»Kann ich heute Nacht nicht neben dir liegen, Georg? Mir ist so kalt. Wir gehören doch jetzt zusammen, werden beide verfolgt.« Anna versuchte, im Dunkeln Georgs Hände zu greifen.
Ohne auf ihr Anliegen einzugehen, legte sich Georg in sein Stroh.
»Wer der Kirche Christi angehören will, muss mit Verfolgung rechnen; dies ist ein konstituierender Faktor des Christenlebens. Je mehr einer Christus in sich aufnimmt, umso mehr wird er verfolgt.«
Anna war enttäuscht. »Ich weiß, Georg, aber du brauchst heute nicht mehr zu predigen! Mach etwas für mich, denn mich friert.«
Als wieder keine Antwort kam, stand sie auf, streifte trotz der Kälte ihre Kleider ab, nahm energisch ihre Decke und legte sich an seine Seite.
Georg machte weder Platz, noch wehrte er sich, er flüchtete sich in das, was er am besten beherrschte: in seine Sprache.
»Die katholische Kirche hat sich weit von der Urkirche entfernt, sie baut auf Macht und auf das alte Fleisch und nicht auf den Geist und das Gewissen. Die äußerlichen Zeichen unserer Kirche sind nicht großartige Gebäude, sondern Geduld, Liebe, Frieden, Gottesfurcht, Erkenntnis Christi und gottseliger Wandel. Das Haus Gottes, in dem ich gepredigt habe, ist nur ein Versammlungsraum und nicht meine Heimat. Jeder wahre Christ muss seinen Körper und seine Seele so bereiten, dass Gott darin ein Zuhause …«
»Ach, Georg, wenn du nur ein wenig mehr an das irdische Zuhause denken könntest«, nörgelte Anna, drehte sich einmal um die eigene Achse und lag nun direkt neben ihm. Sie schmiegte sich an ihn, nahm seine Hand, zog sie unter die Decke auf ihre nackte Haut und führte sie von ihren weichen Brüsten bis hinunter zwischen ihre Beine. Georg versuchte verzweifelt, mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten abzulenken und sich so ihrem Begehren zu widersetzen.
»In Ulm gibt es ein Haus unserer Gemeinde, von wo die Ärztin Agatha Streicher Nachrichten und Botschaften verteilt. Sie steht in regem Briefkontakt mit Caspar, wenn du möchtest, gehen wir …«
Weiter kam er nicht; Anna hatte von seinem Mund Besitz ergriffen und ihn mit einem alles vergessen machenden Kuss zum Schweigen gebracht. Sie ließ ihm keine Möglichkeit, sich zu wehren. Anna öffnete ihm mit flinker Hand die Hose und ergriff den Teil seines Körpers, für den sie noch keinen Namen hatte. Sie kannte nur das, was sie an schamlosen Übertreibungen in der Wirtsstube des alten Blärsch aufgeschnappt hatte.
Es bedurfte keines Namens und Georg ließ es geschehen. Ihre Körper fanden so zueinander, wie sie es sich in ihren Träumen immer vorgestellt hatte. Sie war es, die ihn dahin führte, wohin ihre unbändige Lust es gebot und wo er sehnlichst erwartet wurde. Sie wiegten sich in einen Rausch des Gebens und Nehmens, der sich stetig steigerte. Immer kürzer wurde ihr Atem, immer lauter ihr Stöhnen, bis Georg mit einem unterdrückten Aufschrei an ihre Seite glitt. Erschöpft und glücklich sanken sie fest umschlungen in einen gemeinsamen tiefen Schlaf.
Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen in den Heuschober, und das Pferd, das in der Ecke angebunden war, scharrte ungeduldig mit den Hufen. Anna beobachtete, wie Georg aufstand, sich anzog, das Pferd sattelte und hinausführte. Sie fühlte sich trotz der Kälte wie neugeboren.
Als Georg sah, dass sie sich streckte und rekelte, kam er auf sie zu. »Ich hätte es nicht tun dürfen. Wir sind nicht verheiratet. Du warst noch Jungfrau. Ich habe mich an dir versündigt und deine Zukunft zerstört. Ich habe einen großen Fehler gemacht, Anna, es tut mir unendlich leid.« Georg ging vor ihr auf die Knie.
»Guten Morgen, Liebster«, flüsterte Anna mit einem breiten Lächeln, als hätte sie seine Worte nicht gehört.
»Ich weiß, dass du niemals heiraten wirst und dein Leben ganz und gar Gott geweiht hast, aber heute Nacht hast du mir etwas gegeben, das ich von keinem Mann hätte lieber empfangen mögen als von dir, nämlich eine richtige Frau zu werden.« Sie sprang hoch und umarmte ihn so wild, dass er ihr nicht ausweichen konnte.
»Anna, ich habe mich heute Nacht gehen lassen, die Wollust hat sich meiner bemächtigt, und ich schäme mich für meine Unbeherrschtheit. Verzeih mir, bitte!« Georg flüsterte diese Worte in ihr Ohr und drückte ihren Kopf fest an seinen Mund.
»Wie kannst du nur eine Sekunde von dem bereuen, was wir beide heute Nacht gemeinsam erleben durften, Georg? Hast du mir nicht ständig gepredigt, dass nichts Schlechtes sei an der Verbindung zwischen Mann und Frau, dass das Wesen der göttlichen Liebe auch die körperliche mit einschließe?«, erwiderte Anna und biss ihm ins Ohrläppchen.
»Wenn ich Caspar irgendwann mal treffe, werde ich ihn fragen, ob du unrecht getan hast, indem du mir eine himmlische Nacht bereitet hast. Quält es dich denn so, dass du nicht mehr zur Beichte gehen kannst wie deine katholischen Mitgeistlichen, die nach einer solchen Untat, oder wie du es nennen magst, sich bei ihrem Beichtvater das ego te absolvo7 abholen? Ist es das, was du vermisst? Willst du dir von einem Pfaffen die Absolution erteilen lassen?« Georg war ins Stroh gesunken und saß da wie ein Häufchen Elend. Es fiel ihm sichtlich schwer zu antworten.
»Ich liebe dich, Anna, das ist es! Aber ich kann dir keine Zukunft geben, ich bin Prediger. Ich weiß, wie sehr du dich nach einem festen Dach über dem Kopf sehnst, nach einer Familie, nach Kindern.«
»Lass das meine Sorge sein, Georg, du hast mir keine Gewalt angetan, bring das endlich aus deinen Gedanken. Ich werde dich nicht der Vergewaltigung anklagen. Es soll dir erspart bleiben, drei Sonntage lang im Büßergewand mit einer Kerze während des Gottesdienstes draußen vor der Kirche stehen zu müssen.« Anna lachte, denn diese Szene hatte sie oft genug in Kempten miterlebt.
Georg sah darüber wenig erheitert aus. »Sollte ich einen Mann finden, der mit mir ein gemeinsames Leben führen möchte, werde ich ihm von unserer Nacht erzählen, und wenn das für ihn ein Grund wäre, mich zu verstoßen, wäre er eben nicht der richtige«, stellte Anna abschließend fest.
Sie suchte ihre Kleider zusammen, zog sich an, warf den Mantel über, marschierte hinaus und setzte sich mit verschränkten Armen auf das Pferd. Georg sagte nichts mehr; es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst zu ihr auf den Pferderücken zu schwingen und sich dem Herrn zu empfehlen. Anna lehnte ihren Kopf an seine Schulter, und während Georg halblaut im Rhythmus der Hufe um Vergebung seiner Sünde betete, genoss Anna den Morgen; sie fühlte sich gut, freute sich über die neue Freiheit und hatte keinerlei Mitleid mit ihrem Georg.
5 19. März
6 Allgäuerisch: schnell.
7 Ich spreche dich frei.
2
Ulm, 20. März 1557
Vier Tage waren sie unterwegs gewesen. In Memmingen und Dettingen hatten sie züchtig in Herbergen übernachtet. Anna spürte, dass Georg sich immer noch schwere Vorwürfe machte. Sie zeigte ihm ihre Nähe, indem sie ihn stets fest umarmte, wenn sie wieder hinter ihm auf dem Pferderücken saß. Seine Gedanken wollte sie jedoch nicht stören. An diesem Tag hatten sie so gut wie nichts miteinander gesprochen. Sie waren die Letzten, denen am Memminger Tor noch Einlass nach Ulm gewährt wurde. Kaum eine Menschenseele war zu sehen, als sie den braven Gaul über die Donaubrücke in die Stadt führten.
»Glaubst du denn, dass wir Caspar treffen werden?« Anna war müde und erschöpft, alle Knochen taten ihr weh. Nie zuvor in ihrem Leben war sie auf einem Pferd gesessen und jetzt ritt sie schon tagelang.
»Agatha Streicher weiß eigentlich immer, wo er sich aufhält. Ihr Haus befindet sich in der Langen Gasse, ganz nah am Münsterplatz. Ich war fünfzehn, als ich bei ihrem Vater zum ersten Mal Caspar gehört habe. Er hat mir den Weg gewiesen, dem ich heute noch folge.«
»Ich kann kaum laufen, Georg«, seufzte Anna. »Ich sehne