Fettnäpfchenführer Bayern. Nadine Luck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nadine Luck
Издательство: Bookwire
Серия: Fettnäpfchenführer
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783958892132
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Zu den drei Stämmen sind nach 1945 über zwei Millionen Heimatvertriebene gestoßen: die Sudetendeutschen. Über sie hat der Freistaat unter Ministerpräsident Alfons Goppel die Schirmherrschaft übernommen. Die Staatsregierung betrachtet »die sudentendeutsche Volksgruppe als einen Stamm unter den Volksstämmen Bayerns«, wie es in einer Urkunde vom 5. November 1962 heißt. Als im Großen und Ganzen gelungen kann man die Integration der etwa aus Böhmen und Mähren Vertriebenen bezeichnen. Das Wirtschaftswunder in den 50er-Jahren sorgte dafür, dass die Neubürger in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden konnten. Sie packten tüchtig mit an. Generell ging dieser vierte Stamm langsam in Bayern auf. Die Vertriebenen blieben nicht unter sich, sondern gehörten dazu. Sie heirateten Einheimische, sodass naturgemäß Stammes- und Kulturgrenzen verschwanden. Das hat natürlich auch eine traurige Folge. Über die Jahrzehnte hinweg gingen viele kulturelle Eigenheiten der Sudetendeutschen verloren, etwa Mundarten, Sitten und Bräuche.

       Obacht, neidabbt!

      Vielleicht tröstet es Jochen, dass er mit seiner geografischen Unwissenheit in bester Gesellschaft ist. Schwierigkeiten, die bayerischen Regierungsbezirke richtig zu verorten, haben auch manche Politiker, die es schon berufsbedingt besser wissen sollten. Christian Ude etwa, der frühere Münchner Oberbürgermeister, war beim Landtagswahlkampf im Jahr 2013 Spitzenkandidat der bayerischen SPD – und das, obwohl Bayerns Landbevölkerung teilweise arg mit ihm fremdelte. Andersherum war es wohl auch so, denn Ude schien bisher nur geahnt zu haben, dass die Welt hinter Feldmoching noch etwas zu bieten hat. Nichts Genaues aber wusste er nicht, darum steckte er die Stadt Aschaffenburg fälschlicherweise nach Ober- statt nach Unterfranken. Kein Wunder, dass alle ihn, der bayerischer Ministerpräsident werden wollte, deshalb ausgelacht haben. Ude wusste vielleicht, dass Aschaffenburg in Franken liegt und dass es von München aus irgendwo oben ist – weshalb er es wohl in Oberfranken vermutete.

      Der damals titelverteidigende Ministerpräsident Horst Seehofer hatte indes nicht wirklich aus Udes Bildungslücke gelernt und Aschaffenburg später in den Westen Bayerns verlegt, also nach Schwaben. Und die Donau ließ er flussabwärts von Deggendorf nach Ingolstadt fließen. Dabei ist es genau andersrum: Die Donau bewegt sich von Ingolstadt nach Deggendorf. Ihr Ursprung liegt im Schwarzwald und sie mündet im Schwarzen Meer.

      Wer glaubt, in anderen Parteien wäre das besser, der irrt. Im Auftrag des bayerischen Wissenschaftsministeriums, dem bis 2013 FDP-Mann Wolfgang Heubisch vorstand, wurde eine Webseite eingerichtet, die für ein Studium in Bayern warb. Alle sieben Regierungsbezirke waren darauf abgebildet, inklusive Niederfranken. Niederfranken? Wer das noch nie gehört hat, liegt richtig. Auf der offiziellen Seite der bayerischen Regierung fiel das zunächst nicht auf. Es sei ein Übersetzungsfehler gewesen, erklärte eine Ministeriumssprecherin später. Lower Franconia sei aus der ursprünglich englischsprachigen Version eben nicht mit Unterfranken, sondern mit Niederfranken übersetzt worden. »Die Mutter unseres Ministers Heubisch kommt immerhin aus der Region. Er hätte das sicher gewusst«, so die Sprecherin weiter. Ja, ja.

      Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister, der ehemalige bayerische Ministerpräsident und auch Jochen haben gelernt: Bayern nur auf München und Oberbayern begrenzen zu wollen wird dem vielfältigen Freistaat nicht gerecht. Flächenmäßig ist Bayern 227-mal so groß wie München. Zugegeben: Auf den ersten Blick mag es unlogisch erscheinen, dass Niederbayern auf der Landkarte weitgehend oberhalb von Oberbayern liegt und Unter-, Mittel- und Oberfranken sogar völlig wirr arrangiert zu sein scheinen. Dafür gibt es aber eine nachvollziehbare Erklärung. Es geht tatsächlich um die relative Lage an der Donau und ihren Nebenflüssen. Landschaften werden häufig nach Flussverläufen benannt, sie bestimmen das Oben und das Unten. Es ist ein Naturgesetz, dass Wasser nach unten fließt. Was Oberbayern betrifft, kommen die Alpen erhebenderweise dazu. Rund um die herrliche Berglandschaft werden Gegenden, die näher an den Bergen liegen, als Oben bezeichnet. Unten ist, was weiter entfernt liegt. Das »obere« Bayern ist im Wesentlichen die Region im und vor dem Gebirge. Bei Ober-, Mittel- und Unterfranken geht es um die jeweilige Lage zum Main.

      Jochen könnte es nun wie Christian Ude machen. Der kaufte sich eine Bayernkarte und markierte alle Orte, die er besucht hatte, mit Stecknadelköpfen. Wollen wir hoffen, dass er auch in Aschaffenburg war.

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       WO VERLÄUFT DER WEISSWURSTÄQUATOR?

      Am häufigsten ist in dieser geografischen Frage die altbayerische Sicht der Dinge zu hören, nach der der Verlauf des Weißwurstäquators dem der Donau entspricht. Franken und große Teile der Oberpfalz wären demnach schon preußisches Hoheitsgebiet. Manchmal wird auch der 49. Breitengrad als Grenze anerkannt, der knapp nördlich der Donau verläuft und in Höhe von Marktredwitz gemächlich im Fränkischen ausläuft. Enger sehen es manche Münchner, die den Weißwurstäquator als Kreis mit einem Radius von 100 Kilometern um die Landeshauptstadt herum definieren, was sogar Teile Oberbayerns und Niederbayerns ausschließen würde. Großzügiger sehen es die, die den Main als Obergrenze betrachten, was allerdings bedeuten würde, dass fränkische Bratwurstgebiete auch zu Bayern gehören. Das bestreiten allerdings alle Beteiligten mit größter Vehemenz.

      7

       HABEDERE

       GRÜSSEN AUF BAIRISCH

      Am nächsten Vormittag machen sich die Verliebten auf den Weg nach Niederbayern. Magdalena will Jochen ihre Heimat zeigen – und die Familie soll er auch kennenlernen. Immerhin wollen die beiden tatsächlich bereits innerhalb des kommenden Jahres heiraten – das hatten sie gestern Abend noch besprochen. Nach eineinhalb Stunden Fahrt betreten sie eine andere Welt. Statt des Treibens der Großstadt tut sich im Landkreis Rottal-Inn eine zauberhafte, hügelige Landschaft mit viel Wald, einsamen Bauernhöfen und Traktoren auf den Feldern auf. Als Erstes besuchen die beiden Magdalenas Opa, der nicht in der Kleinstadt ihrer Eltern wohnt, sondern einige Kilometer außerhalb in einem alten Bauernhaus. Weil keines seiner Kinder den Hof übernehmen und die Arbeit weiterführen wollte, musste er seine Felder verpachten und die landwirtschaftlichen Gebäude als Lagerhallen untervermieten. Sein Lebenswerk, der Bauernhof, sei damit zerstört, hat er Magdalena einmal gesagt. Dass seine Enkelin nun einen Preißn heiraten wird, dürfte seine Laune auch nicht heben, vermutet sie. Sie hofft allerdings, dass er vielleicht gar nicht richtig hört, dass Jochen kein Hiesiger ist. Opa ist schwerhörig, was das Zusammensein mit ihm meistens schwieriger, manchmal aber auch leichter macht. Als sie im Hof vor dem Bauernhaus parken, kommt der Opa strahlend zur Tür heraus.

       DIE SACHE MIT DEN PREISSN

      Im Zuge der Globalisierung werden sogar Touristen jeglicher Nationalität als Preißn bezeichnet. »Saupreiß, japanische« gilt etwa als abwertende Bezeichnung anderer Menschen, deren Nationalität ungeklärt ist oder auch gar nicht geklärt sein will. Ein Preiß ist im Grunde jeder, der der bairischen Sprache nicht mächtig ist. Ursprünglich waren es nur die Einwohner des Königreichs Preußens, in dem die meist protestantischen Norddeutschen lebten.

      »Grias de«,