Der Meister des Schwertes und der Magie schnellte empor und hatte im nächsten Moment die Hand am Griff seiner Klinge.
„Aber, Meister!“, stieß Sheera hervor.
Gorian konnte ihn nur fassungslos anstarren.
Meister Thondaril hielt inne. Seine Haltung entspannte sich wieder, und das rötliche Leuchten in seinen Augen wich jener Schwärze, die das Anzeichen für höchste Konzentration auf magische Kräfte war.
Er wirkte niedergeschlagen. Seine Hand löste sich vom Schwertgriff. „Mein Weg ist hier zu Ende“, sagte er. „Ich kann nicht weiter. Ich hatte gehofft, inzwischen stärker zu sein als damals, aber ich habe mich getäuscht. Doch dieses Mal will ich nicht den Fehler wiederholen, den ich damals beging. Diesmal nicht.“
„Was wird mit Euch?“, fragte Gorian.
Ein mattes Lächeln glitt über Thondarils totenbleich gewordenes Gesicht. „Mach dir keine Sorgen und verlier dein Ziel nicht aus dem Fokus deines inneren Auges. Du wirst den Speerstein finden. Und ich werde hier auf dich warten.“
„Wir bleiben über Handlichtlesen in Verbindung“, versprach Gorian.
„Gewiss.“
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Sie gingen bis zum Morgengrauen, und Gorian hatte die ganze Zeit über den Speerstein vor seinem inneren Auge, was er mit der Formel, die er von Meister Thondaril gelernt hatte, unterstützte.
Inzwischen war anhand einiger herausragender, wenn auch erfrorener Bäume und Anhöhen erkennbar, dass sie sich nicht mehr auf zugefrorenem Meer, sondern auf festem Land befanden.
Plötzlich sank Torbas in den Schnee. Gorian bemerkte es zunächst gar nicht, zu sehr war seine Aufmerksamkeit auf sein Ziel konzentriert.
„Gorian!“
Erst Sheeras Ruf ließ ihn anhalten und sich herumdrehen. Sie kniete bereits bei dem reglos am Boden Liegenden.
Gorian kehrte das Dutzend Schritte, das er vorausgegangen war, zurück. Torbas war so bleich wie ein Toter, den das Eis bereits mit Frost durchdrungen hatte.
„Sein Herzschlag ist kaum noch zu spüren“, sagte Sheera. „Wenn wir ihm nicht helfen, stirbt er!“
„Dann hilf ihm.“
„Danach werde ich selbst nicht mehr genügend Kraft haben, zum weiterzugehen.“
„Bleib bei ihm“, entschied Gorian, „und versuch ihn zu retten. Aber ich kann nicht warten.“
„Ich weiß.“
„Morygors Aura ist sehr stark, und ich weiß nicht, ob ich es selbst noch bis zum Speerstein schaffe.“
„Das wirst du“, sagte Sheera, aber es schwang wenig Überzeugung darin mit; eher hörte es sich an wie der Ausdruck einer verzweifelten Hoffnung. „Das wirst du, Gorian“, wiederholte sie, so als sei ihr selbst aufgefallen, wie schwach ihre Worte klangen, und als wollte sie diesen Eindruck revidieren.
Gorian blickte in Torbas’ starr gewordenes, totenbleiches Gesicht. Aus seinen Augen war jegliche Schwärze gewichen, und für einen Moment glühte es darin ebenfalls rötlich auf, aber auch das verging. Er schien Gorian nicht zu sehen, und dennoch war Gorian sicher, dass der Gefährte seine Anwesenheit spürte.
Torbas bewegte sich ganz leicht. Seine dunkelblau verfärbten Lippen öffneten sich ein wenig, aber kein einziges Wort drang zwischen ihnen hervor.
Doch da war ein intensiver Gedanke.
„Scheint, als stünde unser Plan unter keinem guten Stern, Gorian ... Aber wundert dich das? Es ist ein fallender Stern, unter dem wir geboren wurden ...“
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Gorian fühlte sich innerlich vollkommen leer, während er durch knietiefen Schnee stapfte. Mit großer Mühe überwand er eine Anhöhe. Aber es war nicht die körperliche Anstrengung, die ihm zu schaffen machte, sondern Morygors Aura, die wie ein lähmendes Gift wirkte.
Vorwärts! Zum Speerstein!
Gorian versuchte, einen anderen Gedanken gar nicht mehr zuzulassen, und die Leere, die ansonsten in seinen Gedanken herrschte, empfand er als Gnade.
„Ich erwarte dich bereits!“, dröhnte eine Stimme in seinem Kopf, und dann folgte ein hämisches Gelächter. „Komm nur ... Erreiche den Ort deiner größten Bestimmung im Augenblick deiner größten Schwäche und – stirb! Oder bleib zurück und werde zu einem wimmernden Stück Fleisch, an dem sich meine Eiskrähen laben werden!“
„Schweig!“, brüllte Gorian in das dunstige Eisgrau, das ihn von allen Seiten umgab und die Sicht auf kaum mehr als drei oder vier Schiffslängen begrenzte. Er schalt sich einen Narren. Das wollte diese Kreatur doch nur. Dass er seine Kräfte völlig verausgabte, noch ehe er den Ort, an dem sich sein Schicksal erfüllen sollte, überhaupt erreichte.
„Erinnere dich dessen, was du über Meister Domrich erfahren hast“, meldete sich die Gedankenstimme erneut. „Und bereite dich auf ein ähnliches Schicksal vor, du großspuriger Narr!“
Gorian dachte an Ar-Don. In diesem Moment wünschte er sich wie selten zuvor die Anwesenheit dieses oftmals sehr zwiespältigen Wesens. Es war in den Bergen zwischen dem Estlinger Land und Nomrigge einfach verschwunden. Wahrscheinlich hatte Meister Thondaril recht gehabt, als er sagte, dass der Gargoyle, sein Handeln und seine Motive niemals wirklich einzuschätzen waren.
An dem Morgen, bevor sie aus Basaleia aufgebrochen waren, hatte Gorian einen Schatten auf dem hohen Fenstersims seiner Zelle im Gesandtschaftshaus des Ordens gesehen, dann war ein geflügeltes Wesen davongestoben. Gorian hatte nicht einmal den Schatten richtig erkennen können, und es konnte gut ein Exemplar der vielen heimischen Fledertierarten gewesen sein, für die das Basilisken-Reich bekannt war.
„Du bist allein, Gorian!“, hörte er erneut die dröhnende Stimme in seinem Geist. „Kein Meister an deiner Seite, keine Heilerin, die sich um deine Wunden kümmern könnte, und der Gefährte, der das zweite Schwert führen sollte, ist zu schwach, um sich noch auf den Beinen zu halten!“ Wieder folgte hämisches Gelächter. „Ist das nicht der Augenblick, die Realitäten des Polyversums anzuerkennen, statt sie sinnloserweise zu verfluchen oder zu bekämpfen? Du wirst keine andere Schicksalslinie beenden außer deiner eigenen!“
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Als dunkler Schatten tauchte der Speerstein aus dem grauweißen Dunst auf. Die Form des Felsens war so charakteristisch, dass es keinerlei Zweifel geben konnte, dass es sich um eben diesen handelte. Wie die Spitze eines gigantischen Speers ragte er aus dem gefrorenen Erdreich, und