Noch mehr Fußball!. Jürgen Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Roth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941895461
Скачать книгу
ist doch eigentlich gerecht – in gewisser Weise.

      In gewisser Weise gewiß. Warum aber ist Sepp Blatter für euch nicht satisfaktionsfähig? Er taucht auf keinem eurer vielen Fußballblätter auf.

      Greser: Weil es bloß so ein Geraune um ihn herum gibt, er leite eine hochkorrupte Organisation, die sich zum Geldscheffelbetrieb umfunktioniert hat und öffentlich nur in Erscheinung tritt bei karitativen Angelegenheiten, mit deren Hilfe auch jeder Altölstinkebetrieb sein Image zu retten versucht. Inwieweit bei der FIFA wirklich der Wurm drin ist, weiß man aber eigentlich nicht. Hier beim TuS Leider, einem Bezirksligisten, hat der Schiri mal eine fragwürdige Entscheidung getroffen, und da ist einer der Vorstandskollegen auf den Platz gerannt und hat den Schiedsrichter von hinten so gestumpt, daß er umgefallen ist. Da mußte ich so lachen! Das hat mich so gefreut, daß da einer jede mittlerweile auf dem Fußballplatz geforderte Korrektheit hat fahrenlassen und sich im Dienste und Sinne des Vereins sehr weit aus dem Fenster gelehnt hat. Das Spiel wurde abgebrochen und für den Gegner gewertet, samt saftiger Geldstrafe, aber der Mann ist vom Verein geschützt worden, und das fand ich eine gute Art von Verhalten für einen Fußballverwaltungsverantwortlichen.

      Fußball wird dann komisch, wenn sich die Leute inkorrekt verhalten?

      Greser: Ja. Aber es wird den Leuten sukzessive ausgetrieben. In England ist das schon sehr weit vorangeschritten. Die Geldsummen, die in England für Spieler eingesetzt werden, haben zur Folge, daß die Ticketpreise zwecks Refinanzierung bizarr hoch sind, mit dem Nebeneffekt, daß ein einfacher Kuttenträger, der sein Leben über Jahrzehnte dem Verein geopfert hat, sich das nicht mehr leisten kann. Und tendenziell merkt man das auch in den neuen Super-WM-Arenen. Im Eintracht-Stadion saß vor mir ein Pärchen, das eher den unteren gesellschaftlichen Schichten anzugehören schien. Die haben so verloren gewirkt in diesem Rund. Solche Fans sind beim Bau der neuen Stadien nicht mehr berücksichtigt worden. Wie sollen die sich wehren gegen diese Entwicklung?

      Lenz: Die dienen noch als Geräuschkulisse. Dafür braucht man sie noch. Sonst wären die längst rausgekickt und weitere VIP-Lounges gebaut worden. Übrigens fällt mir auf, daß sich der Fußball unheimlich ernst nimmt. Wir haben mal ein lustiges Fernsehinterview gegeben, nach dem hat sich Uli Hoeneß wahnsinnig aufgeregt. Die haben regelrecht Angst, daß ihr riesiger Wirtschaftsbetrieb nicht richtig ernst genommen wird. Das ist alles ein unglaublicher Quatsch. Diese furchtbar ernsten sonntäglichen Fernsehdiskussionsrunden zum Beispiel – was für ein Blödsinn!

      Greser: Aber es ist auch ein Abbild der Gesellschaft, insofern alles unter so einer Korrektheitsdunstglocke gehalten wird. Die Geschäfte müssen halt laufen. Die Menschen sind ja mittlerweile auch bereit, dieses Argument zu fressen und sich hochflexibel zu zeigen, wenn es darum geht, einen neuen Arbeitsplatz zu finden und so weiter. Die nehmen ja jede Last auf sich, um an dem Betrieb des großen Geldflusses teilzuhaben. Witz und Ironie – Hoeneß ist diesbezüglich uns gegenüber mehrfach aufgefallen – stören die Ruhe, das Image muß sauber und rein bleiben.

      Der Verlust der Ironiefähigkeit auf allen Ebenen – bei den Spielern, den Funktionären und so fort – ist ein Zeichen dafür, wie weit die Ökonomisierung des Fußballs fortgeschritten ist?

      Lenz: Ganz sicher.

      Greser: Jede Form von Ironie stellt eine anarchische Gefahr dar, die einen Geist mobilisieren kann, der den Geschäftsinteressen zuwiderläuft.

      Lenz: Unfreiwillig komische Momente entdeckt man allerdings, wenn man zum Beispiel Jugendmannschaften zuschaut. Wie die jungen Kerle jubeln – das haben die alles aus dem Fernsehen. Neulich habe ich hier beim TuS Leider einen Schiedsrichter gesehen – ein ganz junger Kerl –, der hat Gesten gemacht haargenau wie der Collina! Der hat Collina gespielt! Unglaublich komisch.

      Greser: Nur noch Klone. Individualität ist nicht mehr gefragt. Jetzt verbieten sie sogar den Trainern das Rauchen – unter freiem Himmel!

      Lenz: Ist doch irre!

      Greser: Bei dem erwähnten Vorbereitungsspiel von Viktoria Aschaffenburg saß ich auf der Tribüne und hab’ mir eine Zigarette angesteckt. Mein Nebenmann war empört. Er hat nichts gesagt, aber aus jeder Pore ausgeschwitzt, wie widerlich er das fand. Da bist du heute sofort als Schwein klassifiziert. Eine Katastrophe. Wohingegen von Felix Magath, der ja hier aus der Nachbarschaft stammt, an den Stammtischen schöne Geschichten überliefert werden. Der hat’s sehr bunt getrieben. Der war mit einem überragenden Talent ausgestattet, das es ihm erlaubt hat, in seiner Zeit bei Viktoria Aschaffenburg gern auch mal besoffen aufzulaufen. In der Halbzeit hat er in die Kabine gekotzt, ist dann wieder raus und hat schnell das Spiel entschieden. Und geraucht hat er auch. Jetzt ist er Konvertit – und wie viele Konvertiten ein hundertfünfzigprozentiger Verweigerer dieser Genüsse.

      Ich muß noch mal auf Sepp Blatter zurückkommen. Neulich hat er am Rande der Copa América vorgeschlagen, die Verlängerung abzuschaffen. Seit es kein Golden Goal mehr gebe, sei es sinnlos, eine Verlängerung zu spielen. Man solle gleich zum Elfmeterschießen schreiten. Das laut dem Magazin 11 Freunde größte Fußballspiel aller Zeiten, das WM-Halbfinale 1982 gegen Frankreich, wäre ohne Verlängerung niemals das gewesen, was es war. Spinnt der Blatter?

      Greser: Ja. Eindeutig.

      Lenz: Deutschland – Italien 1970. Wahnsinn!

      Greser: Da hab’ ich ein Fußballfantrauma erlitten. Ich war neun Jahre alt, und nachdem Schnellinger kurz vor Schluß durch eine lange Grätsche den Ausgleich erzielt hatte, haben mich meine Eltern ins Bett geschickt, so daß mir die Verlängerung des Jahrhunderts entgangen ist.

      Lenz: Das ist dramatisch. Da muß man doch rebellieren!

      Greser: Mit neun?

      Andererseits hat Blatter der aktuellen Ausgabe von 11 Freunde zufolge mitgeteilt, er wolle in Zukunft auf das Elfmeterschießen verzichten und statt dessen die Anzahl der Spieler während der Verlängerung nach und nach reduzieren, früher oder später fiele dann schon ein Tor.

      Greser: Wäre es nicht eher umgekehrt logisch, daß die Anzahl der Spieler erhöht werden müßte?

      Lenz: Auch gut.

      Greser: Dreiundsiebzig gegen dreiundsiebzig in der 117. Minute.

      Lenz: Was will der Blatter denn? Soll der Fußball attraktiver werden? Wird er doch nicht! Warum soll man denn daran was ändern? Ich versteh’ das nicht.

      Greser: Vielleicht gibt’s Beschwerden seitens der geldgebenden TV-Anstalten, daß sie mit ihren Programmschemata durcheinandergeraten, wenn pausenlos diese endlosen Verlängerungen gespielt werden. Und wer weiß, was in Familien passiert, in denen die Interessenlage so disparat ist, daß sich die Frau für Fußball absolut nicht interessiert. Wenn es dann noch zur Verlängerung kommt … Ich verstehe Blatters Vision als Maßnahme zur Befriedung der Gesellschaft.

      Lenz: Die Scheidungsrate schnellt hoch, wenn die Verlängerung bleibt?

      Die Deutsche Meisterschaft 2008 jedenfalls ist entschieden, auch ohne Befehl von Blatter.

      Greser: Man muß es fast befürchten.

      Lenz: Ach was! Ich würd’ gerne mal wissen, wieviel Prozent Glück eigentlich dabei ist.

      Greser: Glück kann man kaufen. Tore kann man kaufen.

      Ottmar Hitzfeld hat Franck Ribéry als »Glücksfall« bezeichnet.

      Greser: Hm. Er wird jetzt hochgelobt. Mal gucken. Muß sich halt einer hergeben und ihm in den ersten Spielen ein paar auf die Socken hauen.

      Beim Club würdet ihr den auch mit offenen Armen …

      Greser: Ich muß mal grundsätzlich sagen, daß ich’s nicht verstehe, wie man als Mensch, der Fußballfreundschaft mit Herzenswärme verbindet, Fan des FC Bayern sein kann.

      Das ist aber starker Tobak.

      Lenz: Damit ist das Gespräch beendet.

      Greser: Zu einer gesunden Ausstattung als freier Bürger gehört doch, den Verdacht hochzuhalten und zu schüren gegen jede Form von Monopolismus.

      Aber ist der FC Bayern