„Vielleicht haben Sie sich einfach nur geirrt, Dr. Martin.“
Martins Lächeln wurde dünn. „Wir wollen unseren Disput über die Natur des Täters an dieser Stelle nicht noch einmal vertiefen.“
„Das ist mir durchaus auch lieber so.“
„Und ich will auch keineswegs ausschließen, dass ich mich geirrt habe! Aber dann möchte ich das abgeklärt haben und dabei wäre ich gerne nicht in erster Linie auf die Aussagen dieses Wirrkopfs angewiesen, der vielleicht sogar einen Mord gestehen würde, den er gar nicht begangen hat!“
Jensen wandte sich an mich. „Gratuliere, Kommissar Norden, Sie bekommen Ihre Großaktion. Aber mal Hand aufs Herz: So ein Zirkus wird doch auch in der Weltstadt Emden nicht jedes Mal veranstaltet, wenn irgendein Detail nicht ganz klar ist.“
Ehe ich antworten konnte, hatte Dr. Martin das Wort ergriffen. „Für die Art des angenommenen Täterprofils ist es meiner Ansicht nach von entscheidender Bedeutung, ob der Täter bereits hier zuschlug oder ob das Verbrechen an einem anderen Ort geschah.“
Jensen machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich hoffe nur, dass auch etwas dabei herauskommt“, knurrte er und wählte dann per Handy das Präsidium an.
17
Wir blieben noch eine Weile am Ort des Geschehens, während die Erkennungsdienstler mit ihrer Arbeit begannen. Das Schwierigste war dabei die Beleuchtung. Außerdem versuchten zwei Dutzend Polizeibeamte herauszufinden, wem die geparkten Wagen jeweils gehörten. Zumeist wurden sie in den umliegenden Mietshäusern und Geschäften fündig.
Die Arbeit der Kollegen ging ziemlich zäh voran, und Jensen fuhr schließlich mit uns zurück zum Präsidium.
Dr. Martin beschäftigte sich inzwischen mit dem Festgenommenen. Für den nächsten Morgen wurde ein Briefing verabredet.
Als Jan und ich etwas später auf dem Weg zu unserem Hotel waren, rief unser Kollege Tadaeus Ulfert an.
„Es gibt neue Erkenntnisse über die Müll-Mafia-Organisation, in die Hinnerk Martensteen mit seiner PRIDE OF EMDEN verwickelt war.“
„Ist Martensteen endlich zur Vernunft gekommen und hat ausgesagt?“, fragte Jan Slieter.
„Dass die Spuren in diesem Fall nach Bremen weisen, war ja schon vorher klar. Schließlich hat Henning Martini dort zumindest einen Auftragsmord begangen, bei dem es unserer Ansicht danach ging, einen Geschäftspartner daran zu hindern sich den Behörden zu offenbaren. Leider haben wir keine Aussage von Martensteen. Der verschanzt sich noch hinter einer Mauer, die seine Anwälte um ihn errichten. Aber Rudolf Jordan, der Kapitän der PRIDE OF EMDEN war inzwischen zu einer umfangreichen Aussage bereit. Er ist zwar in viele Dingen nicht eingeweiht gewesen, aber immerhin hat er uns ein paar Hinweise gegeben, die interessant sein könnten.“
„Wir sind ganz Ohr“, versprach Jan.
„Jordan gab uns den Hinweis, dass Martensteen einer Organisation angehörte, zu deren nächsthöheren Ebene er keinen unmittelbaren Kontakt hatte. Das alles sei über einen Verbindungsmann namens Gregor Sommer gelaufen. Sommer steht schon seit längerem in Verdacht, mit Hilfe von Strohmännern in dubiose Grundstücksgeschäfte verwickelt zu sein.“
„Und es gibt wirklich keinen Hinweis darauf, wer hinter Sommer steht?“
„Nein. Jordan bezweifelt sogar, dass Martensteen Näheres darüber weiß. Wir versuchen, über das Verfolgen von Geldströmen Näheres zu erfahren. Schließlich sitzt Martensteen in Untersuchungshaft und wir haben jetzt die Möglichkeit, seine wirtschaftlichen Verhältnisse genauestens zu durchleuchten. Wir arbeiten da inzwischen eng mit der Steuerfahndung zusammen, aber es würde schon an ein Wunder grenzen, wenn wir da schnelle Ermittlungserfolge verzeichnen könnten.“
„Die Materie ist wohl ziemlich kompliziert“, stellte Jan fest.
Tadaeus konnte das nur bestätigen. „Allerdings!“
„Vielleicht könntest du uns ein kleines Dossier über diesen Gregor Sommer zusammenstellen, in dem alles aufgelistet ist, was über seine Geschäftsbeziehungen bekannt ist. Vielleicht ergeben sich dann Zusammenhänge mit unseren Ermittlungen hier in Bremen.“
„Das ist schon geschehen“, versicherte Tadaeus. „Die Daten sind bereits in euren Mailfächern.“
„Na, bestens!“, sagte Jan.
18
Das Hotel in Bremen, in dem für uns für die Nacht ein Zimmer mieteten, trug den Namen “Hotel zum Löwen” und gehörte einer Kette an, die in Nordwestdeutschland und im Benelux-Gebiet recht verbreitet war. Die Zentrale befand sich im belgischen Lüttich. Es war ein Mittelklasse-Hotel. Bevor wir auf unsere Zimmer gingen, luden wir die Daten, die Tadaeus Ulfert uns geschickt hatte auf ein PDA. Bevor uns am nächsten Morgen mit den Kollegen des Bremer Polizei zum Briefing trafen, mussten wir uns mit den Daten einigermaßen vertraut machen.
Am Morgen fuhren wir nach dem Frühstück ins Präsidium der Bremer Polizei.
Kommissar Jensen erwartete uns zusammen mit der Kollegin Serena Düpree in einem Konferenzraum. Dr. Frank Martin traf etwas später ein.
Er gab einen Bericht über die Befragung des Mannes, den wir bisher nur unter seinem Vornamen Benny kannten.
Seine Identität hatte inzwischen festgestellt werden können. Sein voller Name lautete Benny Wilfried Basener. Er besaß einen Hochschul-Abschluss, arbeitete aber gegenwärtig als Aushilfsfahrer in einer Wäscherei. „Den Job, den er davor in einem Fast Food Restaurant hatte, verlor er, weil er Gäste anpöbelte und sie verdächtigte, vom Satan beeinflusst zu sein“, erklärte Martin. „Der Mann leidet zweifellos unter einer starken Psychose. Er glaubt, dass die Welt vom Satan beherrscht wird, der seiner Ansicht nach fast allen Menschen als eine Art Dämon innewohnen würde. Durch das Tragen eines Satanszeichens, des umgekehrten Kreuzes, glaubte er sich vor dieser feindlichen Umwelt schützen zu können. Er leidet außerdem unter paranoiden Vorstellungen.“