Die Akademie hatte vor drei Jahren begonnen, durch Podiumsdiskussionen zwischen Otto Schily und Edmund Stoiber, Paul Breitner und Urban Priol oder Jürgen Klinsmann und Klaus Theweleit öffentliche Aufmerksamkeit zu mobilisieren. Mittlerweile habe sich, führt Günter Joschko aus, neben regelmäßigen Veranstaltungen aller Art die Website www.fussballkultur.org zum »Internetportal zu Fußball und Kultur schlechthin« gemausert, dessen Bedeutung sich etwa an den zahlreichen Linklisten sowie an den »Themen des Monats« ablesen lasse, seien dies Debattenbeiträge über die wuchernde Kommerzialisierung, den Rassismus auf den Rängen, die Entwicklung des Frauenfußballs, die zunehmende Zahl von Stadionverweisen – oder sei es auch mal eine Polemik gegen den FC Bayern.
Zentrales Thema der Akademie aber scheint vorerst die Frage zu sein, wie man mit dem Deutschen Fußball-Kulturpreis weiter verfährt, der dieses Jahr zum zweiten Mal ausgelobt worden war und sich als geeignetes Vehikel zur Generierung von Öffentlichkeit erwiesen hat. Unstrittig unter den zur Zeit dreiundsiebzig Akademiemitgliedern ist lediglich, die mit jeweils 5.000 Euro dotierten Sparten »Fußballbuch des Jahres« und »Lernanstoß – der Fußballbildungspreis des Jahres«, mit dem pädagogische Programme an Schulen und in Vereinen prämiert werden, sowie den doppelt so hoch dotierten »Walther-Bensemann-Sonderpreis« beizubehalten. Doch die Verleihung der letzteren Auszeichnung, die Persönlichkeiten des Fußballs ehren soll, die sich »mit Mut und Pioniergeist für mehr gesellschaftliche Verantwortung, Fair play und interkulturelle Verständigung« engagieren, im vergangenen Jahr an ausgerechnet Franz Beckenbauer und heuer an den millionenschweren Altweltstar Alfredo Di Stéfano rief bei etlichen Akademiemitgliedern im nachhinein regelrecht Empörung hervor. Der Sportwissenschaftler Dieter Jütting hätte post festum wohl am liebsten beide Entscheidungen annulliert, und Volker Goll von der Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der Deutschen Sportjugend bekannte, während der Zeremonie »nah am Zwischenruf« gewesen zu sein.
Was Beckenbauer und Di Stéfano mit der wie auch immer umrissenen Kultur des Fußballs am Hut haben, bleibt ein Rätsel, auch wenn Jochen Hieber von der FAZ dafür plädierte, den »Fußballkulturbegriff« sehr, sehr weit zu fassen und den »Glamour- und Medienfaktor« nicht geringzuschätzen. Ob künftig, wie auf dem Akademietreffen erwogen, Preise für Fußballkurzfilme oder -jugendbücher vergeben werden, wird sich weisen. Daß man, versicherte Günter Joschko, auf keinen Fall »die beste Stadionbratwurst« als Beleg für eine erfreulich ziselierte Fußballbratwurstkultur dekorieren werde, beruhigt immerhin. Doch jenseits der Preisverleiherei bliebe gewissermaßen prinzipiell zu fragen, ob die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur – neben der angeregten stärkeren Unterstützung klassisch-akademischer Forschungsprojekte – in den Fußball selbst zurückzuwirken und womöglich Tendenzen zu beeinflussen vermag, die im Sinne der Fußballkultur abträglich erscheinen. Stefan Erhardt ist da eher skeptisch:
»Ich fürchte: im Moment nicht. Dadurch, daß eben der, ja, jetzt gehen wir mal vom Populärfußball aus, sprich also vom Profifußball, daß der stark eingebunden ist und da auf absehbare Zeit auch so schnell nicht mehr rauskommen wird – eingebunden ist in die rein manchesterkapitalistischen Strukturen –, wird’s so sein, daß sich die Vereine eher vom Geld beeinflussen lassen als von einer Akademie. Wo die Akademie wirken könnte, wäre auf längere Sicht vielleicht, einen Gegentrend gegen diese Geldmaschine Fußball zu setzen – und das zu erreichen, was ja viele in England auch mit diesem ›Reclaim the game‹-Slogan vor Jahren schon ins Leben gerufen haben: nämlich ’ne Bewegung zurück zum eigentlichen Spiel, und da ein Bewußtsein zu schaffen.«
Das läßt im begrüßenswert altmodischen Sinne auf mehr Autonomie, auf Kritik und Aufklärung hoffen:
»Das ist ja, denk’ ich auch, meines Wissens und meines Verständnisses nach ’ne Aufgabe von einer Akademie, die ja unabhängig auch sein soll: Kritik im Sinne zu üben nicht, daß man Dinge schlechtmacht, sondern daß man Zusammenhänge aufzeigt, erhellt, daß man Abhängigkeiten verdeutlicht, die Zustände erklärt und dadurch auch versucht zu verbessern. Also, es ist schon ein, wenn man so will, aufklärerischer Anspruch, den ich zumindest mit ›Akademie für Fußballkultur‹ auch verbinde.«
Und der, der aufklärerische Anspruch, könnte sich vielleicht sogar an die Akademie selbst richten. Denn wenn man sieht, daß Ronny Blaschke, der mit seinem Reportagenband Im Schatten des Spiels – Rassismus und Randale im Fußball den Fußballbuchpreis 2007 gewann, einerseits Akademiemitglied ist, andererseits in der Jury für die Auszeichnung »Fangesang des Jahres« sitzt, in welcher zudem das Akademiemitglied Christoph Biermann hockt, der seinerseits den Silberplatz in Sachen Fußballbuch belegte; und daß, zum dritten, der dito untadelige FAZ-Mann Christian Eichler als Akademiemitglied neben anderen für die Nominierung des »Fußballspruchs des Jahres« geradestand und in dieser Funktion eine Sentenz von sich höchstselbst in die Finalrunde befördern mußte – dann möcht’ man sich schon mal drei, vier Sekunden lang die Augen reiben.
Und das sagt notabene jemand, der selber auf dem schmählichen dritten Buchrang gelandet und deshalb natürlich neidisch und zutiefst gekränkt ist.
Was denn noch?
Die Sklaverei wird abgeschafft? Man führt die allgemeinen Menschenrechte ein? Der Homo sapiens erobert den Mond?
Was für schäbige Marginalien im Vergleich zu der Tatsache, daß ab der kommenden Saison ein Mann das Cheftraineramt beim eingebildetsten Fußballklub Mitteleuropas bekleiden wird, der in der Welt des in Virilio-artigem Tempo hysterisierten Hochleistungssports bis dato zumal durch das Tragen ochsenteurer Anzüge, den im Neosprech der neoliberalen Gutsherren propagierten Einsatz von Strampelhosen und Gummibändern sowie die wissenschaftliche Auswertung von Strandspaziergängen auffällig zu werden vermochte. Und, natürlich, durch die von Sönke Wortmann in dem quarkigen Rührstück Deutschland – Ein Sommermärchen dokumentierten Spitzensportsmannparolen etwa dergestalt, man werde sich von den Polen, den alten Kartoffelsäcken, nicht »das Butter« (Edmund Stoiber) vom Brot nehmen lassen – oder so ähnlich.
Jürgen Klinsmann war, das hatte man dem Post-WM-Jahr 2007 hoch angerechnet, nach dem dritten Platz von der Bildfläche weitgehend verschwunden; hatte sich kurzzeitig als arena-Experte wieder blikken und hie und da, in England und in den USA und sonstwo, als Vereins- oder Nationaltrainer ins Spiel bringen lassen – jedoch selber vorbildlich gehandelt insofern, als er sämtliche Offerten abschlägig beschied und uns mit seinem widerwärtig weltverzaubernden Grinsen und seinem daueroptimistischen Automatengeplapper in Frieden ließ.
Aber jetzt – ist er eingetreten, der worst case. Ich muß das aus Sicht eines unverbrüchlichen FC-Bayern-Fans so sagen. Beinahe jeden hätten wir hingenommen, achselzuckend oder neugierig