Horst, Daniel Meuren, Ali, unser marokkanischer Ailton, Rasha, ein ehemaliger jugoslawischer Jugendnationalspieler, Michael, Stefan und Martin traten uns daraufhin 6:1 beziehungsweise eher 2:0 in Führung, praktisch uneinholbar jedenfalls. Aus unerklärlichen Gründen stand es zur Pause, nach zwanzig Minuten, dann 5:5. »Wär’ doch ein schönes Endergebnis«, schnaufte Stefan. Auch so ein Eintracht-Fan. »Das ist Unentschiedendefätismus!« wies ich ihn zurecht.
»Sie sind jünger, sie sind flinker. Aber wenn wir gewinnen wollen, gewinnen wir«, heizte Ali den Teamspirit an. Jetzt wollte ich gewinnen. Kurz nach dem Wiederanpfiff rannte ich einem Steilpaß auf halbrechts hinterher, segelte über ein gegnerisches Schienbein, zerfetzte mir das Knie und bewunderte die Flugbahn meiner Brille. »Jürgen, raus!« brüllte Katja. Ich hörte Apollo häßlich lachen.
Als ich total untrainierter Affe vom Platz kroch, wuchs an meiner rechten Wade in Sekundenschnelle ein handtellergroßes Ei. Unter der linken Kniescheibe floß das Blut. Katja schmiß aus Solidarität ihre Brille in den Sand und wechselte zwei Minuten vor Schluß wie eine Blinde. Prompt fiel das 7:8. Mein linkes Bein vergoß rote Tränen, der rechte Unterschenkel lief blau an.
»Ich möchte deiner Verletzung nicht zu nahe treten«, sagte Daniel wenig später. »Aber da muß man dreimal fest drauftreten.« – »Ihr habt verloren! ›No comment!‹ heißt das bei uns«, höhnte Apollo vom Grill herüber. Martin wollte das Resultat »bei der FIFA anfechten« und dekretierte im Hinblick auf eine etwaige Revanche: »Bedingung: Jeder muß vorher zwei Bier trinken.«
»Ich trinke schon das zweite Bier«, sagte Horst und trat dem Bierkasten in den Arsch. »Biertrinken ist doch leichter als Fußballspielen«, sagte ich und versprach: »Wir haben ihnen den Pokal bloß geliehen. Das nächste Mal rufe ich wirklich Nia Künzer an. Und dann gnade ihnen Griechenlands größter Gott: Apollo!«
Damit das mal klar ist.
Lachmund oder: Das Zaudern der Radiorecken
Am 29. Juni feierte Ror Wolf seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag. Aus diesem hohen Anlaß las Christian Brückner im Großen Bismarcksaal der Mainzer Sektkellerei Kupferberg wunderbar bedachtsam aus Ror Wolfs Prosa- und lyrischem Werk, und danach saßen wir, wie es sich gehört, lange und vergnüglich in kleiner Runde beisammen, auch, um über Fußball zu plaudern.
Ror Wolf ist – vollkommen zu Recht – wiederholt als »Deutschlands Fußballpoet Nummer eins« gerühmt worden, und Bundespräsident Horst Köhler ließ es sich nicht nehmen, ihm zum Wiegenfest ein Glückwunschschreiben u. a. folgenden Wortlauts zu schicken:
»Sehr geehrter Herr Wolf, zu Ihrem Geburtstag sende ich Ihnen alle meine guten Wünsche. Mit Ihrem Werk haben Sie sich in der deutschen Literatur eine einzigartige Stellung erschrieben. Ihr Ton ist unverwechselbar. Niemand sonst vermag es so wie Sie, im Alltäglichen und Trivialen das Komische, Absurde und auch Abgründige zu sehen und darzustellen. […] Nicht zuletzt dem Fußball haben Sie unvergeßliche literarische Denkmäler gesetzt – und in Ihren Hörspielen nicht nur die Sprache des Fußballs seziert und neu montiert, sondern, quasi nebenbei, die Stimmen der Reporter bewahrt, die uns in jüngeren Jahren die Bundesliga im Radio erleben ließen.«
Das ist alles weithin korrekt und schön gesagt, doch müssen wir uns mit wachem Blick auf die Gegenwart, das heißt im Hinblick auf die neue, die fünfundvierzigste Fußballbundesligasaison gewissenhaft ein paar nicht-präsidiale Fragen stellen. Was hat sich verändert, seit Ror Wolf in den siebziger Jahren seine fabelhaften O-Ton-Collagen produzierte? Wo steht der Bundesligafußball heute? Ist er besser als vor dreißig Jahren? Und wie sieht es mit den allgemeinen Bodenverhältnissen aus?
Früher sind die Bodenverhältnisse im Fußball stets ein Thema von übergeordneter Bedeutung gewesen. Oft war mit ihnen nicht sonderlich zu spaßen, nein, nicht selten war es, wie wir in Ror Wolfs akustischen Kunststücken erfahren, um sie durchaus ganz und gar fürchterlich bestellt.
Der »Boden – Ohoo! Rohrbach geht zu Boden. Ooohooo!« –, der Boden zum Beispiel in Bremen war außerordentlich tückisch. »Hier in Bremen ist das Weserstadion, ist der Rasen hier natürlich glatt und rutschig«, hieß es, denn: »Es regnet auch jetzt wieder hier in Bremen, der Boden ist glatt und rutschig.«
Selbstverständlich änderte sich an diesen Bremer Bodenbedingungen im Grunde nie etwas: »Es regnet jetzt in Strömen hier in Bremen, die Bodenverhältnisse werden immer schlechter, der Rasen ist glatt und rutschig.«
Aber auch jenseits von Bremen fristete die Bundesliga ein bedrückendes Dasein: »Dunkle, tiefe Regenwolken liegen über dem Wuppertaler Zoostadion. Man rutscht mir ein wenig zuviel da auf dem nassen Rasen, auf dem glatten, auf dem tiefen Boden hier, und ich darf Ihnen noch sagen, daß dieser Boden recht schwer bespielbar ist.«
Heutzutage haben wir dank der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr überall beste Bodenverhältnisse und von Gelsenkirchen bis Frankfurt Stadiondächer, durch die kein Regen rinnt und dringt – vorbei mithin die Zeiten, in denen die Reporter ausdauernd ihr Bedauern zum Ausdruck bringen mußten:
»Oh, es ist sehr glatt da unten, ja, die Männer dort unten auf dem Rasen tun mir leid.«
Wer an den modernen, griffigen Rasen in Dortmund oder an den gerollten, gewickelten, gestriegelten Rasen auf Schalke denkt, erkennt sofort, welche Fortschritte der Bundesligafußball also zu machen vermochte. Doch nicht nur der Rasen hat sich stark verbessert, auch in klimatischer Hinsicht ist für die oberste Spielklasse eine segensreiche Epoche angebrochen.
»Ungünstige Verhältnisse, am Vormittag Schneeregen, dann Schneefall, unangenehm kühle Temperaturen, ein schneebedeckter, glitschiger Rasen«, das war einmal. »Tief, sehr tief ist jetzt das Gras hier geworden nach diesem pausenlosen Regen seit heut’ morgen, gelegentlich schon gestern«, so hörte sich das an. Und wenn der Himmel gelegentlich seine Schleusen schloß, mußte von anderen Mißlichkeiten berichtet werden. »Die Nässe verdampft«, vernahm man dann deprimiert, scheußlich schwül war’s plötzlich, schwer lagen die Dunstglocken über den Fußballfeldern – bis es wieder von vorne losging:
»Und es regnet in Düsseldorf, es regnet seit etwa sechs, sieben Minuten.« – »Es werden Schirme aufgespannt. Es regnet, es regnet erneut, auch das noch!« – »Wie ein Perlenvorhang hängt der Regen hier vor unserem Tribünendach herunter«, »der Ball erstickt im Wasserstrudel«, »die Tiefstrahler sind immer noch an und täuschen uns einen Sonnenschein auf dem Grün des Rasens vor.«
Kurzum, »einmal regnet’s, einmal schneit’s, einmal scheint die Sonne«, das war die traurige Wetterregel, und das Klagen kannte kein Ende: »Wäre der Boden doch trockener – diesen Seufzer müssen wir immer wieder tun.«
Ror Wolf hat der unermeßlichen Ausweglosigkeit der einstigen Wetterverhältnisse auch einen Vierzeiler gewidmet: »es schneit, dann fällt der regen nieder, / dann schneit es, regnet es und schneit; / dann regnet es die ganze zeit, / es regnet, und dann schneit es wieder.«
Heute müssen wir Gott sei Dank nicht länger mit einem derart ungebührlichen, wechselhaft-wetterwendischen Wetter hadern. Angela Merkel sorgt ganz im Sinne von Franz Beckenbauer, Franz Müntefering und Max Merkel sel. ganzjährig für nahezu gleichbleibend schönes, gutes, wahres Fußballwetter. Im Winter schneit es nicht mehr, und es fallen keine Spiele mehr aus – etwa wegen nimmer endenden Schnür- oder Sturzregens –, so daß wir während der gesamten Spielzeit 2007/2008 beseelt werden ausrufen können:
»Mein Gott, welches Wetter!«
Gleichfalls in der Frage der Spielernamensnennung sind, die Interjektionen, die begeisterten Ausrufe der Reporter, hier beiseite lassend, ungeheure Verbesserungen erzielt worden. Lange haben wir uns begnügen müssen mit »Müller. Grabowski. Müller. Grabowski. Grabowski.« – »Weber. Oder Cullmann. Oder wer auch immer.« Oder einfach mit: »Hoeneß.« Beziehungsweise mit solch schlichten Stafetten: »Das ist die Nummer sechs, das ist Brei! Und jetzt ist Rummenigge –