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fehlt Magdalena noch etwas.

      »Ist es okay, wenn ich den Radio einschalte?«, fragt sie. »Oder stört er dich? Ich bin es gewohnt, morgens immer etwas Musik und die Nachrichten zu hören. Dann ist es nicht so leise in der Wohnung. Wobei, wenn du wirklich irgendwann hierherziehen solltest, brauche ich das vielleicht gar nicht mehr …«

      »Nein, nein«, sagt Jochen. »Ich drehe es morgens auch immer an.« Es irritiert ihn jedoch etwas, dass Magdalena »der Radio« gesagt hat. Aber egal, jetzt hat er endlich einmal Gelegenheit, Bayern 3 zu hören, den Sender, bei dem TV-Entertainer Thomas Gottschalk angefangen hat. Als Magdalena etwas später allerdings fragt: »Kannst du mir bitte den Butter reichen?«, da kann Jochen sich das Lachen nicht mehr verkneifen.

      »Schatz, warum machst du die Butter männlich?« Jochen findet es wirklich witzig. Sonst legt Magdalena so viel Wert auf weibliche Formen und spricht immer von »Politikerinnen und Politikern« und »Ärztinnen und Ärzten«. Kurz bevor sie ein Paar geworden sind, hatte sie in einem Gespräch erklärt, warum sie das wichtig findet: »Wenn ich nur die männliche Wortform verwende, denke ich auch nur über Männer nach. Auch wenn ich über dich sehr gerne nachdenke«, hatte sie gesagt. Jochen weiß noch genau, wann das war. Er hatte sie an dem Tag von ihrer Arbeit abgeholt, vergangenes Jahr, als sie ihr einjähriges Pflichtpraktikum als angehende Apothekerin bei Bayer in seiner Heimatstadt absolviert hatte. Ein paar Tage vorher hatten sie sich über seinen Freund und ihren Kollegen Alexander beim Feierabendkölsch kennengelernt. Jochen war sogleich angenehm verwirrt gewesen, als sie zugegeben hatte, an ihn zu denken. »Ehrlich, diese attraktive Münchnerin macht sich Gedanken über mich?«, dachte er. Sie wiederum vertiefte das nicht weiter, sondern fügte hinzu: »Wir sollten jedenfalls die weiblichen Formen und damit uns Frauen nicht unter den Tisch fallen lassen.« Umso mehr wundert er sich jetzt darüber, dass seine Liebste, wenn sie an Butter denkt, unnötigerweise die männliche Form ins Spiel bringt. »Sagst du ›der Butter‹, weil du mit mir Butter bei die Fische machen magst?«, scherzt er.

      »Was soll das denn jetzt?«, entgegnet sie etwas beleidigt.

      »Nicht böse sein«, bittet Jochen. »Denn gerade heute will ich mich besonders gut mit dir vertragen.« Er zieht eine kleine Dose aus seiner Hosentasche, öffnet sie, räuspert sich und fragt: »Willst du meine Frau werden, Magdalena?« Dann deutet er auf die kleine Schatulle. »Der, die, das Ring hier drinnen ist für dich, mein Schatz.«

       Obacht, neidabbd!

      Von »dem Butter« zu reden, ist kein Magdalen’scher Spezialausdruck. Viele Bayern sagen es. Aber warum tun sie das? Aus bayerischer Sicht war das gerade die falsche Frage an dieser Stelle. Korrekterweise müsste die Frage lauten: Warum heißt es in der Hochsprache »die Butter«? Und noch mehr: Warum heißt es nicht »das Teller« und »der Radio«? Die bairische Version des grammatikalischen Geschlechts dieser Begriffe ist nämlich sprachgeschichtlich betrachtet die logischere oder zumindest die genauso offensichtliche – und somit kein bayerischer Sonderweg. Was die Bayern zu ahnen scheinen, ist Folgendes: Das unscheinbare Wörtchen Butter hat sich aus dem altgriechischen Wort für Kuhquark – boútyron – und schließlich aus dem Lateinischen butyrum entwickelt. Den Endungen zufolge war die-der Butter damals noch ein Neutrum. In den romanischen Sprachen, die aus dem Lateinischen entstanden sind, wurde das sachliche Substantiv männlich. Butter wurde im Französischen und Italienischen zu le beurre und il burro und im verwandten Bairischen eben zu »der Butter«.

      Dass sich anderswo »die« Butter herauskristallisiert hat, liegt daran, dass das lateinische butyrum in der Mehrzahlform als butira auf den Tisch gekommen ist und aufgrund der Endung als weiblich missverstanden wurde.

      Auch zum bairisch-maskulinen Artikel des Begriffs Radio servieren uns Sprachforscher eine logische Geschichte. Weil es früher der Radio-Apparat hieß, sagen die Bayern häufig »der Radio« und beziehen sich dabei auf den ursprünglich angehängten männlichen Begriff Apparat. Aus dem Radio-Gerät dürfte sich hingegen in der Schriftsprache »das Radio« entwickelt haben.

      Ähnlich verhält es sich beim Begriff Teller, der vom altfranzösischen tailleoir abstammt. Hiermit war das Brett gemeint, auf dem Obst, Gemüse und Fleisch klein geschnitten wurden. Damit hierzulande auch dem letzten Küchenjungen klar war, welchem Zweck diese Platte diente, hängte man im Deutschen früher das Wort Brett an. Speisen gab es folglich auf dem tailleoir-brett. Von diesem tailleoir-brett stammt das sachliche Geschlecht ab, das die Bayern behalten haben – auch nachdem das Wort im Deutschen zum Teller verkürzt wurde. Die Bayern teilen also das Teller aus, um sich darauf den Butter aufs Brot zu schmieren.

      Was noch auf dem Tisch steht? In Altbayern findet man manchmal neben »dem Butter« auch »das Marmelad« oder als Nachspeis’ »den Schokolad«. »Das Limonad« würde man auch sagen, wenn die Fanta in Bayern nicht ohnehin ganz anders bezeichnet würde – als »das Kracherl«. Die Verkürzung zu Schoko- und Marmelad rührt daher, dass das unbetonte »e« bei den Bayern oft spurlos verschwindet: Sie verkürzen »-ade«-Endungen gerne mal auf »-ad«. Derart abgeschnitten klingen die Begriffe nun in keiner Weise mehr weiblich. Darum gibt es auch keine entsprechenden Artikel mehr, sondern sachliche oder männliche. Wer nun denkt, die Bayern wären bekloppt, sollte wissen, dass es auch in der Schriftsprache vergleichbare Phänomene gibt. Der deutsche Salat etwa ist männlich, obwohl er sich aus dem italienischen, weiblichen Wort insalata entwickelt hat. Wir sehen, dass es im Bairischen zahllose Besonderheiten gibt, was die grammatikalischen Artikel betrifft, die für Zugezogene kaum in Gänze zu erfassen sind. Vernünftig ist wohl, schlichtweg zu akzeptieren, dass sich Sprache in Bayern anders entwickelt hat als im Ruhrpott und in Ostfriesland.

       NACHNAME, VORNAME

      Wenn Jochen in seiner Heimatstadt Wuppertal nach seinem Namen gefragt wird, sagt er »Jochen Weber«. In Bayern, bevorzugt in ländlichen Regionen, dürfte er dagegen zum »Weber Jochen« werden: Im Süden der Republik werden gerne Vor- und Nachname umgedreht. Außerdem wird gerne ein Artikel vor den Namen gestellt. »Die Annika hat heute keine Zeit, aber der Sepp kommt gleich.« »Sepp kommt gleich« – das würde in den Ohren eines Bayern verdächtig nordisch klingen. Eine bayerische Eigenheit ist die Reihenfolge »Nachname, Vorname« nicht. In vielen Ländern ist es üblich, sich auf diese Weise vorzustellen, etwa in China, Korea und Ungarn. Diese Reihenfolge kann durchaus sinnvoll sein. Wenn viele Emmas und Maximilians in einer Schulklasse oder einem Büro sitzen, lässt sich der konkrete Mensch mit seinem Nachnamen oft besser einordnen als mit seinem weitverbreiteten Vornamen.

      4

       SAG NIEMALSNIE NICHT!

       DAS JA-WORT UND DIE DOPPELTEVERNEINUNG

      Magdalena lässt ihr Croissant fallen. »Das hätte ich niemals nie gedacht«, sagt sie und beginnt zu stammeln. »Ich … äh … ich dachte, das macht kein Mensch im Leben nicht mit mir. Und von dir … also … hätte ich gedacht, dass du das nie und nimmer nicht machst …«

      »Was willst du mir sagen?«, antwortet Jochen verwirrt. »Dass du meinen Antrag erwartet hast oder dass nicht?«

      Dann muss er grinsen, obwohl er sich noch nicht sicher ist, was Magdalena ihm antworten wird. Doch immer, wenn sie aufgeregt ist, baut sie Satzkonstruktionen, die ihm Spanisch – na ja, eigentlich Bairisch – vorkommen. Das ist ungewohnt für ihn. In der Zeit, in der Magdalena in Wuppertal gewohnt hat, hat sie sich immer – unbewusst, wie sie sagt – ums Hochdeutsche bemüht. »Semmel« und »Servus« waren damals nicht aus ihrem Mund zu hören. Erst jetzt, in München, fällt sie wieder in alte Muster.

      »Also, ich würde im Leben niemals nicht Nein sagen«, sagt sie.

      Jochen überlegt. War das Magdalenas Ja-Wort? Oder hat sie gerade Nein gesagt? Er muss es wissen und fragt vorsichtig nach: »… aber du findest es doch auch gut mit uns beiden?«

      Statt