eine andere lukrative Option auftäte. Ich kann ihn gut verstehen. Er hielt diesen Weg für die beste Möglichkeit, seiner Familie ein gutes Einkommen zu bieten. Aber wenn es ihm nicht gut genug ging, kam fast gar kein Geld herein. Und natürlich gab es im Brasilien der 1940er-Jahre auch keine soziale Absicherung. In der Zwischenzeit gesellten sich noch mehr hungrige Mäuler zu uns, mein Bruder Jair und meine Schwester Maria Lucia. Die Mutter meines Vaters, Dona Ambrosina, und der Bruder meiner Mutter, Onkel Jorge, zogen auch zu uns.
Meine Geschwister und ich trugen gebrauchte Kleidung, die manchmal auch aus Getreidesäcken genäht war. Für Schuhe reichte das Geld nicht. An manchen Tagen bestand das einzige Mahl, das uns unsere Mama bieten konnte, aus einem Stück Brot und einer Banane. Dazu vielleicht ein bisschen Reis und ein paar Bohnen, die Onkel Jorge von seiner Arbeit bei einem Gemischtwarenhändler mitbrachte. Nun, damit ging es uns im Vergleich zu sehr vielen Brasilianern ziemlich gut – wir gingen nie hungrig ins Bett. Unser Haus war nicht klein und stand auch nicht in einem Slum – oder einer Favela, um das brasilianische Wort zu benutzen. Aber das Dach war undicht, und Wasser rann während jedes Sturms auf unseren Fußboden. Und dann war da noch die ständige Unruhe, die wir alle, auch die Kinder, verspürten, da wir nicht wussten, woher die nächste Mahlzeit kommen würde. Jeder, der in Armut gelebt hat, kennt diese Unsicherheit, diese Angst, die, sobald sie erst einmal in deine Knochen gekrochen ist, dich nie mehr loslassen wird. Ganz ehrlich, manchmal spüre ich sie heute noch.
Die Dinge wendeten sich zum Besseren, als wir nach Baurú übersiedelten. Papa bekam einen Job in der Casa Lusitania – einem Gemischtwarenhandel, der demselben Mann gehörte, der auch den BAC, den Baurú Athletic Club, besaß. Dieser Club war einer von zwei halbprofessionellen Vereinen in der Stadt. Unter der Woche arbeitete Dondinho als Bote, kochte und servierte Kaffee und verteilte die Post. Was eben so anfiel. Am Wochenende war er der Star-Angreifer des BAC.
Auf dem Feld zeigte mein Papa, wenn er fit war, ansatzweise die Genialität, die ihn einst beinahe bis fast ganz nach oben gebracht hatte. Er schoss viele Tore, womit er BAC zu einem Meistertitel der halbprofessionellen Liga in São Paulo verhalf. Er hatte auch ein gewisses Charisma, eine elegante und fröhliche Art, die er trotz der Rückschläge, die er als Fußballer hinnehmen musste, stets behielt. So ziemlich jeder in Baurú wusste, wer er war. Er war sehr beliebt. Egal, wo ich hinging, kannte man mich als Dondinhos Sohn – ein Titel, auf den ich heute ebenso stolz bin, wie ich es damals war. Aber die Zeiten waren immer noch schwierig. Ich erinnere mich, dass ich mir schon damals dachte, es sei unnütz, berühmt zu sein, wenn man kaum genug zum Überleben verdient.
Vielleicht hätte sich Dondinho nach einer anderen Beschäftigung umsehen können. Aber der Fußball kann sowohl großzügig als auch grausam sein. Diejenigen, die sich von ihm verzaubern lassen, können sich nie mehr wirklich lösen. Als Dondinho merkte, dass sein eigener Traum nicht mehr wahr werden würde, begann er, sich mit Herz und Seele in den Dienst des Traumes eines anderen zu stellen.
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„Du glaubst also, dass du was draufhast?“
Ich starrte auf meine Füße und lächelte.
„Kick den Ball hier hin“, sagte er, während er auf einen Fleck an unserer Hausmauer zeigte.
Wenn es mir gelänge zu treffen, was üblicherweise der Fall war, würde er kurz grinsen, nur um dann ganz abrupt wieder ernst zu werden.
„Sehr gut! Jetzt mit dem anderen Fuß!“
Volltreffer!
„Jetzt mit dem Kopf!“
Volltreffer!
So ging das viele Stunden, manchmal bis spät in die Nacht, nur wir zwei, er und ich. Das waren die fundamentalsten Grundlagen: dribbeln, schießen, passen. Wir durften in der Regel nicht auf das örtliche Spielfeld, also nutzten wir die Plätze, die sich uns boten. Das waren unser winziger Innenhof und die Straße, in der sich unser Haus befand, die Rubens-Arruda-Straße. Manchmal erzählte er mir Geschichten von Spielen, die er bestritten hatte. Dann zeigte er mir Tricks, die er gelernt oder selbst erfunden hatte. Gelegentlich erzählte er mir auch von seinem älteren Bruder, einem Mittelfeldspieler, der aber schon mit 25 gestorben war – eine weitere vielversprechende Karriere eines Nascimentos, die nie zur vollen Blüte hatte reifen dürfen.
Meistens ließ er mich fußballerische Grundlagen trainieren. Rückblickend waren einige seiner Übungen ziemlich witzig. So band er etwa den Ball an den Ast eines Baumes und ließ mich stundenlang mit dem Kopf dagegenspringen. Aber das war ein Kinderspiel im Vergleich zu Dondinhos Methode, mir beizubringen, einen Ball richtig ins Tor zu köpfen. Er schnappte sich den Ball und donnerte ihn mir mit voller Wucht immer wieder gegen die Stirn. Er schrie: „Nicht blinzeln! Nicht blinzeln!“ Sein Ansatz war, dass ich lernen müsse, die Augen offen zu halten, um den Ball gut platzieren zu können. Er befahl mir sogar, mir den Ball selbst gegen den Kopf zu knallen, wenn ich alleine sei. Nun, das tat ich dann auch. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, wie albern das ausgesehen haben muss. Allerdings hielt Dondinho das für sehr wichtig – und er hatte recht. Diese Übung sollte mir später sehr zugutekommen.
Dondinho wollte, dass ich mich neben dem Kopfballspiel auf zwei Fertigkeiten besonders konzentriere: Erstens sollte ich den Ball während des Dribbelns ganz eng am Körper führen und zweitens auf meine Beidfüßigkeit achten.
Warum betonte er diese Dinge? Vielleicht wegen der kleinen Plätze, auf denen wir kickten – den Straßen, Gassen und Höfen von Baurú. Aber womöglich auch, weil meinem Vater auffiel, wie klein und schmächtig ich war. Als Erwachsener sollte ich lediglich einen Meter siebzig groß werden, und es zeichnete sich damals schon ab, dass ich eher kurz geraten würde. Also würde ich ganz anders als Dondinho über keinerlei körperliche Vorteile auf dem Spielfeld verfügen. Da ich meine Gegenspieler weder umrennen noch höher als sie würde springen können, musste ich lernen, den Ball zu einer Verlängerung meines Körpers zu machen.
Dondinho brachte mir alle diese Dinge bei, wobei man anmerken muss, dass dies für ihn durchaus riskant war. Denn meine Mutter verabscheute die Vorstellung, dass ihr ältester Sohn ein Fußballer werden könnte. Und wer konnte ihr das verdenken? Für Dona Celeste war Fußball eine Sackgasse. Es war ein Weg, der in die Armut führte. Sie war eine starke Frau, die stets über uns wachte. Sie bewahrte stets einen klaren Kopf in einem Haushalt voller Träumer. Sie wollte, dass ich in meiner Freizeit für die Schule lernte, damit ich es später zu etwas brächte. Damals wie heute war sie der gute Engel auf unseren Schultern, der uns ermutigte, das Richtige zu tun. Sie wollte ein besseres Leben für uns. Deshalb rügte sie mich jedes Mal scharf, wenn sie mich beim Fußballspielen erwischte. Mitunter nicht nur verbal!
Obwohl sie es nur gut meinte, konnte meinen Vater und mich nichts bremsen. Was hätte sie tun sollen? Wir waren beide infiziert. Und schließlich kam der Zeitpunkt, als Dona Celeste aus dem Haus kam, uns beim Kicken sah, ihre Hände in die Hüften stemmte und resignierend seufzte:
„Wunderbar. Dein ältester Sohn! Komm bloß nicht angerannt, wenn er später hungert statt Medizin oder Recht zu studieren!“
Dondinho legte daraufhin einen Arm um sie und lachte.
„Sorge dich nicht, Celeste. Bis er seinen linken Fuß nicht unter Kontrolle hat, gibt es nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest!“
Der Elternteil, dessen eigene sportlichen Ambitionen zum Scheitern verurteilt waren und der nun eine Tochter oder einen Sohn trainiert,