Auf dem restlichen Weg zum Aumeister hat Jochen das Gefühl, dass ihn sämtliche Hundehalter – ist hier irgendwo ein Nest? – finster anstarren. Merken sie ihm an, dass er kein Freund wilder Tiere ist?
WELTBERÜHMTE DACKEL – ZUMINDEST IN MÜNCHEN
1 Waldi heißt der berühmte Dackel von Herrn Hirnbeiß. Hirnbeiß ist das von Franziska Bilek gezeichnete Abbild eines Alt-Münchner Grantlers, der seit 1961 und bis heute täglich in der Abendzeitung seinen Senf zum Tagesgeschehen gibt. Waldi ist meist dabei.
2 Ebenfalls Waldi heißt das erste, buntgestreifte offizielle Olympia-Maskottchen für die Sommerspiele 1972 in München.
3 Bis heute hat das bayerische Königshaus Dackel. Berühmt ist etwa »Bürschel«, der treue Freund des natur- und volksnahen Wittelsbacher Kronprinzen Luitpold.
4 Im Münchner Tatort begleitete Dackel Oswald ab 1972 Kommissar Veigl, der von Gustl Bayrhammer gespielt wurde. Als Oswald 1975 starb, veranstaltete der Sender ein Dackel-Casting, um einen würdigen Nachfolger zu finden.
5 Ein Dackel namens Waldmann findet sogar in der ernsten Literatur seinen Platz. In dem vielgerühmten München-Roman Erfolg von Lion Feuchtwanger aus dem Jahr 1930 sitzt einer der Protagonisten in einem Lokal der Münchner Innenstadt – und hat das Zamperl zu Füßen.
Obacht, neidabbd!
Wenn sie schnell Freunde finden wollen, sollten Neu-Münchner besser in ein Hundehäufchen als in einen Fettnapf treten und dabei ein Auge zudrücken. Denn wenn es um Waldi, Lumpi und Co. geht, verstehen die Münchner keinen Spaß. Der Hund ist in der bayerischen Landeshauptstadt eine heilige Kuh. Vor allem die Zamperl, wie kleine Hunde und vor allem Dackel in München genannt werden, gehören zum Stadtbild wie Bier, Weißwurst und Chinaturm. Sie werden heiß geliebt – warum auch immer. Für viele sind Dackel ein Symbol der Stadt. Es wundert fast, dass sie nicht neben den bayerischen Löwen das Bayerische Staatswappen zieren dürfen. Immerhin züchteten schon die Wittelsbacher Dackel. Allerdings strolchen, wie die Boulevardzeitungen Münchens regelmäßig mit lautem Geschrei beklagen, immer weniger Dackel durch die Stadt der Hundeliebhaber. Konkurrenten wie Labradore, elegante Jagdhunde, Münsterländer, Möpse oder Handtaschenhunde wie Chihuahuas sorgen dafür, dass die »Wurst auf Beinen« einigermaßen ausgebellt hat.
Doch egal, um welchen Wauwau es geht, frei herumlaufen darf keiner von ihnen im Englischen Garten – damit hat Jochen vollkommen recht. So viel zur Theorie, in der Praxis interpretieren Münchens Tierfreunde die Parkordnung trotz drohender Geldstrafen recht großzügig. Denn wer, denken sie, wird schon mit Kanonenkugeln auf Zamperl schießen? Und auch andere Freunde interpretieren die Parkordnung großzügig: die Freunde des Eisbachsurfens, die nicht surfen dürfen, die Freunde weicher Drogen, die nicht kiffen und schon gar nicht dealen dürfen, und die Freunde des Fahrradsports, die die Fußwege durch den Park nicht nutzen dürfen.
Wer jedenfalls ins Herz der Münchner Tierliebhaber geschlossen werden möchte, sollte sich als Neuling in der Stadt vielleicht sogar ein Zamperl anschaffen. Mit einem Hund an der Leine – oder auch mit einem Hund ohne Leine – kommt man ja so schnell ins Gespräch mit anderen Hundehaltern … Jochen allerdings muss sich wohl andere Mittel und Wege suchen, um in der Weltstadt mit Herz (für Tiere) so richtig anzukommen.
SKIGESCHICHTE IM ENGLISCHEN GARTEN
Im Sommer ist die Wiese vor dem Monopteros gerne von Nackerten besiedelt, im Winter hingegen tummeln sich hier vor allem Familien im Schneeanzug. Denn der Hügel, auf dem 1836 nach einem Entwurf Leo von Klenzes ein Tempel im griechischen Stil erbaut wurde, eignet sich hervorragend zum Rodeln. In der Geschichte des bayerischen Wintersports hat er sogar eine Schlüsselrolle inne. Er ist der älteste belegte bayerische Skiberg. Wintersport-Pionier August Finsterlin (1846–1927) ließ sich 1888 aus Skandinavien 3,20 Meter lange Ski schicken, um dort hinunterzurutschen. Der Polizei passte das gar nicht, woraufhin Finsterlin an den Schliersee weiterzog, wo er weitere Spuren im Schnee hinterließ.
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GEOGRAFISCHUNLOGISCH
DAS ALLES IST BAYERN
»Du hast nicht vergessen, dass wir morgen nach Niederbayern fahren, gell?«, fragt Magdalena auf dem Heimweg in der U-Bahn, in der ihnen glücklicherweise keine Hunde mehr begegnen. »Ich freu mich wirklich darauf, dir meine Familie vorzustellen. Und dir meine Heimat zu zeigen. Für meine Familie war es ein Schock, dass ich nach München gezogen bin. Sie können es nicht nachvollziehen, dass ich freiwillig in einer Millionenstadt leben mag.«
»Und ich freu mich, endlich mal etwas von der sagenumwobenen bayerischen Landschaft zu sehen: eure Berge und Seen … Und darauf, echten Dialekt zu hören und Weißwürste zum Frühstück zu bekommen.«
»Oh, da muss ich dich enttäuschen, jedenfalls teilweise. Niederbayern ist nicht Oberbayern, dessen herausgeputzte Dörfer deiner Vorstellung von Bayern entsprechen dürften mit den Alpen im Hintergrund und den prächtig geschmückten Bauernhäusern, auf deren Balkonen üppig wuchernde Geranien blühen. Doch jeder bayerische Regierungsbezirk ist anders und es sieht überall anders aus«, klärt Magdalena ihren Liebsten auf. »In Niederbayern gibt es maximal 1.500 Meter hohe Erhebungen wie den Großen Arber im Bayerischen Wald, und auch der ist einigermaßen weit vom Rottal entfernt, in das ich dich entführe. Seen? Na ja, ein paar haben wir, aber verglichen mit dem Starnberger See oder dem Chiemsee sind es nur Pfützen. Aber du bekommst bodenständiges und weitgehend untouristisches Bayern mit waschechtem Niederbayern-Dialekt serviert – und Weißwürste, klar, die gibt es bestimmt!«
»Keine Berge? Ehrlich nicht?« Jochen ist verwundert.
»Ehrlich nicht. Aber stattdessen gibt es viele Funklöcher, vielleicht fast die letzten in der Republik. Das Mobilfunknetz ist in Niederbayern mitunter so löchrig wie Schweizer Käse. Und eine malerische Hügellandschaft kann ich dir auch bieten, die bei schlechtem Wetter düster und rau wirken kann. Ganz besonders, wenn weit und breit keine Menschenseele zu sehen ist im stellenweise sehr dünn besiedelten Land.«
»Entschuldige, das war ziemlich ignorant von mir. Für mich war Bayern bisher gleich Bayern gleich Berge, Lederhosen und Seen. Und Föhn.«
»Du bist nicht der Einzige mit dieser Klischeevorstellung im Kopf. Aber alles über einen Kamm scheren darfst du bei uns Bayern nicht, darauf reagieren wir allergisch. Und wenn du deine These, Bayern sei gleich Bayern, einem Franken erzählst, dürftest du noch deutlich größere Probleme bekommen als mit mir jetzt«, sagt Magdalena.
»Uff!«, sagt Jochen. »Ich bin ja schon ruhig und genieße schweigend euer schönes Bayernland, egal ob mit Hügeln oder Bergen. Aber eine Frage habe ich noch. Da wir hier in München in der nördlichsten Stadt Italiens sind, gehe ich davon aus, dass wir uns, wenn wir nach Niederbayern fahren, auf der Landkarte noch weiter gen Süden bewegen. Dann müsste es ja nur noch ein Sprung bis Bella Italia sein … Lohnt es sich, von deinen Eltern aus hinzufahren?«
Magdalena verdreht die Augen. »Ach, Schatz … Ein Blick auf die Landkarte würde nicht schaden. Ich weiß, dass einige gebürtige Münchner nicht wissen, was wo jenseits ihrer Stadtgrenzen liegt – und ob da überhaupt etwas ist. Bei dir hätte ich solches Unwissen aber ehrlich gesagt nicht vermutet. Niederbayern liegt natürlich weitgehend nördlich von Oberbayern, genau formuliert schmiegt es sich nordöstlich daran. Wir bewegen uns also definitiv von Italien weg und auf der Landkarte nach oben, eher in Richtung Oberpfalz hin, falls es dich dort hinzieht.«
DIE LIEBEN AHNEN
Ursprünglich haben sich die Bayern aus drei Stämmen entwickelt: aus den Altbayern, zu denen neben den Ober- auch die Niederbayern