Anschwellendes Geschwätz. Jürgen Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Roth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941895966
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von realen und fiktiven Figuren? Man könnte doch auch einfach sagen: Na ja, es geht halt mal was in die Hose, und damit hat es sich. Nein, Enzensberger keult gegen die Feuilletonisten, die Feuilletonisten keifen sich untereinander an usf. Oder interessiert dich das alles überhaupt nicht?

      Was heißt interessieren? Es interessiert mich in der Weise, wie einen ein Feuilleton immer interessiert. Man liest das sehr intensiv, und wenn man’s weglegt, ist es egal, ob man’s gelesen hat oder nicht. Deswegen heißt das ja Feuilleton. Und jetzt wird halt alles mögliche versucht, weil die Zahlen rot sind und weil sich die Leute in den Feuilletons ihrer Nichtigkeit wenigstens in ökonomischer Hinsicht bewußt werden. Da treibt man eben ein Schwein nach dem anderen durchs Dorf, ob Walser und Reich-Ranicki oder wen und was auch immer. Nun haben sie vor allem die alte Geschichte mit der Würde der Person am Wickel. Zu den Feuilletons gesellen sich dann aber noch die Nachfolgetäter. Wenn es ernstgenommen wird, daß sich die ehemalige Freundin von Biller in dessen Roman wiedererkennt und deshalb die Justiz anruft, kommen sofort zwei, drei andere Figuren angewackelt – die Frau von Alban Nikolai Herbst usw. Die Feuilletons steigen darauf natürlich ein, weil man da nicht viel nachzudenken braucht. Was auf der Boulevardebene Bohlen ist, wird im Feinfeuilleton mit Biller abgehandelt.

      Rainer Moritz, der als (Noch-)Verlagsleiter von Hoffmann und Campe durch den frei erfundenen Kriegsreporterbericht von Ulla Ackermann, Mitten in Afrika, selbst betroffen ist, hat die Fälle Biller und Kunkel in einem Atemzug genannt mit dem Theater um Bohlen und davon gesprochen, daß die Literaturkritik mehr oder weniger am Ende sei, weil sie im Grunde jede Seriosität eingebüßt habe und sich mit großem Aufwand der Skandalisierung widme.

      Na ja. Die Biller-Geschichte z. B. wird ja vom Verlag, von Kiepenheuer & Witsch, sehr ehrenhaft betrieben. Die lassen sich von den jeweiligen Gerichtsinstanzen dieses und jenes sagen und tun aber nicht, was man von Verlegern erwarten sollte, nämlich ein bißchen listig dafür zu sorgen, daß das Buch irgendwie weiterverbreitet wird. Ich habe in einem solchen Fall – wie z. B. beim Siegfried, der acht Verfahren nach sich gezogen hat – dafür gesorgt, daß das Buch auf irgendeine, natürlich illegitime Weise lieferbar blieb. Es nützt nichts, nur vor Gericht zuzuschlagen. Man muß die Gegner durch Aktivitäten zermürben.

       Sind die Verleger heute so unfähig, daß sie noch nicht mal ihr Produkt präsent halten können?

      Sie sind feige. In solchen Fällen muß man samisdatartige Strategien entwickeln. Im Konflikt zwischen Kunst und Persönlichkeitsrecht obsiegt ja immer die Würde, die angebliche, über die künstlerische Freiheit. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Du kannst noch so lange zum BGH rennen, es wird immer so entschieden werden wie im Mephisto-Urteil, also in dem alten Käse Klaus Mann vs. Gustav Gründgens. Man darf sich auf die Gerichte gar nicht einlassen – und auf diese Würdediskussion genausowenig. Da hast du es sowieso immer mit einer Blase zu tun.

       Einer Blase?

      Es geht doch der ehemaligen Freundin von Biller nicht um ihre Würde. Die ist verletzt, weil die Beziehung auseinandergegangen ist und aus Futt und grünen Bohnen, und deshalb macht die sich wichtig. Tatsächlich kräht doch kein Hahn nach dieser Frau. Kein Mensch weiß, wen diese Figur verkörpern soll, außer Billers Ex-Freundin und fünf anderen Leuten, und die wissen viel mehr, als Biller ausgeplaudert haben kann. Die Würdediskussion ist eine Farce für eine winzige Blase von Aufgeblasenen. Ich hab’ mich damals um die Würdedebatte ziemlich rigoros gar nicht gekümmert.

       Solche Kläger bewirken doch das Gegenteil dessen, was sie bezwecken wollen.

      Sowieso. Und es geht um Rache, darum, es einem Autor heimzuzahlen. Das ist legitim. Dann ist es aber auch legitim, wenn sich der Verleger unterwirft und trotzdem dafür sorgt, daß das Kunstwerk da ist, um den Wettkampf am Laufen zu halten. Ich habe das außerhalb der üblichen Vertriebswege hingekriegt – andernfalls zahlst du natürlich hochnotpeinliche 250.000 Euro Zwangsgeld. Nachdem siebenhundert Exemplare vom Siegfried über den Buchhandel vertrieben waren, wurden die ersten Einstweiligen Verfügungen erlassen. Damit war das Buch in Deutschland offiziell vom Markt. Ich habe dann – da das verjährt ist, kann ich das ruhig erzählen – eine Rechnung fingiert und die gesamte Auflage an einen Schweizer Buchhändler verkauft, und der konnte das Buch jederzeit weitervertreiben.

       Woher wußten die Käufer, wo es zu kriegen war?

      Das hat sich rumgesprochen. Wenn die Leute was haben wollen, finden sie Mittel und Wege. Heute wäre das übers Internet noch einfacher. Ich halte hier diesen extrem unseriösen Vortrag, um klarzumachen, daß das, was in den Feuilletons steht, eigentlich wurscht ist. Die käuen nur Gerichtsurteile wieder. Verleger müssen flexibel sein. Diese Skandale sind natürlich insgesamt evtl. wenigstens noch interessanter als der Kram, den der Schirrmacher regelmäßig über die Verrentung oder das Genom losleiert.

      Schirrmacher hat die gegenwärtige Welle losgetreten anläßlich von Walsers Tod eines Kritikers.

      Feuilletonisten sind Konkurrenten. Das ist alles. Sie versuchen sich unentbehrlich zu machen.

      Es ist doch recht schön, wie sich die Feuilletons augenblicklich gegenseitig beschimpfen. Die taz beschimpft die Süddeutsche Zeitung, weil die Thor Kunkels Endstufe zerreißt, die Süddeutsche Zeitung beschimpft die Schmalspurfeuilletonisten und Karrieristen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Endlich kommt mal ein bißchen Dampf in den lahmen Haufen.

      Glaubst du denn, daß das die Leser wirklich interessiert? Das Feuilleton ist doch lediglich ein geschlossenes Wahnsystem, das längst nicht so einflußreich ist, wie es sich die Feuilletonisten einreden.

      Die Frankfurter Rundschau hat ausdrücklich gebilligt, daß sogar die Streichfassung von Billers Esra verboten wurde. Du hast mit dem Siegfried keinen Schlüsselroman geschrieben, sondern Roß und Reiter genannt. Welche Strategie stand dahinter, den Kulturbetrieb aus der Nahperspektive darzustellen?

      Das muß man ja nicht begründen. Das ist die einzige Möglichkeit, gegen diesen in sich verschworenen Saustall vorzugehen. Auch wenn es nicht viel gebracht hat, hat es zumindest mir eine große Erleichterung gebracht. Und vielleicht hat es auch für Leute, die zuviel Angst haben aus Gründen der Rücksichtnahme und der Macht in diesem Betrieb, stark entlastend gewirkt, wenn mal jemand blankzieht – was wohl auch für die Folgen von Schröder erzählt gilt. Aber die Debatte über die Wirkung von Literatur ist vollkommen sinnlos. Literatursoziologisch gesehen ist der Siegfried, das ist womöglich entscheidender, eines der ersten Bücher gewesen, das Ich gesagt hat. Mit derartigen Büchern entstehen Tendenzen. Übrigens scheint es heute so zu sein, daß Autoren wieder stärker Ich sagen.

      Da würde ich widersprechen. Verglichen mit dem Siegfried-Aufruhr sind die heutigen Auseinandersetzungen um gefälschte Lebensberichte und Urheberschaftsfragen eher läppisch.

      Klar. Dieser Kokolores um Fälschungen wie das Zeug von Ulla Ackermann oder Frau Posemuckel ist keine Minute Aufregung wert. Der Prinz-Asfa-Wossen-Asserate-Quatsch ist auch ein komplett belangloser Blödsinn. Autoren arbeiten oft mit Lektoren, selbst Thomas Mann hat das gemacht. Und daß Dieter Wellershoff Heinrich Böll redigiert hat, ist ja bekannt. Ob ein Lektor oder ein Freund an diesem grauenhaften, ekligen, widerlichen Schleim von höchstem Adel mitarbeitet, ist egal. Ich verteidige nicht das Buch, aber die Selbstverständlichkeit der technischen Hilfestellung. Was soll das?

       Ich weiß aus sicheren Quellen, daß Martin Mosebach der Autor ist.

      Ich bezweifle das. Diese Frankfurter Kreise wissen immer alles ganz genau, nämlich noch genauer. Die waren wahrscheinlich dabei, als Mosebach das Ding geschrieben hat. Ich hab’ das Buch unter Qualen durchgeblättert. Ich kenn’ diesen Typen aus der Zeit, als er aus Äthiopien kam und in Frankfurt unter die Fittiche der Freifrau von Bethmann schlüpfte. Er tauchte bei einem der Jours auf, die ich damals in der Günthersburgallee veranstaltet habe. So fett wie heute war er natürlich noch nicht. Er wollte ein Buch über die Königin von Saba schreiben. Plötzlich hielt da ein RCDS-Bursche dumme Reden, so ein Verschnitt von Christian Kracht, bevor sich der irgendwo in Asien existentiell verbissen hat – der Kracht kann überhaupt nicht schreiben,