Ronaldo zieht im Sporting-Wohnhaus für junge Spieler aus anderen Teilen des Landes ein. Es besteht aus sieben Schlafsälen und einem Wohnzimmer und befindet sich im Inneren des Alvalade-Stadions, gleich neben den drei Trainingsplätzen. Ronaldo ist der jüngste Bewohner und wird sich ein Zimmer mit Fábio Ferreira, José Semedo and Miguel Paixão teilen. Andere Mitbewohner kommen aus Mosambik (einer ehemaligen portugiesischen Kolonie), von der Algarve und aus der Stadt Vila Real in Nordportugal. Sie alle haben einen straffen Tagesplan: Schule bis fünf Uhr nachmittags und danach Training.
Der erste Tag in der Schule ist ein traumatisches Erlebnis für den Jungen. Er kommt zu spät in den Unterricht, und der Lehrer nimmt bereits die Namen auf. Er ist als Fünfter an der Reihe. Als er aufsteht und seinen Namen sagt, hört er, wie sich einige Schüler im hinteren Teil des Klassenzimmers über seinen madeirischen Dialekt lustig machen. Der Dialekt unterscheidet sich sehr stark von dem Portugiesisch, das in der Hauptstadt gesprochen wird, und ist beinahe eine vollkommen andere Sprache. Er klingt wie ein Insulaner, und niemand kann ihn wirklich verstehen. Cristiano verliert die Beherrschung und droht seinem Lehrer mit einem Stuhl.
Er wird zum Gespött der Klasse und kommt sich wie ein Idiot vor. Ein paar Tage darauf beschimpft er einen Trainer, der ihn bat, die Kabine aufzuräumen. „Ich bin ein Spieler von Sporting und muss nichts vom Boden aufheben“, meint er. Das ist nicht besonders klug von ihm. Zur Strafe muss er bei einigen Spielen aussetzen. Und natürlich muss er weinen – fast jeden Tag. Er hat Heimweh nach seiner Familie, seiner Insel und seinen Freunden.
Er kauft sich eine Telefonkarte mit 50 Einheiten und geht hinunter zur Telefonzelle. Es macht ihn traurig, die Stimme der Mutter zu hören. Es bringt ihn zum Weinen, und er vermisst sie noch mehr. Dolores versucht, ihn aufzumuntern. Sie rät ihm, die Witzbolde in der Schule gar nicht zu beachten. Sie muss ihn oftmals trösten und ihn überzeugen, dass sein Leben und seine Zukunft in Lissabon liegen, in der Jugendakademie von Sporting. Am Ende muss sie in die Hauptstadt einfliegen, weil Cristiano ihr sagt, dass er es nicht mehr aushält. Er will abbrechen, seinen Traum sausen lassen und wieder auf die Insel zurückkehren, um bei seiner Familie sein zu können.
„Ohne seine Mutter wäre Cristiano nicht der geworden, der er heute ist“, bestätigt Aurélio Pereira. „Sie hat oftmals Partei für uns gegenüber ihrem Sohn ergriffen. Sie hat uns geholfen, und sie hat Cristiano geholfen.“ Als der Junge die Heimat besucht und nicht mehr nach Lissabon zurückkehren will, greift auch sein Patenonkel ein und sorgt dafür, dass er auf der Akademie bleibt. Das erste Jahr ist eine Tortur. Doch allmählich fängt er an, sich einzugewöhnen. „In schwierigen Zeiten lernt man eine Menge über sich selbst“, wird er Jahre später sagen. „Man muss stark bleiben und sich auf das konzentrieren, was man wirklich will.“
„Er hatte sein Leben lang einen Traum – er wollte jemand sein“, sagt Paulo Cardoso. „Er wollte von ganzem Herzen Profifußballer sein.“ Während dieser harten Anfangsjahre hat er einen madeirischen Tutor, Leonel Pontes, der ihn zum Training und zur Schule begleitet. „Ronaldo war entschlossen bei allem, was er tat“, erinnert er sich. „Er wollte bei allem – Tischtennis, Tennis, Pool-Billard, Kickern, Darts, Leichtathletik – der Beste sein, er wollte jeden Gegner schlagen beziehungsweise der Schnellste sein. Er musste gewinnen, völlig egal, welche Sportart er gerade ausübte. Dass er immer mehr wollte, ist, glaube ich, einer der Gründe dafür, dass er es dorthin geschafft hat, wo er heute ist.“
Sie finden ihn um ein Uhr morgens im Kraftraum vor, wo er ohne Erlaubnis Gewichte stemmt. Auf dem Zimmer macht er Liegestütze und Sit-ups, und er trainiert mit Gewichten an den Fußknöcheln, um sein Dribbling zu verbessern. Wenn seine Mannschaftskameraden sich nach den Trainingseinheiten in Richtung Dusche aufmachen, bleibt er noch auf dem Platz und übt Freistöße gegen eine Mauer aus lebensgroßen Zielscheiben. Er isst bei jeder Mahlzeit zwei Schüsseln Suppe, weil man ihm gesagt hat, dass er zwar gut spiele, aber zu dünn sei.
Wenn Sporting am Sonntag zu Hause spielt, ist er Balljunge und holt den Ball zurück, wenn dieser ins Aus geht. Er sieht einige der besten Spieler des Vereins aus nächster Nähe, spürt die Atmosphäre im Stadion und verdient sich gleichzeitig fünf Euros. Nach jedem Spiel werfen er und seine Mannschaftskameraden ihr Geld zusammen und gehen in die Pizzeria. Sie kaufen eine Pizza und nehmen außerdem noch zwei mit nach Hause.
Sein erstes Gehalt bei Sporting beträgt zehn Contos pro Monat, also etwa 50 Euro. Das reicht, um Klamotten, Schulbücher, Schulhefte und den Rucksack zu kaufen, den er für die Schule braucht. Außerdem deckt es die täglichen Ausgaben. Doch eines Tages ruft Dolores beim Verein an und informiert ihn, dass „Ronaldo sich nicht sein Essen in der Kantine gekauft, sondern sein ganzes Geld für Schokolade ausgegeben hat“. Er ist halt doch immer noch ein Kind, obwohl er gezwungenermaßen seine Kindheit zurücklassen und schnell erwachsen werden musste. „Ich bedauere es schon, dass ich meine Kindheit nicht wirklich genießen konnte“, wird er einige Jahre später in einem Interview kurz vor der WM 2010 in Südafrika sagen.
Man erwartet von ihm, dass er sich wie ein Erwachsener verhält, eigenständig lebt und sich um seine Wäsche und das Bügeln kümmert. Er ist ja hier als Fußball-Azubi, nicht als Kind. Dazu kommen die Probleme in seiner Familie, mit denen er sich auseinandersetzen muss. Mit 14 Jahren ist Cristiano klar, dass sein Vater Dinis chronischer Alkoholiker und sein Bruder Hugo drogenabhängig ist. Er ist geschockt, aber er kann sich davon auch nicht erdrücken lassen. Sein älterer Bruder wird in eine Entziehungsklinik in Lissabon eingewiesen und schafft es nach diversen Rückfällen schließlich, clean zu werden. Sein Vater dagegen schafft es nicht.
Glücklicherweise bessert sich das Leben in der Akademie. „Dank seines außerordentlichen Talents und harter Arbeit passte er sich schließlich an sein neues Leben an und wurde zum Mittelpunkt der Mannschaft“, sagt sein Tutor Pontes. „Die anderen spielten den Ball immer öfter zu ihm, weil sie wussten, dass er der Beste ist.“ Er ist auf und abseits des Platzes ein Anführer. In der Dokumentation Planet Ronaldo, die vom portugiesischen Fernsehkanal Sic gesendet wurde, erzählt Pontes, dass Cristiano und drei Mannschaftskameraden einmal auf einer Straße in Lissabon überfallen wurden. Cristiano war der einzige, der nicht wegzulaufen versuchte, obwohl er der Jüngste war. Er wehrte sich und wollte das wenige Geld verteidigen, das sie in ihren Portemonnaies hatten. Die Straßenräuber zogen schließlich ohne Bares wieder ab.
Die Jugendakademie von Sporting kümmert sich nicht nur auf dem Trainingsplatz um ihre vielversprechenden jungen Spieler. Sie stellt ihnen auch einen Tutor zur Seite, damit sie sich in der nahe gelegenen Ganztagsschule Crisfal hervortun können. Ronaldo liebt zwar den Fußball, aber die Schule läuft eher nebenher. Naturwissenschaften mag er, kann aber Englisch nicht leiden. Er ist ein ordentlicher Schüler, macht jedoch nur das Nötigste. Fußball, Freunde und die Arbeit als Balljunge lenken ihn vom Lernen ab. Schlussendlich muss er sich zwischen dem Sport und der Schule entscheiden. Er redet mit seiner Mutter darüber und trifft eine Entscheidung: Er wird nach der neunten Klasse abgehen.
Das Vereinsmanagement versucht, den jungen Spielern zu helfen, sich einzuleben, und bietet Beratung durch einen Psychologen an. Gleichzeitig herrscht strenge Disziplin. Ronaldo hat bis heute nicht vergessen, wie er einst in der Nachwuchsmannschaft die volle Wucht dieser Disziplin zu spüren bekommen hat. Am letzten Spieltag der Meisterschaft trifft Sporting auf Marítimo, die Mannschaft aus Cristianos Heimatstadt. Es ist die Gelegenheit, auf seine Insel, in seine Stadt und in das Stadion zurückzukehren, wo er seine ersten Spiele absolvierte, und seine ganze Familie und seine Schulfreunde wiederzusehen. Das ist mehr, als er zu hoffen gewagt hat. Doch Cristiano hat sich in der Schule danebenbenommen, und das Management beschließt, ihn dort zu bestrafen, wo es wirklich weh tut. Er wird nicht mit ihnen nach Madeira kommen. „Ich habe die Liste gesehen und stand nicht drauf,“ sagt er. „Ich habe sie viermal geprüft und … nichts. Ich habe angefangen zu weinen und bin ins Trainingszentrum gestürmt, wo ich wütend eine Erklärung verlangt habe. Es war ziemlich heftig, aber ich habe eine wichtige Lektion gelernt.“
Die Akademie erwartet von den Spielern, dass sie sich an strikte Vorgaben halten. Gemeinsam mit dem Mannschaftsarzt kümmert sich das Management um die körperliche Entwicklung jedes einzelnen Spielers. Im Falle Cristianos