„Ich widme dieses Tor meiner Familie, besonders meiner Mutter Dolores, die hier bei mir in Lissabon ist“, erklärt ein aufgekratzter Cristiano Ronaldo gegenüber Portugals Boulevardblatt Correio da Manhã. Er bedankt sich bei seinem Trainer, der ein „großartiger Coach ist, der mit den jungen Spielern ein großes Risiko eingegangen ist und mir sehr geholfen hat, mich in die Profimannschaft zu integrieren“. Auch die Fans vergisst er nicht: „Ich weiß, dass sie mich mögen, und ich werde hart arbeiten, um ihr Vertrauen in mich zu bestätigen und ihnen dafür zu danken, wie sie mich willkommen geheißen haben. Ich werde mein Bestes geben und hoffentlich meine Ziele erreichen.“
Elf Tage später, am 14. August, sind ihm die Götter aufs Neue wohlgesinnt. Er gibt sein Debüt in einem offiziellen Spiel, und zwar in der Qualifikation zur Champions League im Alvalade. Der Gegner ist kein Geringerer als Inter Mailand, das von dem Argentinier Héctor Cúper trainiert wird. Ronaldo wird in der 58. Minute für den Spanier Toñito eingewechselt. Er sieht sich augenblicklich mit den Veteranen Javier Zanetti und Marco Materazzi konfrontiert, die zusammengenommen schon mehr Jahre Fußball spielen als Ronaldo überhaupt auf der Welt ist. Sie machen Cristiano das Leben äußerst schwer, doch am Ende hat er trotz des Ergebnisses von 0:0 eine beeindruckende Leistung abliefern können. Bei seinen Anflügen von Brillanz, wenngleich nur punktuell, geht ein Raunen durch die Zuschauer. Nicht schlecht für ein Debüt.
Einige kritische Stimmen in der portugiesischen Presse erwähnen das exzessive Tricksen und Antäuschen sowie eigensinnig angegangene Zweikämpfe von Ronaldo und dem Weißrussen Wital Kutusau, dem anderen jungen Spieler im Angriff der Löwen. Es heißt, sie wüssten nicht, wann sie abspielen müssen. Ein jugendliches Laster, das man nur durch jahrelanges Training korrigieren kann. Mit Sicherheit weiß Cristiano jedoch die Zuschauer zu unterhalten. Das stellt er auch in der portugiesischen Liga bei seinem zweiten Auftritt am 7. Oktober 2002 unter Beweis. Der Titelverteidiger spielt zu Hause gegen den Moreirense FC, der gerade aus der 2. Liga aufgestiegen ist. So weit also kein besonders außergewöhnliches Spiel. Doch Cristiano steht zum ersten Mal in der Startelf und wird im Alter von 17 Jahren, acht Monaten und zwei Tagen als jüngster Torschütze aller Zeiten bei Sporting Geschichte schreiben. Er erzielt ein „monumentales, königliches, unglaubliches Tor … Es gibt gar nicht genug Adjektive, um die Leistung dieses jungen Wunderkinds von Sporting zu beschreiben“, überschlagen sich die Kommentatoren von Sport TV.
Es läuft die 34. Minute. Ronaldo bekommt kurz hinter der Mittellinie den Ball per Hackentrick von Toñito zugespielt, umkurvt zwei Verteidiger und lässt über etwa 60 Meter seine Gegenspieler wie Slalomstangen stehen. Er überlistet am Strafraumeck mit einem Übersteiger einen weiteren Gegner und legt den Ball elegant an Moreirenses Torwart João Ricardo vorbei, der in einem verzweifelten Abwehrversuch zur Strafraumgrenze stürmt. Cristiano reißt sich das Trikot vom Leib, umarmt seine Mannschaftskollegen und läuft auf die Tribüne zu. Bölöni feiert mit seinen Kollegen an der Bank. Er war ja derjenige, der das Risiko eingegangen ist und die Umstellung auf Ronaldos Position vorgenommen hat. Ein Risiko, das sich gelohnt hat.
Zurück zum Spiel: Die Vorstellung der Nummer 28 ist noch nicht vorbei. Nicht der brasilianische Stürmer „Super Mário“ Jardel – im Jahr zuvor Träger des „Goldenen Schuhs“ als bester europäischer Torschütze und nach vier Monaten Verletzungspause wieder zurück –, sondern Cristiano prägt das Spiel. Er setzt auch den Schlusspunkt, indem er mit einem spektakulären Kopfball auf 3:0 erhöht. Getrübt wird die Geschichte lediglich dadurch, dass Cristianos Mutter Dolores auf der Tribüne einen kleinen Schwächeanfall erleidet. Vielleicht ist es die Aufregung über die Leistung ihres Sohnes. Glücklicherweise handelt es sich nur um einen kurzen Schrecken.
Tags darauf beherrscht Ronaldo mit seinem „monumentalen Tor“ die Titelseiten Portugals. Die Journalisten nutzen die Gelegenheit, seine Geschichte zu erzählen, und berichten von seinen ersten Spielen auf der Straße in den „Slums“ von Madalena und Santo António. Sie befragen die Trainer aus seiner Kindheit und versuchen, an seinen Vater ranzukommen. Der arme Mann hat jedoch nur die Zusammenfassung sehen können – er hat das Spiel im Radio verfolgt, weil zur gleichen Zeit auch Andorinha spielte. Er sagt, dass jeder auf der Insel über den Erfolg seines Sohnes rede. Außerdem werde gewitzelt, er solle zusehen, dass Sporting ihn mal an Andorinha ausleiht, damit man dort zur Abwechslung auch mal etwas gewinnt.
José Dinis meint außerdem, dass sein Sohn eine Naturgewalt sei und seit seiner jüngsten Kindheit Tag und Nacht mit dem Ball gespielt habe. Er hofft, dass ihm eine große Zukunft bevorsteht und er als Mensch weiterhin genauso reift wie als Spieler. Er selbst will keinen Ruhm, nur weil er der Vater der Nummer 28 ist. Allerdings werde er das nächste Spiel seines Sohnes ganz bestimmt nicht wieder verpassen. Er habe bereits ein Flugticket gekauft, um ihn bei Belenenses sehen zu können – nach sechs Jahren reist er zum ersten Mal wieder nach Lissabon.
Doch nicht nur die portugiesische Presse ist an dem Newcomer interessiert. Dank seiner Tore und seines Namens schlägt Ronaldo in ganz Europa Wellen – schließlich feiert der berühmte brasilianische Ronaldo gerade sein x-tes Comeback und verhalf Brasilien gerade erst zum Gewinn der WM 2002 in Südkorea und Japan. Er ist mit acht Treffern der Torschützenkönig des Turniers. Italiens Gazzetta dello Sport spricht auf der Titelseite bereits vom „neuen Ronaldo“. Und was hält der Junge aus Madeira von solchen Vergleichen? „Ich würde es niemals wagen, daran zu denken. Ronaldo von Real Madrid ist ein Superstar. Er ist der beste Spieler der Welt. Er ist mein Lieblingsspieler.“
Cristianos Leistung bei den Profis ist überragend. Er ist zum Liebling der Fans avanciert. László Bölöni hat größtes Vertrauen in ihn. Doch der Wettbewerb ist hart, denn auf die Stürmerposition erheben auch Jardel, Quaresma, João Pinto, Toñito und Niculae Anspruch. Am Saisonende hat Ronaldo in 25 Partien gespielt, aber nur in elf von Anfang an. Er hat drei Treffer in der Liga und zwei im Pokal erzielt. Sporting hatte dabei keinen guten Lauf. Der Verein konnte sich nicht für die Champions League qualifizieren, nachdem er das Rückspiel im San Siro 0:2 gegen Inter verloren hatte. Auch im UEFA-Cup flog man gegen Partizan Belgrad aus Serbien raus (1:3, 3:3). Am 1. Mai warf Zweitligist Naval 1° de Maio Sporting im Viertelfinale aus der Copa de Portugal, dem portugiesischen Pokalwettbewerb. Und den Titel in der Liga konnte man auch nicht verteidigen. Am Ende wurde man Dritter, 27 Punkte hinter José Mourinhos FC Porto und 16 hinter Benfica.
Bölöni verabschiedet sich von der Bank – ein wehmütiger Moment für seine Nummer 28. „Ich habe wirklich gerne mit ihm gearbeitet. Er war ja derjenige, der mich zu den Profis geholt hat“, sagt Cristiano. „Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich immer noch bei den Amateuren.“ Der neue Trainer ist Fernando Santos. Cristiano kennt ihn zwar nicht, hat aber gehört, dass er einen tollen Charakter hat, viel Wert auf Disziplin legt und in der Fußballwelt hoch angesehen ist. Bei seiner Ankunft brodelt die Gerüchteküche. Es heißt, der Starspieler der Akademie würde möglicherweise bald gehen. Santos sieht sich zu einer Stellungnahme gezwungen und erklärt: „Ronaldo ist für Sporting ein Schlüsselspieler.“
Cristiano kann nur hoffen, dass das wirklich der Fall ist. Er erklärt, dass er bei Sporting bleiben will. „Ich möchte all meine Energie darauf verwenden, dem Verein beim Gewinn der Titel zu helfen, die ihm dieses Jahr durch die Lappen gegangen sind. Ich spiele bei Sporting, seit ich zwölf Jahre alt bin, und ich will Meisterschaften mit dieser Mannschaft gewinnen. Würde ich gehen, ohne irgendetwas gewonnen zu haben, würde das einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Aber so ist das Leben. Schauen wir mal, was die Zukunft so bringt …“
Kapitel 5
Le Festival
Das Jugendturnier von Toulon 2003
„Es ging ja nicht darum, der beste Spieler des Turniers zu sein.“
Das Festival International Espoirs de Toulon et du Var, in Deutschland als „Turnier von Toulon“ bekannt, ist neben der U21-EM der bedeutendste Junioren-Wettbewerb. Der Vorläufer dieses Turniers wurde bereits 1967 mit sechs Klubmannschaften ausgetragen, doch seit 1975 spielen dort nur noch die Junioren-Nationalmannschaften verschiedener Länder. Das Turnier