Insel der Ponygirls. Tomàs de Torres. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tomàs de Torres
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944145839
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zumindest eine stellen.

      »Was bist du hier? Eine Sklavin oder so etwas?«

      Delis Augen blitzten auf, ihre Lippen pressten sich noch enger zusammen, und die Spitzen ihrer Brüste bebten. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Für einen Moment glaubte Luke, sie würde sich auf ihn stürzen oder ihm zumindest eine Ohrfeige versetzen, doch dann entspannte sich ihre Haltung wieder. Nur das Zittern in ihrer Stimme verriet, wie sehr Lukes Bemerkung sie verletzt hatte.

      »Ich bin Deli, die Schwester von Coreen, die Bobs Frau ist. Ich bin eine der wichtigsten Frauen im Dorf!«

      Abermals führte sie die zusammengelegten Hände an die Stirn, wobei ihn ihre Augen immer noch anfunkelten, dann nahm sie die leere Schüssel und die größere der beiden Öllampen auf. Noch bevor Luke eine Entschuldigung hervorbrachte, hatte sie den Raum bereits verlassen. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.

      Luke starrte in die einsame Flamme. Er verstand nicht, was auf dieser Insel vor sich ging, aber er würde es herausbekommen – morgen, übermorgen, irgendwann.

      »Eine Insel ohne Uhren!«, murmelte er.

      Weniger als zehn Atemzüge später war er eingeschlafen.

       5

      Als Luke Martin erwachte, war die Öllampe erloschen, und Dämmerlicht drang durch ein Fenster neben der Tür. Er lauschte in sich hinein. Als er keinen Schmerz registrierte, setzte er sich auf. Probehalber reckte er die Ellbogen nach hinten und streckte die Arme wieder aus. Die Haut in seinem Rücken spannte sich unangenehm, aber nicht wirklich schmerzhaft. Die Wunde unter dem straff sitzenden Verband schien nicht mehr geblutet zu haben.

      Vorsichtig erhob er sich. Das Schwindelgefühl vom Vorabend kehrte zurück, und für einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen. Er stand schwankend auf den braun gestrichenen Brettern, die den Fußboden bildeten.

      Nackt stakste er zum Fenster und schob den Vorhang so weit beiseite, dass er hinausblicken konnte. Die Sonne hatte den Kraterrand noch nicht erreicht, so dass alles in tiefem Schatten lag. Ein Kiesweg – murmelgroße dunkle Steine, wohl vulkanischen Ursprungs – führte von dem Haus weg, in dem Luke sich befand, und mündete in eine vier Meter breite und mit rötlichen Platten gepflasterte Straße. Mangobäume säumten ihren jenseitigen Rand, zwischen ihnen schimmerte das helle Holz eines anderen Hauses.

      Nichts regte sich.

      Luke erinnerte sich, vom Tunnelausgang eine Lichtung mit regelmäßigen Strukturen gesehen zu haben, zweifellos Häuser. In einem dieser Häuser musste er sich nun befinden.

       Wie viele Menschen mögen hier leben?

      Er wandte sich um. Der Raum maß etwa fünf Meter im Quadrat. Ein Schrank, ein Tisch mit zwei Stühlen und das Bett mit Nachttisch bildeten die ganze Einrichtung. Neben dem Bett befand sich eine Tür, die wohl ins Bad führte.

       Sieht beinahe aus wie ein Hotelzimmer!

      Über der Lehne eines Stuhls hing seine Hose, auf der Sitzfläche lagen Hemd, Unterhose und Socken, sauber gefaltet. Die Schuhe standen daneben. Er zog sich an und überlegte, ob er einen Erkundungsspaziergang unternehmen sollte. Das Geräusch von Schritten auf dem Kies nahm ihm die Entscheidung ab. Jemand klopfte.

      »Herein!«

      Es war weder Bob noch Deli, sondern eine höchstens 20-jährige Frau mit einer schwarzen Lockenfrisur. Sie war nicht vollständig nackt, sondern trug eine Art Geschirr aus schwarzen Riemen, das jedoch nicht verhüllte, sondern betonte. Im Schritt war sie kahlrasiert wie Deli.

      Luke versuchte sich unbefangen zu geben. »Guten Morgen.«

      Die Frau setzte das Tablett, das sie in den Händen hielt, auf dem Tisch ab: zwei Kannen, ein Ei, dunkles Brot, Butter, Marmelade, Kiwis und Orangen. Luke hätte sich tatsächlich wie in einem rustikalen Karibikhotel gefühlt, wäre da nicht die nackte Frau gewesen, die nun den Kopf senkte und die zusammengelegten Händen zur Stirn führte.

      »Guten Morgen«, antwortete sie.

      »Wer bist du?«

      »Ayala, die erste Tochter von Bob.« Sie wies auf das Tablett. »Deli sagt, Sie müssen essen.«

      Luke nahm Platz. »Danke. Hast du auch einen Nachnamen?«

      Sie lächelte. Ihr Gesicht war beinahe perfekt proportioniert, mit graublauen Augen und einem offenen Blick, und irgendwie erinnerte es Luke an jemanden. Soweit er das beurteilen konnte, trug sie keinerlei Make-up.

      »Hier braucht man keine Nachnamen«, antwortete Ayala.

      Luke öffnete die Abdeckung einer Kanne. Dampf stieg auf, der Kaffeeduft mit sich trug. Er füllte die Tasse und wies auf den zweiten Stuhl. Ayala schüttelte den Kopf.

      »Hier … wo ist ›hier‹?«

      »Das Dorf heißt Hiva, ebenso wie die Insel.«

      Luke schnitt die Orange auf. »Aha. Und auf oder in Hiva brauch man nicht nur keine Nachnamen, sondern auch keine Uhren – und keine Kleidung?«

      »Es ist warm genug, das ganze Jahr über; auch nachts.«

      Er warf einen langen Blick auf Ayalas Riemengeschirr. »Das ist natürlich eine Erklärung. Aber die Männer tragen Kleider?« Woran erinnert mich dieses Gesicht?

      Ayala zupfte an einem der Lederriemen. »Männer sind … eben Männer.«

      »Ja, da ist was Wahres dran; und Frauen sind Frauen.«

      Jetzt lachte Ayala laut auf. »Ganz genau!« Sie sah ihn fragend an. »Soll ich Ihnen noch etwas bringen? Orangensaft? Milch? Speck?«

      »Vielen Dank, ich bin wunschlos glücklich. Ich werde das Hotel weiterempfehlen.«

      Abermals lachte sie, wiederholte die Begrüßungsgeste und ging zur offenen Tür. Kaum hatte sie den Raum verlassen, zeichnete sich der Schatten eines Mannes mit Vollbart in der Tür ab. Bob trat ein und setzte sich auf den freien Stuhl gegenüber Luke.

      »Wie geht es Ihnen heute?« Bobs besorgter Gesichtsausdruck zeigte Luke, dass die Frage nicht nur eine Höflichkeitsfloskel war.

      »Viel besser, dank der guten Pflege und nicht zuletzt des üppigen Frühstücks. Ich fühle mich fast schon wieder imstande, Bäume auszureißen, wenn sie nicht zu groß sind.«

      »… oder mit einem Motorboot nach Afrika zu fahren – wobei das Benzin nicht mal zurück nach Saint Lucia gereicht hätte.« Bob legte die Ellbogen auf die Tischplatte. »Wir haben vollgetankt.«

      Sie grinsten sich an. Luke fühlte, dass Bob nicht sein Feind war, und Dankbarkeit gebot Offenheit. Doch solange er nicht wusste, was hier gespielt wurde, konnte es gefährlich sein, sich vollständig zu offenbaren.

      »Ihre Tochter sagte, die Insel heißt Hiva. Gehört sie zu Saint Lucia und damit zum Commonwealth?«

      »Die Insel ist Privateigentum, seit über hundert Jahren.« Bobs Blick nagelte Luke an den Stuhl. »Zutritt für Fremde verboten.«

      Luke nahm einen großen Schluck des Kaffees. Schwarz, stark und gut. Südamerikanisch. »Man könnte sagen, ich befand mich in einer Notlage.«

      Bobs Stimme wurde schärfer. »Wenn ich das nicht annehmen würde, säßen Sie jetzt nicht hier.«

      »Sind Sie hier so eine Art Bürgermeister?«

      »Könnte man sagen, ja – wobei alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen werden.«

      »Von allen Einwohnern?«

      »Von allen Männern.«

      »Und die Frauen haben keinen Einfluss darauf?«

      Bob lächelte. »Wie in allen Kulturen dieser Erde haben die Frauen Einfluss auf die Männer.«

      Luke dachte an Deli und Ayala. »Aber wieso haben …«

      Abrupt stand Bob auf. »Kommen Sie bitte mit zur Tür. Ich möchte