Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Frey
Издательство: Bookwire
Серия: Kinderärztin Dr. Martens
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740977788
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etwa nicht?« fragte Hanna und lachte leise. »Kommen Sie mit, einen Kaffee trinken? Oberschwester Elli hat mit Abstand den besten Kaffee in der ganzen Umgebung. Weiß der Himmel, wie sie es anfängt – ihr Kaffee ist immer etwas Besonderes. Ich habe mir die Kaffeedose schon mitgenommen, Wasser aus demselben Hahn, den sie benutzt, ja, ich habe mir schon ihre Kaffeemaschine ausgeliehen – aber der Kaffee, den ich gebraut habe, war nur ganz annehmbar, nicht aber im entferntesten das, was Oberschwester Elli fertigbringt.«

      »Liegt wahrscheinlich an der Hingabe. Sie kocht ja keinen Kaffee, sie zelebriert ihn.« Schwester Barbara kicherte. Sie wollten gerade eben die jetzt menschenleere Operationsabteilung verlassen, in der in wenigen Minuten alles geputzt und wieder für neue Operationen bereitgemacht würde, als Dr. Frerichs kam.

      Sein meist offenstehender Kittel flatterte, so eilig hatte er es.

      »Gut, daß ich Sie noch antreffe, Frau Chefärztin. Wir müssen sofort los. Ein Junge hat sich zwei Finger abgeschnitten, mit der elektrischen Kreissäge seines Vaters.«

      »Allmächtiger!« stieß Hanna hervor. »Wer ist es?«

      »Jörg Markmann.«

      »Also los!« sagte Hanna und lief schon davon. Frerichs folgte ihr, aber er war nicht schnell genug, ihr die Türen zu öffnen. Sie saß schon im Notarztwagen, den Martin Schriewers meistens fuhr, als Dr. Frerichs sich neben sie setzte.

      »Wissen Sie schon Genaueres?« wollte Hanna aufmerksam wissen. Ihre schmerzenden Füße waren vergessen. Und auch ihr Kaffeedurst.

      Martin Schriewers schaltete Blaulicht und Martinshorn ein, sobald sie das Klinikgelände verlassen hatten. Es war zwar nicht notwendig, weil in Ögela, das nur an einer

      Nebenstraße lag, kaum Verkehr herrschte, aber für Martin schien das nun eben mal mit dazuzugehören. Ein Unfallwagen ohne Blaulicht und Martinshorn war in seinen Augen wie eine Suppe ohne Salz.

      Sie erreichten das Haus der Markmanns, vor dem nun schon einige Frauen und Männer standen und aufgeregt miteinander diskutierten. Jetzt machten sie Hanna und Dr. Frerichs schweigend Platz, als sie den Wagen verließen und auf die offenstehende Haustür zueilten, unter der die tränenüberströmte Thea Markmann stand und zitternd und zusammenhanglos hervorstieß:

      »Jörg! Frau Doktor – seine Finger!«

      Hanna schob die Frau, die außer sich war, beiseite und betrat das Haus. Dr. Frerichs folgte ihr auf dem Fuße. Er trug die schwere Bereitschaftstasche. Martin Schriewers blieb hinter dem Steuer sitzen. Es ging niemanden etwas an, daß er zarter besaitet war, als alle glaubten. Genauer ausgedrückt – Martin Schriewers war immer einer Ohnmacht nahe, wenn er Blut sah. Das brauchte aber niemand zu wissen. Man denke – ein Krankenwagenfahrer, der kein Blut sehen konnte! Dabei war er, wenn man es genau betrachtete, gar kein Krankenwagenfahrer, sondern der Hausmeister der Kinderklinik Birkenhain. Aber es hatte sich so eingebürgert, daß Martin den Krankenwagen fuhr, und kein Mensch dachte daran, eigens dafür einen Fahrer einzustellen. Martin hatte seine Sache bisher sehr gut gemacht, und das würde er auch in Zukunft tun, punktum.

      Jörg war immer noch bei Bewußtsein, aber leichenblaß. Er wirkte apathisch. Als erfahrene Ärztin wußte Hanna, daß dies das typische Stadium eines Vorschocks war.

      »Tut gar nicht weh!« sagte Jörg und streckte Hanna seine verbundene Hand hin. Dabei sah er sie in einer Weise an, die rührend wirkte. Thea Markmanns Schluchzen wurde noch stärker.

      Hanna nahm Jörgs Hand, legte sie auf das Polster, das Dr. Frerichs Jörg auf die Oberschenkel geschoben hatte und wickelte den Mullverband, den Achim Markmann angelegt hatte, ab. Obwohl Hanna vorbereitet war, erschrak sie doch zutiefst. Zeige- und Mittelfinger waren glatt abgeschnitten. Die Stümpfe bluteten kaum. Die Arterien hatten sich schon kurz nach dem Unfall zusammengezogen. Geronnenes Blut hatte die Wunden verstopft. Hanna fand, daß das eine segensreiche Selbstschutzaktion des menschlichen Körpers war, die sie schon oft hatte beobachten können.

      Sie prüfte den Puls des Jungen. Er war matt und beschleunigt.

      »Wie fühlst du dich?«

      »Geht so«, erwiderte Jörg.

      Nun schluchzte auch die sonst beherzte Maria Wichert leise auf. »Wie tapfer das Kerlchen doch ist!« stieß sie hervor.

      Hanna wußte, daß das nicht so war. Sie hatte das schon oft bei sogar Schwerstverletzten beobachten können. Mit geradezu gespenstischer Gelassenheit und Tapferkeit standen sie durch und schienen kaum Angst oder Schmerzen zu empfinden. Es war, als sende das geschockte Nervensystem so etwas wie eine körpereigene Wunderdroge aus, die eine Art Schutzwall errichtete.

      Hanna und Dr. Frerichs nickten einander zu. Sie waren gut aufeinander eingespielt, denn sie hatten schon mehrere Einsätze zusammen durchgeführt.

      Dr. Frerichs legte eine Infusion an, um den Kreislauf zu stabilisieren, und injizierte ein Mittel zur Stärkung der Herztätigkeit, während Hanna einen Druckverband anlegte.

      Und Thea Markmann erging sich in Erklärungen und Selbstanklagen.

      »Oh, diese Kreissäge! Ich war ja gleich dagegen, daß Achim, mein Mann, sie anschaffte. Und Jörg! Ich weiß nicht, wie oft wir dem Jungen verboten haben, diese Säge in Betrieb zu setzen. Achim!« Sie fuhr herum und sah ihren Mann anklagend an. »Warum nur mußtest du erst deinen Kaffee trinken, wo du doch wußtest, wie eilig der Junge es hatte.«

      Achim Markmann, der große starke Mann, vor dem heimlich viele zitterten, sagte nichts. Er stand nur ganz erschüttert da und hatte Tränen in den Augen, die jetzt langsam über seine Wangen rannen.

      »Wo sind die Finger?« fragte Hanna mit heller Stimme, der man anhörte, daß sie voll konzentriert war.

      Keine Antwort, nur ängstliches Schweigen. Genau das hatte Hanna befürchtet. Vor lauter Panik war niemand auf den Gedanken gekommen, die Finger zu suchen.

      Hanna sprang auf. Gemeinsam mit Dr. Frerichs hastete sie in den Keller. Martin Schriewers, der sich nun doch endlich entschlossen hatte, den sicheren Krankenwagen zu verlassen, blieb neben Jörg stehen.

      Die blutige Kreissäge lag am Boden. Fieberhaft suchten Hanna und Dr. Frerichs den Raum ab. Sie wühlten im Sägemehl, krochen unter die Werkbank und suchten aufgeregt und fieberhaft nach den abgeschnittenen Fingern. Endlich fand Frerichs den Zeigefinger neben der Fußleiste, und Hanna entdeckte den Mittelfinger hinter einer Farbdose.

      »Endlich!« stieß Hanna hervor. Beinahe hätte sie vor lauter Erleichterung geschluchzt. Der erste Schritt war getan, den kleinen Jörg Markmann davor zu bewahren, für den Rest seines Lebens mit einer verkrüppelten linken Hand herumlaufen zu müssen.

      Sie eilten nach oben. Dort wickelte Hanna die abgeschnittenen Finger in ein keimfreies Tuch, gab es in einen Plastikbeutel und verschloß alles in einem Spezialbehälter, der mit Eiswürfeln gefüllt war. Auf diese Weise blieben die abgeschnittenen Finger bis zu vierundzwanzig Stunden replantierbar.

      »Martin!« wandte sich Hanna an diesen. »Funken Sie nach dem Rettungshubschrauber. Jörg muß in eine Spezialklinik, damit man die Finger wieder annähen kann.«

      »Nein!«

      Nach diesem Einwurf blieb es sekundenlang mucksmäuschenstill in der Küche der Markmanns. Dann fragte Hanna, während sie sich umwandte und Achim Markmann fest in die Augen sah:

      »Was soll das?«

      »Ich sagte – nein, Frau Dr. Martens. Sie werden meinen Jungen operieren, Sie und Ihr Bruder. Hier in Ögela, wo wir unseren Jungen nahe bei uns haben können.«

      »Seien Sie vernünftig, Herr Markmann.« Hanna sah ihn ruhig an. Er stand wohl auch unter Schock, dachte sie. Aber schon die nächsten Worte zeigten ihr ganz deutlich, daß Achim Markmann genau wußte, was er sagte und wollte.

      »Sie werden Jörg die Finger in Ihrer Klinik annähen, Frau Dr. Martens.«

      »Aber die Spezialklinik liegt

      nur fünfzehn Hubschrauberminuten entfernt. Dort ist man auf so etwas eingerichtet,