Insel der Ponygirls. Tomàs de Torres. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tomàs de Torres
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944145839
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ihrer Stimme mit. »Und er erfüllt seine Aufgabe zu Sams vollster Zufriedenheit, das kannst du mir glauben! Er ist gar nicht mal so unbequem, wie er aussieht.«

      »Hast du nicht etwas vergessen, Gamaleh?«

      Sie fuhr herum. Ein tadelnder Blick aus Ayalas zusammengekniffenen Augen traf sie.

      »Habe ich?«, fragte sie unsicher. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken vom Thema Liebe und allem, was damit zusammenhing, loszureißen.

      »Die genaue Uhrzeit des Vollmonds für die Hochzeitszeremonie.«

      »Natürlich! Ich war ja gestern auf dem Weg zu Irina, als …« Gamaleh wischte sich die klebrigen Hände an einem feuchten Tuch ab. »Ich fahre sofort zu ihr!«

      Und nach dem Mittagessen, fügte sie in Gedanken hinzu, werde ich Luke das Dorf zeigen – und alles, was ihn sonst noch interessieren könnte …

       7

       Gamaleh …

      Lukes erster Gedanke nach dem Erwachen war identisch mit dem letzten vor dem Einschlafen. Bobs Besuch hatte ihn doch angestrengt, und dann war auch noch Deli gekommen, um den Verband zu wechseln. Er musste eingeschlafen sein, noch bevor sie den Raum wieder verlassen hatte.

      Aber jetzt fühlte er sich ausgeruht und beinahe wiederhergestellt. Die Schnittwunde schmerzte nur noch, wenn er die Rückenmuskeln bewegte. Kopfweh und Schwindelgefühl waren verschwunden.

      Als er zum Fenster hinaussah, stellte er fest, dass er den halben Tag verschlafen hatte. Der gegenüberliegende Kraterrand, grün überwuchert bis auf wenige braune Narben, lag in der hellen Nachmittagssonne, während sich über das Gästehaus und die Straße bereits die ersten Schatten schoben.

      Er ging in das kleine Bad, das sich hinten an das Zimmer anschloss und das durch ein Fenster mit Ausblick auf einen Gemüsegarten erhellt wurde. Die Einrichtung beschränkte sich auf das Notwendigste: eine türkische Toilette neben einem niedrigen Wasserbecken, in dem ein ledernes Schöpfgefäß schwamm. Gegenüber, auf einem Tischchen unter dem Spiegel, eine Waschschüssel aus Porzellan und ein bis zum Rand gefüllter Wasserkrug. Es gab keine Dusche.

      »Ein Leben nahe der Natur hat auch seine Schattenseiten«, murmelte Luke.

      Als er in den Spiegel sah, erschrak er. Ein von der Sonne rotgebranntes Gesicht, das im unteren Bereich mit Bartstoppeln übersät war. Er griff sich ans Kinn und sah sich um.

       Natürlich, kein Strom! Also auch keine Steckdosen und kein Rasierapparat, dachte er. Wie rasiert man sich hierzulande? Messer ist auch keines da.

      Sein Gespräch mit Bob an diesem Morgen kam ihm wieder in den Sinn. Aus den 1000 Fragen von gestern waren mittlerweile mindestens 2000 geworden, und der »Bürgermeister« hatte nicht gerade viel zu Lukes Aufklärung beigetragen. Hoffentlich brachte der versprochene Spaziergang mit Gamaleh mehr Erkenntnisse.

       Gamaleh …

      Als er ins Zimmer zurückkehrte, stand auf dem Tisch ein Tablett mit einem überladenen Teller sowie ein Krug Wasser. Niemand war zu sehen, obwohl der Inhalt des Tellers – Schweinebraten und Gemüse – noch dampfte. Erst jetzt bemerkte Luke den Hunger, der in ihm wühlte, und es dauerte nicht lange, bis er den Teller geleert hatte.

      Mittlerweile waren die Schatten weitergewandert, und Luke beschloss, draußen auf Gamaleh zu warten. Er öffnete die Tür zur Veranda – und fiel beinahe über ein nacktes Mädchen mit langen schwarzen Haaren, das dort mit untergeschlagenen Beinen saß.

      »Gamaleh!«

      Sie erhob sich augenblicklich, senkte den Kopf und berührte die Stirn mit den zusammengelegten Händen. Einem Impuls folgend imitierte Luke die Geste, doch das Mädchen zuckte zurück und blickte sich um, als ob es fürchtete, beobachtet zu werden.

      »War das ein Fehler?«, fragte Luke verblüfft.

      Gamaleh wich seinem Blick aus. »Nur Frauen begrüßen Männer auf diese Weise – alle Männer. Es ist ein Zeichen des Respekts.«

      Mehr als ein verwirrtes »Aha!« fiel Luke als Antwort nicht ein. »Warst du es, die das Essen gebracht hat?«

      »Gekocht und gebracht. Hat es geschmeckt?«

      »Ausgezeichnet.«

      Gamalehs blaugrüne Augen funkelten. Sie wies zur Straße. »Gehen wir?«

      Luke nickte. »Nach dir.«

      Sie wehrte mit beiden Händen ab. »Oh nein, es ziemt sich nicht für eine Frau, neben oder gar vor einem Mann zu gehen!«

      Luke hob die Augenbrauen und kratzte sich an den Bartstoppeln. »Das wird aber schwierig, denn ich bin fremd hier und kenne den Weg nicht.«

      Gamaleh legte den Kopf schief. Das gewellte Haar fiel ihr über die Schulter auf die rechte Brust. »Na gut«, sagte sie schließlich, »unter diesen Umständen ist es wahrscheinlich erlaubt.«

      »Wie rasiert man sich hier eigentlich?«

      Gamaleh lachte. Ein Eisvogel schwirrte aus einem Busch auf. »Gar nicht. Man wird rasiert! Wenn du willst, kann ich das übernehmen. Ich rasiere auch meinen Vater, wenn Mutter mal … gerade nicht kann.«

      »Gern. Wenn wir zurückkommen.«

      Er beobachtete sie beim Gehen. Sie trug nicht einmal Schuhe, und ihre Bewegungen waren von einer natürlichen Anmut. Gamaleh strahlte etwas aus, das allen Frauen, denen Luke in seinem Leben begegnet war, fehlte, etwas, das er nicht in Worte fassen konnte, weil es in seiner Sprache keine Bezeichnung dafür gab, etwas Urweibliches, und ihre Schritte hatten nichts von jener provozierenden Lässigkeit, die junge Frauen in der Gegenwart von Männern auszeichnete. Einmal bückte sie sich, um eine reife Kokosnuss von der Straße zu räumen, und der Anblick der haarlosen Lippen, die sich zwischen ihren straffen Pobacken hervordrängten, ließ Lukes Mund austrocknen. Doch auch in dieser Bewegung lag nichts Gekünsteltes oder gar Berechnendes.

      Sie gingen nach links, Richtung Dorfmitte. Die Blockhütten ähnelnden Häuser, deren Grundfläche Luke auf hundert Quadratmeter schätzte, unterschieden sich nur durch die Bepflanzung der Vorgärten. Ein Meer von Farben und Düften umschloss jeden einzelnen: bunte Orchideen, rote bis violette Bougainvilleen, gelbe oder zartrosa gefärbte Hibiskussträucher, tiefrote Flamingoblumen mit gelben Kolben und viele andere, deren Namen Luke nicht kannte.

      Zwei Frauen begegneten ihnen. Eine war fast noch ein Kind, die andere um die 30, mit kurzen blonden Haaren und vollen Brüsten. Wie Deli trug sie einen Stahlring um den Hals. Beide machten die Männern zustehende Begrüßungsgeste und nickten Gamaleh zu, ohne anzuhalten. Luke blickte ihnen nach und wäre um Haaresbreite in seine Führerin gerannt, die stehengeblieben war.

      »Warum trägt sie dieses … Ding?«, fragte er und deutete auf seinen Hals.

      »Sie ist verheiratet.«

      »Aha. Und Deli? Ist die auch verheiratet?«

      Gamaleh nickte. »Nur verheiratete oder verwitwete Frauen tragen Halsreifen.«

      »Und sie wehren sich nicht dagegen?«

      Sie starrte ihn an. Es war offensichtlich, dass sie den Sinn seiner Frage nicht verstand. »Sich dagegen wehren? Warum sollten sie das tun? Es steht ihnen zu, und sie sind stolz darauf. Auf der Plakette sind das Hochzeitsdatum und der Name des Mannes eingraviert. Wenn ich einmal heirate, darf ich auch einen Halsreif tragen.«

      Luke deutete in die Richtung, in der die beiden Frauen verschwunden waren. »Sind hier alle Frauen nackt? Und wenn ja, warum?«

      »Laotse sagt: Alle Frauenkleider sind nur Variationen des ewigen Streits zwischen dem eingestandenen Wunsch, sich zu kleiden, und dem uneingestandenen Wunsch, sich zu entkleiden.« Gamaleh lächelte. »Auf Hiva werden eben die geheimen Wünsche wichtiger genommen als die eingestandenen.«

      Luke verzog die Mundwinkel. »Schon wieder Laotse! Der hat vor über 2000 Jahren gelebt. Die Welt ist seither nicht stehen geblieben.«

      »Das