Vorsichtig ging ich die ersten Stufen hinauf. Das Geländer war schadhaft, der Handlauf teilweise abgebrochen.
Eine Bewegung ließ mich herumfahren, und ich sah eine riesige Ratte von einer Tür zur anderen huschen.
Nur den Bruchteil einer Sekunde später sah ich über mir etwas aufblitzen.
Das Mündungsfeuer einer MPi.
12
Der Killer stand auf einer der oberen Treppenabsätze und ballerte in die Tiefe - auf mich.
Ich ließ mich seitwärts fallen, während die Geschosse den ohnehin morschen hölzernen Handlauf zerfrästen. Ich drückte mich an die Wand. Draußen, im Innenhof waren jetzt Polizeisirenen zu hören.
Über mir hörte ich schnelle Schritte und so wagte ich es, die Treppe hinaufzurennen. Ich nahm zwei bis drei Stufen mit einem Schritt, bis ich den fünften Stock erreichte, von wo aus der Killer mich beschossen hatte. Immer wenn ich einen Absatz erreichte, erwartete ich, von einem Bleihagel begrüßt zu werden.
Aber von dem Killer war nichts zu sehen.
Von draußen krächzte jetzt ein Megafon und forderte die Killer zum Aufgeben auf.
Milo schien die Beamten der City Police und des FBI eingewiesen zu haben.
Fieberhaft durchsuchte ich den fünften Stock. Zimmer für Zimmer. Die meisten Räume waren kahl wie ein Rohbau. Man hatte alles mitgenommen. Hin und wieder standen da noch ein paar Büromöbel und Kisten mit halbverschimmelten Papieren, aus denen sich die Ratten ihre Nester bauten.
Vielfach fehlten selbst die Türen.
Irgendwer hatte sie offenbar noch einer Verwendung zuführen können. Vielleicht auch nur als Brennholz für ein Feuer, das einem Obdachlosen die eiskalten Nächte wärmer werden ließ.
Ich fragte mich, ob sich auf der anderen Hausseite Feuerleitern befanden. Jedes Haus in New York, das noch aus dem 19. Jahrhundert stammt, besitzt sie, denn es war lange Zeit Vorschrift.
Aber wenn es hier welche gab, dann war der Kerl vielleicht schon auf und davon.
Ich arbeitete mich Raum für Raum vorwärts, trat unter einem Türsturz hindurch in ein weiteres, kahles Ex-Büro und dann...
Schon in der ersten Sekunde hatte mein Instinkt mich gewarnt.
Ich wirbelte herum und blickte auf eine Gestalt, die eine Strickmaske trug, die lediglich die Augen freiließ.
Und dann war da der kurze Lauf einer MPi, der direkt in meine Richtung zeigte.
Dann ging alles blitzschnell. Der Finger meines Gegenübers krümmte sich.
Der Druck auf den Abzug verstärkte sich und ich wusste, dass im nächsten Sekundenbruchteil die Hölle über mich hereinbrechen würde.
Ein Augenblick wie eine Ewigkeit...
Ich riss meine Waffe herum, aber zuvor hatte der Killer bereits die MPi abgedrückt.
13
Ich erwartete das rot aus dem Lauf herauszüngelnde Mündungsfeuer der MPi...
Ich ließ mich seitwärts fallen und rollte mich auf dem Boden ab. Die Waffe meines Gegenübers machte klick. Kein Schuss löste sich. Entweder hatte das Ding eine Ladehemmung, was immer mal wieder vorkommen konnte, oder das Magazin war leer. Der Kerl stand wie erstarrt da und blickte nun in den Lauf meiner Waffe.
"Fallenlassen!", rief ich.
Er bestätigte den Eindruck, den ich von ihm hatte. Er war Profi, kein lebensmüder Wahnsinniger, dem das eigene Schicksal gleichgültig war. Und darum wusste er auch ganz genau, dass das Spiel jetzt erst einmal für ihn zu Ende war.
Er hatte verloren.
Und so ließ er die Maschinenpistole zu Boden gleiten.
"Ich bin Special Agent Jesse Trevellian vom FBI District New York", sagte ich und erhob mich. "Sie sind verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen..."
Wie automatisch betete ich diese Litanei herunter, trat auf den Kerl zu und kickte dann seine Waffe ein Stück über den Fußboden.
"Drehen Sie sich zur Wand!", forderte ich. "Die Hände nach oben und die Beine auseinander..."
Er gehorchte.
Wortlos.
Er stand da und rührte sich nicht.
Ich bemerkte die Anspannung seiner Muskeln. In dem Moment, in dem mein Instinkt mich warnte, war es bereits zu spät.
Der Karatetritt kam dann so schnell und unerwartet, dass ich nichts mehr dagegen tun konnte. Er traf mich voll am Solar Plexus und raubte mir damit eine Sekunde lang die Luft. Ich taumelte zurück, aber noch ehe ich zu Boden sacken konnte, schickte mich ein brutaler Fausthieb endgültig auf die Bretter.
Um mich herum war nur noch Dunkelheit.
14
"Heh, aufwachen, Jesse!"
Das erste, was ich sah, war Milos Gesicht. Und ich fühlte eine Welle von Schmerz vom Kopf aus meinen gesamten Körper zu durchfluten. Der Killer hatte mich böse erwischt.
Andererseits musste ich wohl froh sein, überhaupt noch am Leben zu sein.
Mein erster Blick glitt zur Uhr an meinem Handgelenk. Ich war wirklich nur kurz weggetreten gewesen. Und das beruhigte mich.
"Wo...?", hörte mich selber ächzen.
"Die Kerle sind weg. Über die Feuerleiter, vermuten wir. Unsere Fahndung läuft auf Hochtouren, aber es gleicht der