Das Konzept des vorliegenden Bandes geht zurück auf die im Wintersemester 2010/11 an der ifs internationale filmschule köln durchgeführte Ringvorlesung »Bild und Bit«, deren inhaltliche Ausrichtung für dieses Buch erheblich erweitert wurde. Wir danken unseren Autoren für ihre Vortrags- und Textarbeit, der Geschäftsführerin der ifs Simone Stewens für die Unterstützung und Förderung des Projekts von der Vortragsreihe bis zur Publikation, den Studierenden der Jahrgänge Film-D und Film-E, Editing Bild und Ton-A und Kamera-A für ihre Fragen und Anregungen sowie unseren studentischen Mitarbeitern Lino Rettinger und Fabian Wallenfels für ihren Einsatz bei der Erstellung der Vorlage für die Druckausgabe. Diese E-Book-Ausgabe wurde von Leon S. Freyermuth und Utz Stauder besorgt.
Weitere Informationen zu diesem Band und der Schriftenreihe »Bild und Bit. Studien zur digitalen Medienkultur« finden sich unter www.bildundbit.de.
1 In diesem Band S. 20 (in der Druckausgabe).
2 S. 38 (in der Druckausgabe).
3 S. 73 (in der Druckausgabe).
4 S. 106 (in der Druckausgabe).
5 S. 136 (in der Druckausgabe).
6 S. 167 (in der Druckausgabe).
7 S. 189 (in der Druckausgabe).
8 S. 196 (in der Druckausgabe).
9 S. 215 (in der Druckausgabe).
10 S. 242 (in der Druckausgabe).
11 S. 251 (in der Druckausgabe).
12 S. 259 (in der Druckausgabe).
13 S. 282 (in der Druckausgabe).
Bild und Bit: Umbruch
Sich ein Bild machen oder »Im Bilde sein«
Die guten alten Bilder und die digitale Bildrevolution
Jochen Hörisch
Es gibt irritierend viele Redewendungen um das deutsche Four-Letter-Word »Bild«. Schon die geläufige Formel »im Bilde sein« (ich bin, wir sind im Bilde) ist hintersinnig. Besagt sie doch zumindest zweierlei: dass wir erstens glauben, uns ein angemessenes Bild der Lage gemacht zu haben, und dass wir, die wir uns ein Bild machen, zweitens selbst Element eines Bildes sind, das andere sich gemacht haben. Wer auch nur elementar gebildet ist, ist sich im Zeitalter des Konstruktivismus bewusst, dass es eine falsche Einbildung wäre (schon deshalb, weil Einbildungen per se jenseits der Wahr-Falsch-Unterscheidung prozedieren), zu glauben, es könne ein objektives Bild der Lage geben. Man muss nicht Magrittes Gemälde Ceci n'est pas une pipe oder Der Verrat der Bilder vor Augen haben, um zu begreifen, dass ein Bild nun eben ein Bild ist und dass es einen Unterschied macht, ob man ein materiales Bild (Öl auf Leinwand etc.) vor Augen hat oder ob man das Bild meint, das man sich imaginiert und das andere sich von uns machen. An subtilen bildlichen Manifestationen des Problems und an theoriegeleiteten Reflexionen zur Frage »Was ist ein Bild?« herrscht kein Mangel. Epochale Bilder wie die Hoffräulein (Las meninas) von Velazquez, die Gesandten von Holbein, zahlreiche Bild-im-Bild-Bilder (etwa Atelierszenen oder Gemälde von Bildbetrachtern in Ausstellungen), aber auch Filme wie The Draughtman's Contract von Peter Greenaway beziehen ihren spezifischen Reiz aus den Verweisungsverweisungsstrukturen ihrer Blicklenkung, die kein sicheres Letztfundament für Letztbeobachtungspositionen wahrzunehmen erlauben. Wir sind im Bilde, wenn wir wahrnehmen, dass sich andere ein Bild davon machen, wie wir uns ein Bild (von ihnen) machen.
Es gibt ein 1951 entstandenes und seit 1962 in der Kunsthalle Mannheim ausgestelltes Bild von Francis Bacon (1909-1992), das den Titel Schreiender Papst trägt (Öl auf Leinwand, 198x137 cm). Es verweist deutlich auf andere berühmte Bilder wie den Schrei von Edvard Munch oder das Porträt des Papstes Innozenz X, das Velazquez 1665 malte. Aufmerksamkeit verdient und erhält Bacons Gemälde, zu dem er Dutzende von Varianten malte, stets erneut, weil es im klassischen Medium der Malerei eindringlich vor Augen führt, wie es um die Logik von Bildern und Weltbildern steht bzw. eben nicht steht. Denn Francis Bacon rückt einen Papst ins Bild um den sich alles dreht und der selbst von einem Drehschwindel erfasst ist. Bacons Papst sitzt auf einem stabilen Thron in einem Glaskasten. Mit seiner linken Hand klammert er sich am Knauf der Armlehne fest; offenbar bedarf er des Halts. Seine rechte Hand sucht tiefer als die linke an der Verstrebung der rechten Lehne Zuflucht. Der Mann, der doch der Fels ist, auf dem die Kirche ruhen soll, steht seinerseits nicht auf festem Fundament. Seine Füße schweben über dem Grund bzw. dem Abgrund, so dass sein Körper eigentümlich gestaucht erscheint. Der stabil scheinende Thron, auf dem er sitzt, ist, wenn der Betrachter recht im Bilde ist, in vielfacher Hinsicht labil und fragil. Denn er schwebt über dem Boden auf einem gläsernen Sockel, und er wird durch eine kühne runde Linie durchschnitten, die in eigentümlichem Kontrast zu den ansonsten geraden und eckig zueinander konfigurierten Linien steht – so wird aus dem Thron ein Gebilde, das einem Schaukelstuhl ähnelt. Auf diesem nun sitzt der Papst, von dem es in den berühmten Worten des Matthäusevangeliums heißt, dass Jesus ihm für die Zeit seiner irdischen Abwesenheit das Stellvertreteramt und die Kirchenleitung anvertraut hat.
Abbildung 1: Francis Bacon: Schreiender Papst 1951
Quelle: Kunsthalle Mannheim
Mit den Jesusworten an Petrus, den ersten Papst, hat es eine eigentümliche Bewandtnis. Denn sie sind offenbar nur an diese eine Person und nicht an eine lange Namensliste möglicher Stellvertreter des ersten Stellvertreters des Gottessohnes = Gottesstellvertreters auf Erden gerichtet, an ein Individuum, mit dessen Eigennamen Jesus Christus ironisch spielt: Petrus Simon. »Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen (griech. petra) werde ich meine Kirche (ecclesia) bauen und die Mächte (pulae, wörtlich Tore) der Unterwelt (hades) werden sie nicht überwältigen.« (Mt 16,18) Der Gottessohn erlaubt sich, wenn er seinen Stellvertreter auf Erden einsetzt, einen erhabenen Kalauer bzw. ein abgründiges Namensspiel. Der Fels, auf dem die Kirche ruht, ruht seinerseits auf einem heiklen Eigennamen, also einem Namen, der seinem Namen wenig Ehre macht – benennen sich die Benannten doch eben nicht selbst aus eigener Macht und Souveränität, ist der Taufakt, der Akt der Namensverleihung doch eine Urszene semantischer Fremdbestimmung. Bacon hat sich die Pointe nicht entgehen lassen, den Inhaber des Petrusamtes auf schwankendem Boden, über den Mächten der Unterwelt schwebend und schaukelnd darzustellen. Sein Papst schreit auch deshalb, weil er, der Fels, in diesen Abgrund zu stürzen droht.
Die Worte, mit