Cristiano ist gerade einmal zehn Jahre alt, als er zu Nacional kommt – und seine Mutter macht sich mehr als nur ein paar Sorgen. „Mein Mann hat ihn immer darin bestärkt, mit älteren Jungs zu spielen. Ich hatte Angst, dass er sich weh tut oder sich ein Bein bricht, aber Dinis hat immer gesagt: ‚Kein Stress, die kriegen ihn ja gar nicht. Er ist zu schnell.‘“
Dass er nur Haut und Knochen ist, entgeht auch den Trainern von Nacional nicht. Schleunigst empfehlen sie, dass er mehr essen soll, um etwas kräftiger zu werden. Doch wenn es um die Bewertung seiner Qualifikationen geht, gibt es für sie keinen Zweifel. „Wir haben sofort gesehen, dass er fantastisch ist“, sagt António Mendoça. Er war Cristianos Coach während seiner zwei Spielzeiten bei Nacional. „Seine Fähigkeiten waren schon hochgradig entwickelt: Tempo, Dribbling, Schusstechnik, blitzschneller Abschluss. Der Straßenfußball hatte ihm beigebracht, wie man Tritten entgeht, dem Gegner ausweicht und sich mit Jungs auseinandersetzt, die viel größer waren als er. Er hatte auch seinen Charakter gestärkt – er war verdammt mutig.“
Nun ist es an Mendoça und den anderen Trainern, ihm zu vermitteln, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Ronaldo bringt es fertig, sich den Ball in der eigenen Hälfte zu holen und sich in Richtung Tor aufzumachen – ohne irgendjemanden in seiner Mannschaft anzuspielen. Seine Gegner machen ihm nichts aus. Niederlagen sind keine Option: Er will alles gewinnen. Er weint und wird wütend auf seine Mannschaftskameraden, wenn etwas schiefläuft. „Sie haben es hingenommen, weil er ja immer so viele Tore geschossen hat“, sagt Mendoça. „Wir haben alle unsere Spiele immer 9:0 oder 10:0 gewonnen.“ Trotzdem sind sein Eigensinn und Stolz ein Problem. Er benimmt sich gegenüber den anderen, als wäre er etwas Besseres. Außerdem ist es schwierig, ihm Ratschläge zu erteilen – das geht nur unter vier Augen und niemals vor dem ganzen Team.
In der Saison 1995/96 gewinnt Cristiano mit Nacional seine erste Regionalmeisterschaft in der Liga der Zehn- bis Zwölfjährigen. Allmählich werden Vereine wie der FC Porto und Boavista Porto, also die großen Klubs vom portugiesischen Festland, auf ihn aufmerksam. Fernão Sousa ist der Meinung, dass es an der Zeit sei, den Sprung zu wagen. Zum zweiten Mal nimmt er Kontakt zu jemandem auf, der die Zukunft des Jungen verändern wird, nämlich João Marques Freitas, dem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt und gleichzeitigen Repräsentanten von Sporting Lissabon in Funchal. Der berichtet daraufhin den Grün-Weißen von dem unglaublichen Jungen aus der Quinta do Falcão. Sporting schickt jemanden hinüber, um mit der Familie zu reden. Es dauert nicht lang, und Ronaldo verabschiedet sich von seiner Kindheit, seiner Familie, seinen Freunden und seiner Insel. Für ihn ist es nun an der Zeit, den Weg auf das Festland anzutreten.
Kapitel 3
Weit weg von der Insel
In der Jugendakademie von Sporting Lissabon
„Es war die schwierigste Zeit in meiner sportlichen Laufbahn.“
Er hat noch nie in einem Flugzeug gesessen – er hat ja bisher noch nicht einmal die Insel verlassen. Es ist die härteste Herausforderung, der er sich jemals hat stellen müssen, und er ist so aufgeregt, dass er in der Nacht davor nicht schlafen kann.
Sein Patenonkel Fernão Sousa begleitet ihn nach Lissabon. Es ist 1997, es sind Osterferien, und Cristiano befindet sich auf dem Weg zu einem Probetraining bei Sporting Lissabon. Er wäre lieber zu Benfica gegangen, einer Mannschaft, die sowohl sein Vater als auch sein Bruder lieben. Doch seine Mutter ist stets ein Sporting-Mädchen gewesen, und sie hat so eine Vorahnung, dass ihr Sohn ebenso groß werden wird wie Luís Figo. Abgesehen davon kann man einem der größten Vereine der Hauptstadt nicht einfach einen Korb geben. Sporting hat die beste Jugendakademie in Portugal und zählt Größen wie Paulo Futre, Figo und Simão zum Kreis seiner Ehemaligen. Zu den aktiven Spielern gehören etwa João Pinto, Ricardo Quaresma, Hugo Viana und Nani.
Cristiano ist sich sicher, dass er dort einen guten Eindruck hinterlassen kann. Er weiß, dass er gut ist, und er glaubt, dass er die grün-weißen Trainer überzeugen kann, dass er gut genug ist. Allerdings ist er erst zwölf Jahre alt, und als er schließlich auf dem Trainingsgelände der Jugendabteilung ankommt, ist alles unglaublich überwältigend. Die Trainer Paulo Cardoso und Osvaldo Silva sind vor Ort, um ihn beim Spielen zu beobachten. Von Ronaldos Körperbau sind sie nicht sonderlich beeindruckt – er ist ein dürres Kind. Doch sobald sie ihn in Aktion erleben, sieht die Sache vollkommen anders aus. Der Junge aus der Quinta do Falcão schnappt sich den Ball und tritt gegen zwei oder drei Gegner an. Er ist unermüdlich und liefert eine One-Man-Show: Er täuscht an, dribbelt und treibt den Ball auf dem Feld nach vorne.
„Ich drehte mich zu Osvaldo und sagte: ‚Der hier ist anders. Der ist etwas Besonderes‘“, erinnert sich Cardoso. „Und wir waren nicht die einzigen, die das so sahen. Am Ende der Trainingseinheit umringten ihn all die anderen Jungs. Die wussten, dass er der Beste war.“ Die Trainer bei Sporting sind von dem Probetraining beeindruckt. Sie wollen ihn am nächsten Tag noch einmal spielen sehen, und zwar auf dem Trainingsgelände neben dem alten Stadion José Alvalade. Dieses Mal will auch der Direktor der Jugendakademie, Aurélio Pereira, dabei sein.
„Er war talentiert, er konnte beidfüßig spielen, er war unglaublich schnell, und wenn er spielte, dann wirkte der Ball wie eine Erweiterung seines Körpers“, sagt Pereira. „Aber was mich mehr beeindruckt hat, war seine Entschlossenheit. Seine Charakterstärke schimmerte durch. Er war beherzt – mental war er unverwüstlich. Und er war furchtlos und ließ sich von älteren Spielern nicht beeindrucken. Er hatte diese Art von Führungsqualität, wie sie nur die größten Spieler haben. Einzigartig. Als sie zurück in die Umkleide gingen, schrien die ganzen anderen Jungen wie wild, um sich mit ihm zu unterhalten und ihn kennenzulernen. Er hatte alles, und es war klar, dass er nur noch besser werden konnte.“
Am 17. April 1997 unterschreiben Paulo Cardoso und Osvaldo Silva Cristianos Spieler-Identifikationsbogen. Dort heißt es: „Spieler mit außergewöhnlichem Talent und hervorragender Technik. Besonders bemerkenswert ist seine Fähigkeit zum Antäuschen und Vorbeiziehen, sowohl aus dem Stand als auch aus der Bewegung.“ Neben dem Wort „Aufnahme in den Verein“ ist das Kästchen „Ja“ angekreuzt. Er spielt als zentraler Mittelfeldspieler oder als hängende Spitze. Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro hat die Prüfung bestanden – er darf bei Sporting spielen. Doch vorher muss man sich noch mit Nacional de Madeira einig werden.
Nach einer Woche in Lissabon kehrt Ronaldo wieder nach Hause auf die Insel zurück. Nun ist es an den Trainern, die letzten Details des Transfers zu regeln. Nacional schuldet Sporting noch 4.500 portugiesische Contos, also etwa 22.500 Euro, für Franco, einen jungen Spieler, der von Sporting dorthin gewechselt war. Im Gegenzug für Cristianos Verpflichtung könnten nun diese Schulden erlassen werden. Allerdings sind 22.500 Euro für einen zwölfjährigen Jungen ein Wahnsinnspreis. „Das gab es noch nie“, meint auch Simões de Almeida, der ehemalige Sportdirektor des Vereins. „Sporting hatte noch nie etwas für einen Jugendspieler bezahlt.“
Aurélio Pereira und die übrigen Trainer müssen dem Management nun klarmachen, dass sich eine so hohe Investition in einen Jungen lohnt. Am 28. Juni 1997 verfasst Pereira einen neuen Bericht und fügt folgenden Nachtrag hinzu: „Auch wenn es absurd erscheinen mag, für einen zwölfjährigen Jungen so viel auszugeben, so hat er doch enormes Talent. Das hat er beim Probetraining und unter den Augen der Trainer unter Beweis gestellt. Es wäre eine großartige Investition in die Zukunft.“ Diese dürren Zeilen reichen aus, um den Finanzdirektor des Vereins zu überzeugen, und der Transfer wird besiegelt.
In der letzten Augustwoche verlässt Cristiano Ronaldo Madeira und zieht in die Jugendakademie von Sporting. Es ist eine äußert schwierige Zeit für den Zwölfjährigen. Er kann sich immer noch an den