„Ich dachte, was Ihr Verhältnis zu Gregor Sommer betrifft“, erwiderte ich.
„Ich rede nicht über Mandanten mit Ihnen, Herr...“
„Kommissar Norden. Ubbo Norden.”
“Ah ja - Norden, das ist doch, wo die Sonne nie scheint.”
“Kann man so sagen.”
“Dann wünsche ich Ihnen Erleuchtung.”
“Wenn Sie dazu beitragen!”
“Wenn ich kann...”
“Zurück zu Herrn Gregor Sommer...”
“Hören Sie, ich sagte bereits, dass ich zu Mandanten nichts sagen kann. Und das wissen Sie auch. Wieso Sie immer wieder dieselbe Tour versuchen, ist mir vollkommen schleierhaft.”
“Das heißt also, Sie vertreten noch immer Herr Sommers Interessen.“
„Ich denke, das Gespräch ist hiermit beendet. Mein Mandant macht Ihnen gegenüber keine Aussage, es sei denn, Sie laden ihn offiziell vor.“
21
„Ein Erfolg war deine Gesprächsstrategie ja nun nicht gerade, Ubbo“, musste ich mir Jans Kritik anhören, nachdem wir das Büro von Hans-Richard Brannemann verlassen hatten und uns wieder in unseren Dienstwagen setzten, den wir auf einem zum Haus gehörenden Parkplatz abgestellt hatten.
„Du hättest es ja besser machen“, erwiderte ich.
Ich checkte die Nachrichten auf meinem Smartphone, um zu sehen, ob man uns irgendwelche neuen Informationen zugeschickt hatte.
Aber das war nicht der Fall.
„Wenn die Fässer dort schon länger gelagert waren, dann kann das eigentlich nur bedeuten, dass die Spedition bereits seit längerem nur ein Tarngeschäft gewesen ist“, stellte ich fest.
Jan nickte. „Das ist anzunehmen. Vielleicht sollte man die letzten Besitzer der Spedition festnehmen und verhören. Die müssten doch wissen, mit wem sie sich eingelassen haben...“
„Wenn nicht einmal Martensteen den Kopf der Organisation kennt?“, fragte ich zurück. „Nein, das ist doch gerade der Trick bei der Sache. Die einfachen Strohleute müssen den Kopf hinhalten, aber das Ganze ist so organisiert, dass die Spur allenfalls zur nächsten Etage in der Organisation führt. Aber niemals bis zu den Hintermännern.“
„Die nächste Etage heißt in diesem Fall wohl Gregor Sommer“, stellte Jan fest.
Dem konnte ich nur zustimmen. „So ist es. Und im Moment haben wir außer der Aussage des Kapitäns der PRIDE OF EMDEN keine Beweise gegen Sommer. Der würde den Teufel tun und uns seinen Boss verraten!“
Jan seufzte, während ich den Motor unseres Wagens startete. Der Motor hatte einen angenehm kraftvollen Klang. „Ich hoffe nur, dass wir am Ende nicht mit leeren Händen dastehen und weder den Rote-Haare-Mörder noch die Hintermänner der PRIDE OF EMDEN Affäre dingfest gemacht haben.“
„Seit wann neigst du denn derart zum Pessimismus?“
„Das ist nur Realismus, Ubbo. Und das ist etwas ganz anderes.“
„Ich bitte dich, Jan!“
„Ist doch wahr!“
Ich fädelte mich in den Verkehr ein. „Ich bin dafür, dass wir Sommer einen Besuch abstatten“, sagte ich schließlich, nachdem wir die Autobahn erreicht hatten
„Du willst Sommer noch mehr aufschrecken?“, fragte Jan „Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist, Ubbo!“
„Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, etwas Bewegung in die Sache zu bringen. Oder willst du abwarten, bis dieser Keil unseren Gesprächspartner dermaßen auf Krawall gebürstet hat, dass der ebenfalls nicht mehr mit uns reden will?“
„Vielleicht hast du Recht. Aber ich bin dafür, dass wir vorher etwas essen. Mir knurrt nämlich der Magen.“
Zehn Minuten später saßen wir in einem Schnellimbiss an der Konrad Adenauer Straße. Eine Zeitung lag dort aus. Es war der Bremer Anzeiger.
Die Titelseite berichtet ausführlich über unsere Aktion im Hafen von Emden, bei der wir die PRIDE OF EMDEN aufgebracht und daran gehindert hatten, ihre todbringende Fracht außer Landes zu bringen.
Die Verbindungen, die der Fall nach Bremen hatte, wurden natürlich herausgestellt. Auf Seite zwei wurde der Fall Norma Jeremies, deren Brustimplantat in einem der Fässer der PRIDE OF EMDEN gefunden war, ausführlich ausgebreitet. Ihr Verschwinden, die bisherigen vergeblichen Bemühungen der Polizei, die Serie des Rote-Haare-Mörders aufzuklären und zur Abrundung der Story ein Kurzinterview mit den tief getroffenen Angehörigen.
„Das wird uns nicht gerade helfen“, murmelte ich und gab Jan die zusammengefaltete Zeitung.
22
Gregor Sommer zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Von seinem Penthouse aus hatte man einen traumhaften Blick. Sommer war ein mittelgroßer Mann mit einem Gesicht, dessen hängende Wangen an eine Dogge erinnerten. Er hatte die Hände tief in den Taschen seiner weiten Flanellhose vergraben. Am Gürtel trug er einen leichten 22er Revolver im Holster. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Er schwitzte. Es klingelte noch einmal.
Mit einer Bewegung, die ihn sichtliche Überwindung zu kosten schien, nahm er ab.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht mehr anrufen sollen, Herr Anselm... Ja, ich weiß! Ich werde sehen, was ich tun kann, aber ich bin nicht Jesus! Wunder vollbringen gehört nicht in mein Repertoire!“
Dann schwieg Sommer plötzlich.
Der Kinnladen fiel ihm herab und sein Gesicht verlor den letzten Rest an Farbe.