Schwertmeister der Magie: Drei Fantasy Sagas auf 2500 Seiten. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Историческая фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783745214710
Скачать книгу
alt="image"/>

      Kapitel 24: Speerstein-Pilger

      Gorian blickte durch das Fenster der Greifen-Gondel auf eine endlose Eislandschaft. Trecks von Flüchtlingen zogen nach Süden, und in der Ferne kreisten Schwärme von Eiskrähen am Himmel. Es gab mehr als genug Beute für Morygors kleine Spione.

      Dann folgten endlose menschenleere, verschneite Weiten. Für Centros Bal war die Orientierung schwierig, denn Städte und Flüsse, die ihm auf seinen bisherigen Flügen stets als markante Orientierungspunkte gedient hatten, waren oft genug derart unter Schnee und Eis bedeckt, dass sie allenfalls noch zu erahnen waren. Selbst der Verlauf der Küste bot keine verlässlichen Anhaltspunkte mehr, denn nicht nur die Mittlinger See, sondern auch ein beträchtlicher Teil des Meeres von Ost-Erdenrund war längst vereist. Die thisilische Bucht war nicht mehr zu erkennen. Ein Turm ragte irgendwo aus dem weißen Nichts, und Gorian vermutete, dass es sich um das letzte sichtbare Gebäude der Stadt Thisrig handelte, wo der Herzog von Thisilien residiert hatte. Aber wirklich sicher war er da nicht.

      Das Meer zwischen Thisrig und den Küsten von Torheim und Orxanien war eine einzige weiße Kältewüste. Schneeverwehungen wanderten langsam mit dem Wind dahin wie ehedem die Sanddünen an der Küste nördlich von Thisia. Und immer wieder waren Leviathane zu sehen, begleitet von unzähligen Wollnashornreitern, die wohl in den Bäuchen dieser riesenhaften Würmer keinen Platz mehr gefunden hatten.

      „Wer soll sich diesem Heerzug des Grauens entgegenstellen?“, fragte Sheera. „Der Kaiser hat sich nach Arabur zurückgezogen und wird auch dort kaum bleiben können, wenn die Leviathane weiterhin so schnell vordringen.“

      „Wir“, gab Gorian zurück. „Jemand anderes wird es nicht wagen.“

      „Spürst du inzwischen auch diese Kälte, die alles durchdringt und in die Seele kriecht?“ Sie sprach diese Frage nicht aus, aber Gorian empfing ihren Gedanken und wandte ihr das Gesicht zu. Das ihre war blass geworden.

      Es war Morygors Aura. Dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt zu spüren war und nicht erst tausend Meilen weiter nördlich, war kein gutes Zeichen.

      Centros Bal ließ auf Thondarils Weisung hin den Greifen höher fliegen, sodass sie der Aura nicht in voller Stärke ausgesetzt waren. Zunächst linderte dies tatsächlich deren verderbliche Wirkung auf die Reisenden, dann aber wurde es wieder schlimmer. Es gab zwar in der Gondel einen Brennofen, der das Innere angenehm aufheizen konnte, doch gegen jene Art Kälte, die in die Seele kroch, vermochte das nichts auszurichten.

      Torbas wirkte ziemlich gereizt und stellte zwischenzeitlich den Sinn des ganzen Unternehmens in Frage. Sheera versank in Apathie, und auch Thondaril war ausgesprochen wortkarg, so als wollte er diesmal jener Kraft, die den Willen brach, mit stoischem Schweigen widerstehen.

      Auch Gorian spürte die Aura immer stärker, je weiter sie nach Norden kamen. Sie lähmte den Geist und ließ den Willen immer schwächer werden. Aber ebenso gut konnte sie dafür sorgen, dass jemand völlig unvorhergesehen reagierte, wie Thondaril allen warnend eingeschärft hatte.

      Sowohl Centros Bal selbst als auch seinen Zweiten Greifenreiter Fentos Roon belegte der Magie- und Schwertmeister mit einem besonderen Zauber, sobald einer von ihnen den anderen beim Ritt auf dem Greifen ablöste. Auf diese Weise hoffte er, sie gegen die Einflüsse der Aura zumindest teilweise zu schützen.

      Allerdings mussten sie ebenso sehr auf den Greifen selbst achten, denn dieses majestätische Geschöpf war ebenfalls Morygors Einfluss ausgesetzt. Dies galt sogar für die Seilschlangen, die für den Transport der Gondel sowie für die Reiterwechsel während des Fluges unverzichtbar warten.

      Gorian ertappte sich dabei, wie in ihm Gleichgültigkeit um sich griff. Er sah in die bleich gewordenen Gesichter seiner Gefährten und ahnte, dass er selbst inzwischen nicht besser aussah. Jedes Gefühl, jede Empfindung, jeder Gedanke in ihm schien allmählich abzusterben.

      „Wir müssen dagegen ankämpfen!“, empfing er Sheeras Gedanken. Er sah sie an und stellte fest, dass ihre Augen vollkommen schwarz geworden waren. Sie benutzte bereits all ihre Magie, um den lähmenden Einfluss der Aura zurückzudrängen.

      Gorian hatte das bisher noch nicht getan – zumindest nicht andauernd. Er wollte Kräfte sparen.

      Auf einmal waren da Gedanken in seinem Geist. Fremde Gedanken. Morygors Einflüsterungen? Oder stammten diese Gedanken gar nicht von dem Frostherrscher, sondern kamen aus den Untiefen seines eigenen Geistes? Er hätte es nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermocht.

      Höhnisches Gelächter, dann wieder Versprechungen, verbunden mit dem Angebot, in den Dienst des Frostreichs zu treten. „Untot. Was für ein hässliches Wort. Du solltest es nicht mehr benutzen. Ersetze es durch ›ewiges Leben‹. Denn das ist es letztlich: eine Existenz, losgelöst von den Notwendigkeiten des Lebens. Die Kälte wird zu deinem Element werden ...“

      „Das fürchte ich auch“, sagte Gorian laut, um seine Gedanken besser konzentrieren zu können. Das anschließende „Nein!“ klang schon fast wie ein Kraftschrei.

      ––––––––

      Inzwischen war Fentos Roon in eine Art Dämmerzustand verfallen und wirkte beinahe wie tot. Sheera kümmerte sich um ihn, und unter Aufbietung ihrer Heilkünste erreichte sie immerhin, dass der sich ständig verlangsamende Herzschlag des Zweiten Greifenreiters wieder etwas beschleunigte. Daraufhin fantasierte Fentos Roon vor sich hin und schien niemanden an Bord mehr zu erkennen.

      Für Centros Bal bedeutete dies, dass er nun überwiegend allein für die Lenkung des Greifen zuständig war und kaum noch Ruhepausen einlegen konnte. Zwar hatte er noch einen weiteren Greifenreiter in seinen Diensten, aber der hatte nur wenig Erfahrung, und so brachte ihn Centros Bal nur dann zum Einsatz, wenn es wirklich nicht anders ging.

      „Ich hätte mich niemals auf diesen Ritt einlassen sollen“, knurrte er, kurz bevor er sich von einer der Seilschlangen zu seiner letzten Reiteretappe vom Gondelbalkon auf den Rücken des Greifen tragen ließ.

      Der Greif flog inzwischen sehr tief, und auch Centros Bal war unter Aufbietung all seiner Greifenreiterkunst nicht mehr in der Lage, das majestätische Flugtier wieder höher steigen zu lassen. Die Gondel schwebte nur noch eine halbe Mastlänge weit über dem Eis, und wenn eine Schneeverwehung kam, schabte sie manchmal darüber hinweg.

      Schließlich veranlasste Centros Bal den Greifen, die Gondel abzusetzen. Der Greif landete daneben.

      In diesem Moment fiel die Lethargie von Gorian völlig ab. Alles, was er an Kleidung besaß, zog er an und gürtete sich jenes gewöhnliche, namenlose