Fettnäpfchenführer Bayern. Nadine Luck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nadine Luck
Издательство: Bookwire
Серия: Fettnäpfchenführer
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783958892132
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grinst. »Schau mal genau hin. Die Uhr zeigt die Zeit exakt an. Aber sie liest sich anders. Denk mal ein bisschen mit …«

      Da sieht Jochen nochmals hin und erkennt, dass nicht nur die Uhr augenscheinlich rückwärtsläuft – auch die römischen Ziffern sind verkehrt herum angeordnet. Nachdem er das herausgefunden hat, sieht er, dass es tatsächlich genau 8 Uhr ist. »Schön, dass es so unkompliziert ist bei euch«, sagt er.

      Jochen beschließt, während seines Aufenthalts in Bayern eher niemanden nach der Zeit zu fragen und sich auch nicht auf öffentliche Uhren zu verlassen.

       DIE VER-RÜCKTE UHR VON KARL VALENTIN

      »In Bayern gehen die Uhren anders.« Dieses Zitat stammt vom ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt. Der ehemalige bayerische Landesvater Franz Josef Strauß meinte dazu: »Wenn man manchmal sagt, in Bayern gehen die Uhren anders, kann das höchstens heißen, dass sie anderswo falsch gehen.« Die Uhr im Münchner Isartor läuft allerdings wirklich gegen den Uhrzeigersinn und damit verkehrt herum. Die Künstlerin Petra Perle spendierte sie der Stadt – als Hommage an den großen Komiker Karl Valentin, dem ein »Musäum« im Isartor gewidmet ist. Denkmalschützer votierten zwar im Jahr 2005 gegen die Installation dieser buchstäblich ver-rückten Uhr, doch der Stadtrat sprach sich dafür aus.

       Obacht, neidabbd!*

      Wenn der Bayer sagt, es ist »dreiviertel zwei«, dann ist es 1.45 Uhr – oder auch 13.45 Uhr. Wenn es 7.15 Uhr ist, ist es noch komplizierter. Dann ist es nördlich der Donau, etwa in der Oberpfalz, in Franken und auch quer durch die neuen Bundesländer hinauf bis zur Insel Rügen »viertel acht«. Traditionell sagen Ober- und Niederbayern derweil zu 7.15 Uhr »Viertel über sieben« – wie Magdalenas Opa aus Niederbayern. Die jüngeren Leute sagen »Viertel nach sieben«.

      Wenn nun ein Franke mit einem Niederbayern ein Treffen für »viertel sieben« vereinbart, kann es glatt passieren, dass der Niederbayer von »Viertel über sieben« ausgeht – und im Zweifel eine ganze Stunde zu spät kommt. Diese genannten Regeln gelten meistens – und manchmal auch nicht. In einigen Gegenden Bayerns ist mit »viertel zwölf« mal 11.15 Uhr, 12.15 Uhr oder auch mal 11.45 Uhr gemeint. Und mitunter klingt die Uhrzeit in Bayern in den Ohren Auswärtiger tatsächlich wie höhere Mathematik, etwa wenn jemand die Frage nach der Uhrzeit mit »fünf vor dreiviertel sechs« beantwortet. Kann passieren.

      Eine höhere Uhrzeit als die Zahl 12 gibt es übrigens nicht in Bayern: 2 Uhr ist 2 Uhr – egal, ob es sich dabei um 2 Uhr nachmittags oder nachts handelt. Was gemeint ist, erschließt sich in der Regel aus dem Kontext.

       EINMAL AUF DIE UHR GESCHAUT

Uhrzeit In München In Franken In Niederbayern In Wuppertal
13.45 Uhr dreiviertel zwei dreiviertel zwei dreiviertel zwei Viertel vor zwei
13.15 Uhr Viertel nach eins viertel zwei Viertel über eins (trad.) Viertel nach eins

      2

       DAS MASSALLER DINGE

       BIERTRINKEN WIE EIN BAYER

      »Ein Candle-Light-Dinner wird das nicht«, sagt Jochen mit Blick auf die Tische für jeweils mehrere Personen, an denen in der weltberühmten Schwemme des Hofbräuhauses zahllose Menschen aus der ganzen Welt sitzen. Es ist voll und laut – und es riecht nach Bier. »Wir müssen uns irgendwo dazusetzen.« Magdalena nickt und geht zu einem Tisch, an dem nicht alle Plätze besetzt sind. »Ist hier noch frei?«, fragt sie.

      »Haut’s eich hera, na samma mehra«, antwortet ein freundlich aussehender Mann. »Setzt euch hin, dann sind wir mehr«, flüstert Magdalena in Jochens Ohr und sagt laut zu den Herren am Tisch: »Dankeschön!«

      Das verliebte Paar nimmt bei den Bayern Platz und Jochen schaut sich erst mal um. Ein prächtig bemaltes Kreuzgewölbe mit lukullischen Motiven wie servierfertigen Schweinsköpfen und gegrillten Hühnchen prangt über ihnen. »Durst ist schlimmer als Heimweh« steht über einem Rundbogen, unter dem Gäste in andere Teile des Wirtshauses gehen. Musiker in Tracht sitzen auf einem Podium im Zentrum des Saales und geben laute, volkstümliche Musik zum Besten. Einige Gäste schunkeln. Eine Kellnerin im Dirndl schiebt sich durch die Reihen, um Riesenbrezn zu verkaufen. »Jetzt ist doch kein Karneval«, denkt Jochen mit Blick auf ihr Outfit und eigentlich mit Blick auf die gesamte Szenerie – und muss schmunzeln. Zünftig ist das, würden die Bayern wohl dazu sagen. Die Stimmung in einem Bierzelt auf dem Oktoberfest dürfte sich von der im Hofbräuhaus nicht wesentlich unterscheiden. Jochen sieht zwei Menschen unschlüssig herumstehen. Aufgrund ihrer lässigen Sweatshirts vermutet er, dass es Amerikaner sind. Sie trauen sich offenbar niemanden zu fragen, ob sie sich dazusetzen dürfen. Verständlich. Es muss seltsam sein für Menschen aus einem Land, in dem die Plätze im Restaurant vom Kellner zugewiesen werden, sich zu fremden Leuten zu quetschen. In ihrer Heimat würde niemand auf die Idee kommen, Gästen dieses Gedränge zuzumuten. Da würde eher in einer langen Schlange am Eingang gewartet, bis großzügige Plätze frei geworden sind. Jochens Gedanken werden unterbrochen, denn eine Kellnerin im Dirndl kommt an den Tisch und fragt: »Was darf’s sein?«

      »Ein Maß, bitte«, sagt Jochen.

      »A Preiß«, meint der Bayer grinsend, der Magdalena und Jochen gerade an den Tisch gebeten hat – und den Jochen sofort deutlich weniger freundlich findet.

      Bevor er etwas erwidern kann, sagt die Kellnerin zu dem Bayern: »Das macht nichts, ich hab ihn schon verstanden. Wir haben ja öfter welche hier.«

      »Ich dachte, hier bestellt man Maß«, wendet sich Jochen an Magdalena. »Ich hätte ja auch ein Kölsch getrunken, aber ich vermute mal, das gibt es hier nicht. Ihr macht euch ja immer über unsere Getränke in den kleinen Reagenzgläsern lustig …«

      »Passt schon«, flüstert seine Liebste ihm zu. »Ich erklär dir später, was der Mann gemeint hat.«

      Wenig später ist die Kellnerin mit schweren Maßkrügen für die ganze Runde zurück. Durstig nimmt Jochen sein Bier in die Hand und setzt an.

      Doch: »Nur ein Schwein trinkt allein«, sagt der Herr von gerade eben und lacht.

      »Jochen, lass uns anstoßen«, sagt Magdalena und zischt ihm zu: »Nimm es nicht persönlich, das ist nur so ein Spruch.«

      Jochen ist zwar genervt von »nur so ein Spruch«, aber er stößt an und trinkt. Aus den Augenwinkeln heraus sieht er, dass die Bayern den Krug nochmals auf dem Tisch absetzen, bevor sie trinken.

      »Ist ihnen der Krug zu schwer, um ihn sofort zum Mund zu führen?«, flüstert er in Magdalenas Ohr und nimmt gleich noch einen Schluck aus dem schweren Gefäß.

       Obacht, neidabbt!

      Das Bier ist in Bayern ein Heiligtum, über das die Bewohner gerne und ständig philosophieren. Wer braut das beste, welcher Wirt schenkt welches aus? Oft wird dem Bier aus der örtlichen Brauerei gehuldigt – und meistens zu Recht. Denn Bierbrauen, das können die Bayern. Sie schenken ihr flüssiges Gold auch gerne an Fremde aus. Wenn ein Gast allerdings nicht weiß,