»Ich weiß, daß wir es eilig haben. Deshalb werden Sie auch sofort anfangen.«
Kay wandte sich Hanna und Frerichs zu, zuckte die Schultern und sagte beherrscht:
»Na, bleiben wenigstens wir vernünftig und verlieren keine unnötige Zeit mehr! Es ist alles vorbereitet.« Er warf Markmann einen Blick zu und fragte: »Sie wollen doch nicht während der Operation mit der Waffe neben mir stehen, oder? Das würde mich stören, die Sterilität wäre auch nicht gewährleistet, und es könnte sich keiner um Sie kümmern, wenn Sie umfallen sollten.«
»Wie lange dauert eine solche Operation?« war Markmanns Antwort.
»Einige Stunden werden Sie sich schon gedulden müssen.«
»Na gut. Ich warte auf einem Stuhl vor der Tür zum OP-Raum. Und wehe Ihnen, Dr. Martens, wenn die Operation nicht gelingt oder Jörg etwas zustößt.«
»Das hätten Sie sich dann einzig und allein selbst zuzuschreiben, mein Lieber. Aber was rede ich denn da? Sie sind doch keinerlei Vernunftsgründen zugänglich.«
»Tun Sie endlich was!« brüllte Markmann, und Tränen rannen ihm über die Wangen. Da trat Oberschwester Elli zu ihm und sagte freundlich:
»Na, kommen Sie, gehen Sie aus dem Weg und fahren Sie mit zur OP-Abteilung hoch. Ich mache Ihnen einen ordentlichen Kaffee, damit Sie munter bleiben, und dann haben Sie auch Zeit, sich zu beruhigen.«
»Falls Sie sich einbilden, mich auf die sanfte Tour rumkriegen zu können, dann muß ich Ihnen sagen, daß das zwecklos ist.«
»Das glaube ich Ihnen sogar aufs Wort, Herr Markmann. Und nun kommen Sie, damit alles beginnen kann. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß ich Ihnen das Ding da abnehme. Ich hasse Waffen.«
Achim Markmann warf noch einmal einen Blick auf Jörg, der aber kaum noch reagierte, und ließ sich von Oberschwester Elli fortziehen. Er war sichtlich erleichtert, daß er seinen Willen durchgesetzt hatte.
*
»Saubere Arbeit hat er da geleistet«, sagte Kay später. Sie sprachen kaum während der Operation, die ihr ganzes Können erforderte.
Zuerst war Kay ein wenig mulmig zumute gewesen. Aber dann, nachdem er begonnen hatte, wußte er, daß es wirklich stimmte, was man immer behauptete. Kein Chirurg vergißt einen einmal gelernten Handgriff.
Sie merkten gar nicht, daß es später und später wurde, daß die Dämmerung heraufzog. Beim ersten Sonnenstrahl, der durch das große Fenster fiel, legte Kay die gebogene Nadel fort und wandte sich ein wenig zur Seite, um Hanna Platz zu machen, die gerade eben den Verband an Jörgs linker Hand befestigte.
Sie rissen sich den Mundschutz ab, zogen die Handschuhe aus und warfen sie in den dafür bereitstehenden Behälter. Dann sagte Kay lachend:
»Hoffentlich wird nicht bekannt, daß wir auch so was machen können hier. Das würde uns restlos überfordern.«
»Es war einfach mitreißend, Kay, was du da geleistet hast«, gab Hanna ehrlich zurück. Sie sah ihren Bruder strahlend an. »Du bist ein Künstler, wie man ihn selten findet.«
»Soll ich dir sagen, was ich bin?« Kay lachte. »Müde bin ich und gleichzeitig auch viel zu aufgedreht, um jetzt zu schlafen.«
»Das geht uns allen so.« Martina Dirksen lachte leise auf. »Aber wirklich, Chef – es war ein Erlebnis, Ihnen zusehen zu können.«
»Was machen wir mit Jörgs Vater?« fragte Hanna in ihrer praktischen Art. Kay sah sie beruhigend an.
»Den überlaßt mir, während ihr den Kleinen auf die Station bringt. Intensiv-Station ist nicht erforderlich. Aber legt ihn auf ein Einzelzimmer, damit er sich erst mal richtig ausschlafen kann. Dann können wir weitersehen.«
Er fuhr in den frischen Kittel und sah zu, wie man Jörg auf das fahrbare Bett legte, ihn zudeckte und dann zum anderen Eingang hinausschob, wo man gleich in den Aufzug gelangte.
Dann stand er vor Achim Markmann, der auf dem Stuhl vor dem OP saß und Kay nur aus großen, angstvollen Augen anschauen konnte. Sprechen konnte er nicht, obwohl er den Mund geöffnet hatte.
Seine Waffe hatte er schon längst nicht mehr in der Hand. Sie lag gesichert und matt in der Morgensonne glänzend neben ihm auf dem Stuhl.
Kay blieb dicht vor ihm stehen und sah ihn freundlich an.
»Das hätten wir wieder mal geschafft«, sagte er nur. Und da endlich fragte Achim Markmann mit einer ganz kleinen und armselig wirkenden Stimme:
»Soll das heißen, daß Sie die Finger wieder richtig angenäht haben?«
»Natürlich. Ich erinnere mich, daß Sie uns Ihren Jungen deswegen hergebracht haben, oder?«
Da lehnte sich der große, starke Mann auf seinem Stuhl zurück, schlug die Hände vor das erschütterte Gesicht und schluchzte auf:
»Sie haben es also getan! Und es ist gutgegangen, nicht wahr? Ich wußte es. Ich wußte, daß Sie es können. Deshalb wollte ich ja auch, daß Sie es machen.«
»Finden Sie nicht auch, daß Sie Ihren Wunsch anders hätten aussprechen können, Herr Markmann? Es ist – na, sagen wir es ganz vorsichtig – doch sehr ungewöhnlich, wenn ein Arzt mit vorgehaltener Waffe gezwungen wird, etwas zu tun, was er vielleicht Spezialisten überlassen möchte.«
»Werden Sie mich anzeigen, Dr. Martens?« fragte Achim Markmann leise und sah plötzlich gar nicht drohend aus, sondern eher ein bißchen demütig.
»Anzeigen? Warum? Weil Sie als Vater eines schwer verletzten Jungen die Nerven verloren haben? Ich denke nicht daran.«
»Aber – ich habe sie doch mit meiner Waffe bedroht, die ich nur im Dienst benutzen darf – und dann auch mit vielen, vielen Auflagen. Ich habe…«
»Sie haben Angst um Ihren Jungen gehabt. Das kann jeder verstehen. Und das mit der Pistole, das sollten wir so schnell wie möglich vergessen.«
»So viel Verständnis habe ich gar nicht verdient.« Achim Markmanns Lippen zitterten erneut. Und da sagte Kay schnell:
»Zerreden wir doch nicht alles, Herr Markmann. Freuen wir uns, daß die Operation hinter uns liegt.«
»Ja«, sagte Markmann und zog hörbar die Luft ein. Dann konnte er mit einigermaßen normaler Stimme fragen:
»Und wie steht es nun? Wird Jörg die Finger wieder benutzen können? Ich meine, richtig benutzen?«
»Aber selbstverständlich. Er könnte sogar, wenn er wollte und das Talent hätte, Pianist werden.«
»Ich danke Ihnen, Dr. Martens, ich danke Ihnen von ganzem Herzen.«
Oberschwester Elli kam mit einer frisch aufgebrühten Kaffee. Obwohl sie keinen Dienst gehabt hatte, war es selbstverständlich für sie gewesen, aufzubleiben. Irgendwie war sie immer da, wo man sie gerade brauchte.
»Sie sehen aus, als könnten Sie auch einen vertragen«, wandte sie sich an Kay und fuhr fort: »Ich
habe schon gehört, daß die Operation ein voller Erfolg geworden
ist.«
»Das habe ich von Anfang an gewußt«, erklärte Achim Markmann voller Überzeugungskraft. Oberschwester Elli warf ihm einen halb mitleidigen, halb drohenden Blick zu.
»Sie werden von mir noch eine handfeste Standpauke zu hören bekommen, mein Lieber. Damit warte ich aber lieber, bis Sie aufnahmefähiger sind, damit Sie auch alles verstehen und begreifen, was ich Ihnen zu sagen habe.«
»Ich weiß, daß ich es verdient habe«, gab Markmann zerknirscht zu und nahm den Kaffee. Er wußte nicht, wie oft Oberschwester Elli ihm eine Tasse gebracht hatte während der Operation an seinem Jungen.
»Wann darf ich Jörg sehen?«