Richtig zurückgekehrt sieht man am Abend in einer live-Sendung des Fernsehens, wie die flexibel eingeschobene Hinrichtungsmeldung von zahlreichen Studiogästen beklatscht und vom Moderator bewitzelt wird: er empfinde eine klammheimliche Freude.
Unausweichlich zuhause findet man in den folgenden Tagen in allen Zeitungen das tote Gesicht mit der Brille.
Sie hatten ihn schon oft getötet als er noch lebte, und jetzt war er ihnen noch nicht tot genug.
Einigen wenigen ist es peinlich, sie fürchten um ihre europäische Reputation und meinen, sie könnten als Regisseure dieser Inszenierung, die gar keiner bedarf, im Ausland gelten und wiegeln deshalb vorsichtig ab; man sollte es nicht allzu toll treiben.
Im Konzentrationslager wie in den okkupierten Gebieten ließ man die von der SS und den Einsatzkommandos Erhängten noch tagelang am Baum oder am Galgen baumeln, damit jeder sehen konnte, wie im sicheren Zweifelsfall auch mit ihm verfahren würde. Doch die allgemeine Drohung, wie sie den tagelang gezeigten Bildern in Zeitungen und Magazinen anhaftet, ist bloß sekundär, traditionelle Abschreckung.
Was die Zurschaustellung der Opfer der Nazis mit der mediengerechten Aufbereitung der getöteten RAF-Mitgliedern verbindet ist der grenzenlose Zynismus. Die Toten müssen ein Stück Dreck sein, ehe sie zu Erde werden dürfen.
Hitler hat, entgegen anderslautenden Behauptungen, den Krieg doch gewonnen.
Apokalypse Now – »Abschied für immer von einer Stätte des Grauens« lautete die Überschrift in der als linksliberal eingestuften Tageszeitung. Was wurde angezeigt? Eine Rezension über die Befreiung von Buchenwald? Ein Bericht über kambodschanisches Flüchtlingselend? Ein Report über die Rückkehr der wenigen Überlebenden der Kommune von Jonestown? Knapp gefehlt: Unter diesem Titel berichtete der Sportinformationsdienst über ein Fußballspiel zwischen der Bundesrepublik und Malta im maltekischen Stadion von La Valetta. »Die deutschen Fußballer«, heißt es dort, »verließen das Gzira-Stadion von La Valetta auf Malta mit dem Gesichtsausdruck von Männern, die soeben einem Verhängnis entronnen sind.« Der Boden sei holprig dort gewesen, habe ein flüssiges Spiel der deutschen Mannschaft verhindert.
Die apokalyptischen Wendungen des Reporters, welche ein Stadionrund in den Neunten Kreis der Hölle verwandeln, kommen nicht von ungefähr. In ihnen teilt sich die Ahnung mit, dass nicht nur der Rasen wunschgemäß gestutzt werden muss, damit es zur Katastrophe kommt. Eine schlecht gespülte Tasse oder ein ungebügeltes Hemd haben heute alle Eigenschaften, die früher den Göttern zukamen: sie werden zum Auslöser einer Tragödie. Wenn man daran denkt, dass ein paranoider Präsident Nixon nur schlecht geschlafen haben musste, um anderntags Wahnsinnsbefehle an seine – Gottseidank bloß von instrumenteller Vernunft besessenen – Generäle durchzugeben, so ist man wiederum froh, dass die Deutschen durch alliierte Vorbehalte nicht schon wieder in der Lage sind, bloß weil sie ein Fußballfeld, das ein Fußballfeld ist, juckt, deshalb gleich die halbe Welt in die Luft zu jagen. Denn damit würde wirklich jeder löchrige Boden von La Valetta zu einer Stätte des Grauens, von der ein Abschied für immer ausginge.
Seelenwanderung – In Goethes »Belagerung von Mainz« ist in der Eintragung vom 25. Juli 1793 nachzulesen, wie er einen verkleideten, aber trotzdem entdeckten Jakobiner der Wut der Volksmassen entriss, weil er »lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen« wollte.
Fast 180 Jahre später liefert ein gewerkschaftlich organisierter Goethekenner, also ein Deutschlehrer, eine verkleidete, aber trotzdem als Ulrike Meinhof erkannte Frau der Polizei aus, weil die Ordnung nicht zu ertragen eine Gerechtigkeit begehen hieße.
Verlustanzeige – Nach einigen Tagen ging er zum zuständigen Polizeirevier und meldete sich als vermisst. Dem Beamten, der die Anzeige aufnahm, gab er eine genau Beschreibung seiner Person, Alter, Größe, Gewicht, Haar- und Augenfarbe und auch der Kleider, die er am Leibe trug.
Der Polizeibeamte notierte alles sorgfältig und versprach, ihn zu benachrichtigen, sobald man eine Spur gefunden habe. Wenig später erhielt er die telefonische Mitteilung, der Vermißte sei hilflos aufgefunden und unverzüglich ins nahegelegene Spital gebracht worden, wo er ihn, nach Rücksprache mit dem verantwortlichen Stationsarzt jederzeit besuchen könne. Im Geschwindschritt machte er sich auf den Weg zum Krankenhaus, erklärte dem Pförtner sein Begehren und wurde ohne Umschweife zu dem Patienten vorgelassen. Als er sich im Bett da vor sich liegen sah, schüttelte er den Kopf, dankte der Schwester und wandte sich zum Gehen. Es ist ein Irrtum, dachte er, es ist der Falsche.
Traumjob – Herr K. traf unterwegs einen alten Bekannten. »Wie geht es Ihnen denn?«, erkundigte sich Herr K. »Wunderbar«, entgegnete der Bekannte, »ich habe endlich den Beruf meines Lebens gefunden.«
»Sie Unglücklicher«, sagte Herr K. erbleichend und ging eilends weiter.
Arbeit macht frei – Das Foto zeigt eine Gruppe demonstrierender Arbeiter, die ein Plakat vor sich hertragen mit der Aufschrift: Wer aussperrt, soll eingesperrt werden.
Dass die Aussperrung der Arbeiter untersagt werden soll, wie durch einen Artikel der hessischen Landesverfassung etwa, das fordern die Gewerkschaften. Sie halten dieses Mittel in den Händen der Unternehmer für eine einseitige und unzulässige Verschiebung eines Zustandes, den sie als Tarif- oder Sozialpartnerschaft bezeichnen.
Sie haben vollkommen recht. In der Regel wird eine Aussperrung dadurch beendet, dass die Arbeiter wieder eingesperrt werden. Das Verbot der Aussperrung und das Recht auf Arbeit als Verfassungsartikel würde endlich beide, Unternehmer und Gewerkschaften, zu gleichberechtigten Aufsehern von Häftlingen machen, die längst ihre eigenen Wärter geworden sind.
Paradise lost – Offensichtlich war, dass es Oben nichts zu holen gab. Die Geschichte des deutschen Bürgertums: eine lückenlose Chronik der Selbstentmündigung.
In der Mitte schon immer potentielle Nazis.
Also machte man sich an Unten zu schaffen und entdeckte die Arbeiterbewegung. Deren Repräsentanten stimmten gerade mit 35jähriger Verspätung einem Ermächtigungsgesetz zu. »Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!«, war eine der populären Empörungen. Sie wurden auf der Straße skandiert von jenen, die nicht wahrhaben wollten, dass die deutsche Arbeiterbewegung nicht mehr war, was sie nie gewesen war. Lange bevor es Volkswagen und Neckermann-Reisen gab, hatten die deutschen Arbeiter ihr Erstgeburtsrecht wirklich für einen Eintopf verkauft.
Wer hat recht? – Der liebe Knecht!
Ein Landaufenthalt – Wie einer, am Ende seiner Kräfte und mit dem letzten, verzweifelten Versuch, endlich – so oder so – eine Entscheidung herbeizuführen, das Angebot eines alten Freundes, sich für gewisse Zeit in dessen Haus auf dem Lande, von welchem er gar nicht gewußt, zurückzuziehen, nach einigem Bedenken, fast schon erleichtert, annimmt; wie er, wirklich auf dem Lande angelangt, das abgeschieden in einem Wäldchen stehende Gebäude mit wachsender Ruhe in Augenschein nimmt; wie er für die künftigen Tage, fast schon befreit, in den fremden Räumen den wenigen mitgebrachten Dingen einen zweckmäßigen Platz zuweist; wie er in der Nacht, kaum, daß er eingeschlafen ist, von Schritten geweckt wird, die er ums Haus schleichen hört, sich vorsichtig erhebt, sich zur Tür tatstet und, das Ohr an sie pressend, draußen, in unmittelbarer Nähe, deutlich Atemzüge vernimmt, nicht weiß, wie lange er so verharrt, und in der Frühe, sobald das Morgengrauen durch die Bäume dringt, fluchtartig abreist, ohne zu wissen, wohin.
Höhenluft – Daß man den Dingen nicht mehr auf den Grund kommen soll hat selbst einen, nämlich keinen. Realitätssüchtig ist, wer am Rande des Abgrunds auf dem Teppich bleibt, wer mit beiden Beinen auf des Messers Schneide steht und mit geschlossenen Augen die Gratwanderung entlang der Bodenlosigkeit absolviert. Die Blinden sind die Hellseher von heute, wer also nichts wissen will, weiß alles.
Wenn man darüber leicht den Verstand verlieren kann, so setzt das voraus, dass man ihn zuvor besessen hat. Wer heute Vernunft oder Wahrheit oder