Tausendjähriger Kraus
Presseerzeugnisse sind unversiegbare Quellen des Stusses. Das wußte keiner besser als Karl Kraus, der nicht nur den geistigen, sondern auch den handwerklichen Mißgriffen nachspürte und Druckfehler unerbittlich, ja saddamartig verfolgte – meist verzweifelt und fluchend, wenn der Setzer die Fackel verhunzte, eher attackierlustig und amüsiert, wenn die Klopsköpfe der Tageszeitungen zuschlugen. Daher sei zum Gedenken an den großen Wiener und seine aufopferungsvolle Arbeit hier ein kleiner Satz niedergelegt, den das stets mit höchstem Aufwand redigierte und korrigierte Komikfachblatt Frankfurter Rundschau am 28. Februar 2003 anläßlich einer Besprechung des Briefwechsels zwischen Kraus und Herwath Walden in Satz gehievt hat; ein Satz, den Autor Yaak Karsunke und die fidele Feuilletonmannschaft gemeinsam verantworten und für den sie deshalb meine heurige Narrengoldmedaille auch gemeinsam entgegennehmen müssen. Nun, auf jetzt! »Dieser geballte editorische Aufwand gilt – zumindest behauptet das der Untertitel – einem ›Briefwechsel‹ zwischen Karl Kraus und Herwath Walden aus den Jahren 1909 bis 1912. Die beiden hatten sich 1090 in Wien kennengelernt, wo der relativ wohlsituierte Kraus (Jahrgang 1974) seit 1899 die Zeitschrift Die Fackel herausgab.«
Ich hätte es der Rundschau nicht zugetraut, aber – sie hat mich zum Lachen gebracht.
Das Planf in Kunst und Kultur
Im Herbst 2003 führte die Frankfurter Rundschau ein wöchentliches, nur in Hessen beiliegendes Veranstaltungsmagazin mit dem Titel plan.F ein – Anlaß genug für ein Gespräch mit Eckhard Henscheid über diesen bedeutenden Schritt für die deutsche Sprache.
Es gab im Deutschen bisher nur vier Wörter mit der Endung »nf«: Senf, Genf, fünf, Hanf. Jetzt gibt es ein fünftes: plan.F bzw. planf, mit oder ohne Punkt. Oder auch als Substantiv: Planf.
Ja, man hat planf erfunden, damit fünf selbstreferentiell wird. Jetzt sind’s fünf Wörter, mit dem Wort fünf. Vorher stimmte das irgendwie nicht. Fünf stand ja für vier Wörter. Was die Reimbarkeit betrifft, sieht’s natürlich furchtbar aus. Es reimt sich bisher eigentlich nur Genf auf Senf – »Genf? / Was soll der Senf?!« –, im Unterschied zu Bern: »Bern? / Aber gern!« Im Stepulat, dem Reimlexikon, kommt die Endung »nf« gar nicht vor.
Die phonetische Einheit »nf« ist nicht reimfähig?
Nein, weder die Silbe »anf« noch die Silbe »enf« kommt vor. Das »nf« ist offenbar eine Quantité négligeable. Das ist schade, denn es ist doch eine sehr charakteristische, eindrucksvolle Schlußwendung. Auch mehrsilbige Wörter würden gut damit fahren. Um so notwendiger ist es deshalb, daß nun planf auf uns gekommen ist.
Du begrüßt also seine Einführung?
Ja, im Gegensatz zu Fraport [für: Frankfurter Flughafen, äh: Frankfurt Airport]. Planf wird sich aber noch besser durchsetzen als Fraport. Die Reime, die sich anbieten, sind natürlich noch nicht gar zu zahlreich. Aber in der Stadt Goethes, der ja auch etwas unrein gereimt hat – Neige auf Schmerzensreiche im Faust –, kann man planf, je nachdem, wie man will, auch gut reimen: »Planf / macht Dampf.« Oder wenn man ein Feind von plan.F ist: »Planf / ist ein Krampf.«
Würdest du der Rundschau den ersten Reim für Werbezwecke zur Verfügung stellen?
Für fünf Euro ist die Rundschau dabei.
Für mich klingt planf ein bißchen morastig, nicht sehr einladend.
Nein, das muß ich ablehnen. Morastig klingt eher Sumpf, so daß also plumf morastig klänge. Planf ist ein außerordentlich einleuchtendes Wort. Im ersten Teil tritt eindeutig der Plan hervor – es geht um einen Wochenplan, es steht zur Sicherheit auch noch drüber –, und mit dem »F« ist ganz offenbar Frankfurt gemeint, davon bin ich überzeugt. Wenn nicht sogar die Frankfurter Rundschau.
Du empfindest planf also nicht als fünftes Wort am Wagen der deutschen Sprache?
Ich lasse es durchgehen, fast ohne Zögern.
Deine Werkausgabe, die letztes Jahr gestartet wurde, ist mit den gerade erschienenen zwei Bänden Erzählungen auf fünf Bände angewachsen.
Das wurde quasi synchronisiert. Im Zuge dieser Synchronisation hat sich jedoch, um aufs Reimproblem zurückzukommen, noch nicht ganz der Gleichklang bzw. fast reine Reim »Henscheid / Menschheit« durchgesetzt. Henscheid ist das einzige Wort, das sich auf Menschheit reimt. Darauf haben mich die Bürger draußen im Lande hingewiesen, die noch weiter denken als ich.
Werden wir die planf-Reime in der Werkausgabe wiederfinden, die ja bei Zweitausendeins erscheint, in einem Haus, das auch etliche Hanfbücher verlegt?
Das kongruiert mit meinen Plänen. Ich hab’ aber noch einen Grund, meine zwei Reime zu verwenden. Der für den nächsten Herbst vorgesehene Band »Lyrik/Drama« kann noch etwas Stoff gebrauchen. Und wenn man das mit der beliebten Publikumsbetrügerei verbindet, daß man mit einem Zweizeiler eine ganze Seite vollmacht, wären mit den zwei Reimen schon zwei Seiten völlig gefüllt. Das tut der Werkausgabe sehr gut.
Das Wort planf hat sich als lyrikfähig erwiesen. Wäre eine Romanfigur vorstellbar, die Planf hieße?
Bei Böll nicht. Der war mehr für einen Namen wie Holzpuke zuständig. Der späte Thomas Mann hat vor keinem Namen zurückgeschreckt, bei dem wär’s drin gewesen. Plan.F ist trotzdem eher ein Beckettscher Name, aber dann vielleicht doch ohne den Punkt. Und zu Ror Wolf würde er gut passen. Ror Wolf schätzt Namen wie Wurbs, Wumpf, Klomm und Klamm. Man sollte ihn darauf aufmerksam machen. Ich trete Planf dann gerne ab.
Meines Wissens kommt das Wort Genf in deinem Werk nur einmal vor, in »Spitzentelefoneur Möllemann«.
Nein, ich war sogar mal in Genf, um den Platz zu studieren, wo Sisi ermordet wurde und später Barschel zugrunde ging. In einem kleinen Text dazu kommt dann Genf tatsächlich vor, also immerhin zum zweitenmal. Der Senf ist allerdings auch noch ein bißchen mager vertreten, was sich vielleicht ändern könnte. Der Dichter Martin Mosebach, den ich ab und zu treffe, nimmt gerne Senf zu seinen Snacks. Das könnte Folgen haben für meine Arbeit. Während ich von der Hanfkultur, trotz verlaglicher Koinzidenzen, nicht so sehr tangiert bin.
Es steht ja fast zu vermuten, daß die Rundschau mit plan.F eine Planfkultur begründen könnte.
Auch dagegen ist nichts zu sagen, wo die Witwe Unseld-Berkéwicz jetzt als neueste Kultur und anstelle der »Suhrkamp-Kultur« die »Unseld-Kultur« ausgerufen hat. Da kann die Planfkultur ruhig auch noch kommen.
Welche Zukunft prophezeist du dem Wort planf?
Eine planvolle Zukunft, aber mit »f« geschrieben. Eine planfolle Zukunft.
Wegwerfliteratur
Vergessen und zum Vergessen ist, betrachtet man die Geschichte der bundesdeutschen Literatur, vieles; viel Modisches, Konjunkturelles, einstmals Wegweisendes oder einfach – ob manifesthaft lanciert oder kulturbetrieblich initiiert – Trendbegründendes, eben Maßstäbe Setzendes und vorgeblich Maßgebliches.
Da beginnt sich z. B., in Abkehr wohl von jener Literatur, die laut Thomas Mann mit »Blut und Schande« befleckt gewesen war, nach 1945 rasch ein wahrer Berg an naturlyrischen Impressionen aufzutürmen, von Elisabeth Langgässer über Peter Huchel bis Karl Krolow, während das epische Fach parallel die bald zur Konfektionsware verkommene »kafkaeske Unterwelt« (Peter J. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte – Vom »Ackermann« zu Günter Grass, Tübingen 1996) aus dem Fundus zerrt, angeheitert resp. eher