Peter schüttelt bedenklich den Kopf und dreht sich zum Waschbecken um. Hier erwarten ihn keine Drehregler, dafür zwei getrennte Wasserhähne, einer mit einem blauen Symbol auf der linken Seite des Waschbeckens, einer mit rotem Symbol auf der rechten Seite. Wenn die auch beide kaltes Wasser hervorbringen, ist es einfach, motzt Peter in sich hinein. Er unternimmt einen Versuch und dreht beide Hähne auf: Blau – kalt. Na, wer sagt’s denn. Und rot? Peter traut seinen Augen nicht: Aus dem Hahn dampft offensichtlich heißes Wasser heraus. Er bewegt einen Finger ganz vorsichtig in Richtung Hahn. Heiß! Kochend heiß! Peter steht vor einem ernsten Problem: Auf der rechten Seite wird er sich die Finger verbrennen, wenn er sich mit dem Erguss dieses Hahns den Mund ausspülen will. Auf der linken Seite droht ihm das Absterben seiner Finger durch Erfrieren. Ja, muss denn ein bisschen Hygiene so kompliziert sein?
Was hat Peter falsch gemacht?
Lange Zeit hielt man in Großbritannien die Mischbatterie am Waschbecken für ein Gerücht. Noch zur vergangenen Jahrtausendwende war sie auf der Insel nahezu unbekannt. Erst mit der Expansion internationaler Hotelketten hielt auch der in Deutschland längst übliche Wasserhahn Einzug, bei dem man sich aus kaltem und heißem Wasser eine Temperaturmischung nach Wahl zusammenstellen kann. Noch heute vermissen ihn Gäste vor allem in kleinen Hotels und Bed-&-Breakfast-Pensionen, auch in vielen Privatwohnungen sind die beiden getrennten Wasserhähne nach wie vor vorzufinden. Das warme Wasser ist dabei meist so heiß, dass man es unmöglich einfach so zum Waschen benutzen kann. Man würde sich sofort die Finger verbrennen.
Der Hintergrund liegt weit zurück: Früher stammte das heiße Wasser meist aus einem Tank im Dachgeschoss, das kalte aus der Leitung. Insofern war kaltes Wasser zum Trinken geeignet, heißes aber nicht – deswegen durfte beides auch nicht vermischt werden. Das war sogar in einer Wassersatzung eigens so festgeschrieben. Seit 1965 war geregelt, dass die Heißwasserhähne immer auf der linken Seite eines Waschbeckens angebracht werden müssen. Dadurch sollten sich die Nutzer an ein festes System gewöhnen.
Treffen Sie heute auf solch veraltete Badezimmer (was früher oder später bei einem Großbritannienbesuch der Fall sein wird), bestehen eigentlich nur zwei – zugegebenermaßen naheliegende – Lösungen: Stöpsel ins Waschbecken und eine Mischung aus kaltem und warmem Wasser einlassen. Und zum Zähneputzen einen Zahnputzbecher.
Erst schalten, dann duschen
Die Lösung der Duschfrage ist befriedigender: Alte Badezimmer in England, vor allem jene in vielen alten Hotels, verfügen über einen eigenen Schutzschalter für das Badezimmer. Der ist oftmals direkt im Bad an einer von der Decke hängenden Schnur angebracht. Mitunter findet man ihn aber auch am Lichtschalter für das Badezimmer. In der Regel hängt ein Schild im Zimmer oder man wird an der Rezeption darauf hingewiesen. Ohne diesen Hauptschalter funktionieren zwar meist Licht sowie mitunter das heiße Wasser aus dem Waschbecken (wenn es zentral erhitzt wird), nicht aber die Dusche. Denn die besteht oftmals aus einem separaten Heizboiler, die ein findiger Vertreter in Großbritannien in Massen an den Mann gebracht haben muss. Der Mischboiler ermöglicht zwar das stufenlose Einstellen der Wassertemperatur – benötigt dafür aber Strom aus jenem Kreislauf, der mit einem Schutzschalter gesichert ist.
Auch hieran ist der Gesetzgeber aus vergangenen Zeiten schuld: Weil niemand bei einem Bad von der Wanne aus eine Steckdose oder einen Schalter erreichen sollte, entschieden sich clevere Elektriker für diesen Umweg. Der Schalter selbst befindet sich an der Decke, die Schnur ist eine erlaubte Verlängerung. In neuen Hotels treffen Gäste heute nicht mehr auf solche Fossilien. Allerdings befindet sich auch hier nach wie vor der Lichtschalter außerhalb des Raumes und es gibt maximal eine Steckdose mit niedriger Spannung für elektrische Rasierer.
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PETER FRÜHSTÜCKT
LONDON, 29. JULI, 9.05 UHR
Beinahe wäre Peter kopfüber irgendwo zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk in seinem Hotel auf der Treppe aufgeschlagen. Mit beiden Händen krallt er sich an das Treppengeländer. Warum zum Himmel sind die Stufen hier bloß so steil? In seinem gewohnten Tempo kann er wohl an diesem Morgen nicht zum Frühstück hinuntergehen, das leuchtet Peter jetzt ein. Ganz vorsichtig setzt er seinen Weg fort, Stufe für Stufe, bis zum Erdgeschoss, so als steige er eine Leiter hinab. Aus einem Raum mit Wandkamin und Stuckdecke duftet es nach gebratenem Speck. Nein, genau genommen riecht das ganze Erdgeschoss danach. Die Küche scheint keinen besonders effektiven Abzug nach draußen zu haben. Peter rümpft die Nase. Eigentlich ist er in puncto Frühstück eher der Müsli-Typ, der bestenfalls mal eine Ausnahme für ein Schokocroissant macht. In keinem Fall aber ist er jemand, der morgens eine vollwertige warme Mahlzeit verdrückt. Und Hannelore hat ihm wahre Horrorgeschichten über das englische Frühstück erzählt.
Peter atmet tief durch und betritt den Raum. Vielleicht gibt es ja wenigstens guten Kaffee, tröstet er sich. Wobei – auch davor hat ihn Hannelore gewarnt.
»Guten Morgen, was für ein wundervoller Tag.« Eine ergraute Dame weit jenseits der 60 flötet Peter an; aus seiner Sicht mit übertrieben guter Laune.
»Guten Morgen«, kontert Peter. Eigentlich möchte er hinzufügen: ›Was für ein wundervoller Tag nach einer schlaflosen Nacht und einer eiskalten Dusche in diesem verwanzten Schuppen, Sie dämliche Kuh.‹ Doch er formuliert es spontan anders: »Ja, ein wirklich schöner Tag.«
Peter nimmt an einem kleinen Tisch in der Ecke Platz und schaut sich um. Neben ihm ist auf einem Tisch ein eher dürftiges Büffet aufgebaut: Ein Kunststoffkrug mit Müsli, ein Stapel kleiner Cornflakes-Portionspackungen, ein Keramikkrug mit Milch und ein paar Schälchen, aufeinandergestapelt. Was davon riecht bloß so penetrant nach gebratenem Speck, fragt sich Peter und merkt gar nicht, dass die Dame von eben vor ihm steht.
»Full Breakfast, my dear?«, fragt sie und lächelt ihn einmal mehr an.
Peter schaut fragend. Hat sie ihn eben »my dear«, mein Lieber, genannt? Da möchte er doch lieber der Kumpel von den zahlreichen Leuten sein, die ihn bereits als solchen bezeichnet haben, als »der Liebe« dieser Dame. Er schüttelt sich kurz und entgegnet: »Äh, ja ja ja, bitte.«
»Gern, mein Lieber. Bitte bedienen Sie sich selbst vom Müsli.« Sie zeigt in Richtung Mini-Büffet, doch Peter nimmt das gar nicht mehr wahr: Sie hat ihn schon wieder »Lieber« genannt. Peter ist verwirrt. War das eine Anmache oder ist das hierzulande so üblich? Er verwirft spontan den ersten Gedanken, guckt sie an und flötet zurück: »Danke, meine Liebe.«
Sie lächelt, als wenn sie sich schon Jahrzehnte kennen würden: »Tee oder Kaffee?«
Peter bestellt Kaffee und macht sich auf, um sich am Büffet mit einem Schälchen Müsli und Milch zu versorgen. Kaum hat er sich hingesetzt, stellt ihm die liebe Dame einen kleinen Ständer mit diagonal geteilten Toastscheiben auf den Tisch, dazu ein Kännchen Kaffee: »Hier ist Ihr Kaffee und ein bisschen Toast, Love.«
Love, Liebster – was fährt die Dame wohl noch alles auf? Peter sorgt sich, doch der Hunger bringt ihn wieder auf das Thema Frühstück zurück.
Warmer Toast, heißer Kaffee. Peter hatte sich das warme Frühstück irgendwie anders vorgestellt. Er löffelt sein Müsli auf und bedient sich sogleich bei den Scheiben, solange sie noch warm sind. Die Marmeladenauswahl auf dem Tisch ist begrenzt. Peter dreht die kleinen Gläser mit der Schrift zu sich: Orange, Orange – und Orange.
MARMELADE ODER JAM?
Marmelade kennt man hierzulande genauso wie