Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
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diesem Streben und Berufe hingaben. Auch lesen wir in der hl. Schrift, daß dieser Ordnung gemäß die Söhne Israels durch Moses aus der Bedrängniß Ägyptens befreit worden seien. Die dritte Weise der Berufung ist die, welche in der Noth erfolgt. Da sind wir von den Reichthümern oder Lüsten dieser Welt gefesselt; aber plötzlich brechen Prüfungen herein, indem uns entweder Todesgefahr droht oder Verlust der Güter und Ächtung uns trifft oder auch der Tod unserer Lieben uns verwundet. Jetzt treibt es uns an, wenigstens in der Zwangslage, zu Gott zu eilen, dem wir in glücklichern Verhältnissen zu folgen verschmähten. Diese Berufungstrübsal finden wir auch in der heiligen Schrift sehr oft, wenn wir lesen, daß die Söhne Israels nach Verdienst ihrer Sünden von Gott ihren Feinden überlassen worden seien, durch deren Herrschaft und wilde Grausamkeit sie sich dann bekehrten und wieder zu Gott riefen; und es sandte ihnen Gott als Retter den Aod, den Sohn Gera, den Sohn Jemini, der beide Hände gebrauchen konnte wie die Rechte. 85 Und wieder heißt es: „Sie riefen zum Herrn, der ihnen einen Retter erweckte zur Befreiung, den Othaniel, den Sohn des Cenez, den jüngern Bruder des Caleb.“ Auch im Psalme heißt es von Solchen: 86 „Als er sie tödtete, da suchten sie ihn und kehrten zurück; und früh Morgens kamen sie zu ihm und erinnerten sich, daß Gott ihr Helfer ist und der erhabene Gott ihr Erretter.“ Und wieder: 87 „Und sie schrieen zu Gott, als sie bedrängt wurden, und von ihren Nöthen befreite er sie.“

       5. Daß die erste Berufung dem Trägen nicht nütze und die zweite dem Eifrigen nicht schade.

      Obwohl nun unter diesen drei Weisen die beiden ersten sich auf einen bessern Anfang zu gründen scheinen, so finden wir doch zuweilen auch in der dritten Reihe, welche die unterste und laueste scheint, vollkommene Männer von größtem Geisteseifer, denen ähnlich, die aus der höchsten Veranlassung den Dienst Gottes ergriffen und ihr übriges Leben in lobenswerthem Eifer des Geistes zubrachten; wieder aber finden wir auf jener höhern Stufe sehr Viele, die lau wurden und in ein tadelnswerthes Ende zurückfielen. Wie es also Jenen nicht schadete, daß sie nicht durch freie Wahl, sondern durch den Drang der Noth sich bekehrten, zumal ihnen ja die Güte des Herrn den Anlaß zur Zerknirschung verschaffte: ebenso nützte es auch Diesen durchaus Nichts, einen höhern Anfang der Bekehrung gehabt zu haben, weil sie nicht bestrebt waren, das übrige Leben mit einem entsprechenden Ende zu schließen. So fehlte dem Abte Moses, der an dem Orte dieser Wüste wohnte, den man Calamus heißt, Nichts zum Verdienste der vollkommenen Glückseligkeit, weil er nur aus Furcht vor dem Tode, der ihm wegen eines Verbrechens des Mordes zugedacht war, zum Kloster kam; denn er ergriff die erzwungene Bekehrung dann so, daß er sie mit bereitwilliger Seelenkraft zu einer freiwilligen machte und zu den höchsten Gipfeln der Vollkommenheit gelangte; auf der andern Seite aber hat es sehr Vielen, die ich nicht namentlich zu erwähnen brauche, Nichts genützt, den Dienst Gottes nach einer höhern Weise angefangen zu haben, weil sie nachher durch Trägheit und Härte des Herzens in schädliche Lauigkeit und in den tiefen Abgrund des Todes fielen. Das sehen wir auch unwidersprechlich in der Berufung der Apostel ausgedrückt. Denn was nützte es dem Judas, daß er die höchste Würde des Apostolates nach derselben Weise, in welcher Petrus und die Übrigen gerufen wurden, freiwillig annahm, da er den herrlichen Beginn seiner Berufung zu dem unseligen Ende der Gier und Habsucht brachte und als grausamer Mörder bis zum Verrathe des Herrn herabstürzte? Oder was schadete es dem Paulus, daß er plötzlich geblendet auf den Weg des Heiles gleichsam mit Gewalt gezogen wurde, da er nachher dem Herrn mit solcher Glut des Herzens folgte und den erzwungenen Anfang in freiwilliger Verehrung fortführend sein durch solche Tugenden ruhmvolles Leben mit einem unvergleichlichen Ende beschloß? Alles kommt mithin auf das Ende an, und bei diesem kann Einer, der sich Anfangs der höchsten Bekehrung weihte, durch Nachläßigkeit als tiefer stehend erfunden werden, während der durch Noth zum Mönchsberufe Gezogene durch Gottesfurcht und Eifer vollkommen werden kann.

       6. Darlegung der drei Entsagungen.

      Nun müssen wir von den Entsagungen reden, deren Dreizahl uns die Lehre der Väter und das Ansehen der hl. Schriften beweist, und die wir mit allem Eifer üben müssen. Die erste ist jene, in welcher wir dem Leibe nach alle Reichthümer und Güter der Welt mit Verachtung hingeben; die zweite, in der wir die frühern Sitten und Laster und Neigungen des Gemüthes und des Fleisches von uns werfen; die dritte, in welcher wir unsern Geist von allem Gegenwärtigen und Sichtbaren abrufen und nur das Zukünftige betrachten, nur das Unsichtbare verlangen. Diese drei zugleich zu vollziehen hat Gott“, wie wir lesen, auch dem Abraham befohlen, da er zu ihm sprach: „Geh’ heraus aus deinem Lande, von deiner Verwandtschaft und dem Hause deines Vaters!“ Zuerst sagte er: von deinem Lande, d. i. von den Gütern dieser Welt und den irdischen Reichthümern; zweitens: von deiner Verwandtschaft, d. i. von dem frühern Wandel, den Sitten und Lastern, die uns von Geburt aus anhängen und wie durch Verschwägerung und Blut uns verwandt sind; drittens: vom Hause deines Vaters, d. i. von allem Andenken an diese Welt, die dem Blicke der Augen begegnet. Denn von den zwei Vätern, d. i. demjenigen, den wir verlassen müssen, und dem, welchen wir suchen müssen, singt so David im Namen Gottes: 88 „Höre, o Tochter, und sieh’, neige dein Ohr und vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters!“ Der also sagt: „Höre, o Tochter,“ ist doch wohl Vater, und doch bezeugt er, daß Derjenige, dessen Haus und Volk er zu vergessen mahnt, der Vater seiner Tochter sei. So geschieht es, wenn wir mit Christo dem abgestorben sind, woraus diese Welt besteht, und nach dem Apostel nicht mehr das betrachten, was man sieht, sondern was man nicht sieht; denn das Sichtbare ist zeitlich, aber das Unsichtbare ewig. Indem wir also mit unserm Herzen herausgehen aus diesem zeitlichen und sichtbaren Hause, richten wir unsere Augen und unsern Geist auf jenes, in welchem wir beständig bleiben werden. Das erfüllen wir dann, wenn wir im Fleische wandelnd Gott nicht nach der Art des Fleisches zu dienen anfangen, jenes Wort des Apostels durch That und Kraft verkündend: „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel.“ Diesen drei Entsagungen sind so recht die drei Bücher Salomons angepaßt. Denn die Sprüchwörter entsprechen der ersten, da durch sie die Begierden nach fleischlichen Dingen und die irdischen Laster beschnitten werden. Der zweiten Entsagung entspricht der Prediger, wo Alles, was unter der Sonne geschieht, als Eitelkeit hingestellt wird; der dritten das hohe Lied, in welchem der Geist über alles Sichtbare emporsteigend schon durch die Betrachtung der himmlischen Dinge dem Worte Gottes sich eint.

       7. Wie die Vollkommenheit der einzelnen Entsagungen anzustreben sei.

      Es wird uns also nicht viel nützen, die erste Entsagung mit der größten Opferwilligkeit des Glaubens auf uns genommen zu haben, wenn wir die zweite nicht mit demselben Streben und dem gleichen Eifer durchsetzen. Und so werden wir, wenn wir auch diese erlangt haben, zu jener dritten kommen können, in der wir alle Blicke des Geistes zum Himmlischen wenden, nachdem wir ausgezogen sind aus dem Hause unsers frühern Vaters, der uns ja, wie wir wissen, nur Vater war vom Anfange unserer Geburt nach dem alten Menschen und dem vorigen Wandel, da wir von Natur aus Söhne des Zornes waren wie auch die Übrigen. 89 Von diesem Vater wird auch zu Jerusalem, das seinen Wahren Vater, Gott, verachtet hatte, gesagt: 90 „Dein Vater ist der Amorrhäer und deine Mutter eine Cethäerin.“ Und im Evangelium: 91 „Ihr habt den Teufel zum Vater und wollt nach dem Begehren eures Vaters thun.“ Wenn wir Diesen verlassen haben und vom Sichtbaren zum Unsichtbaren aufgestiegen sind, dann werden wir mit dem Apostel sagen können: 92 „Wir wissen, daß, wenn dieß unser irdisches Wohnhaus abgebrochen wird, wir eine Wohnung aus Gott haben werden, ein Haus nicht mit Händen gemacht, sondern ewig im Himmel.“ Und ebenso, was wir kurz vor erwähnt haben: 93 „Unser Bürgerrecht ist im Himmel, von wo wir auch als Retter erwarten unsern Herrn Jesus Christus, welcher umbilden wird den Leib unserer Niedrigkeit zur gleichen Gestalt mit dem Leibe seiner Herrlichkeit.“ Oder jenes Wort des hl. David: 94 „Ich bin ein Fremdling und Pilger auf Erden, wie alle meine Väter.“ Laßt uns also nach dem Worte des Herrn so werden wie Jene, von welchen der Herr im Evangelium zu seinem Vater spricht: 95 „Sie sind nicht von dieser Welt, wie auch ich nicht von dieser Welt bin;“ und wieder zu den Aposteln selbst: „Wenn ihr von dieser Welt wäret, so würde die Welt jedenfalls lieben, was ihr gehört; weil ihr aber nicht von dieser Welt seid, sondern ich euch von dieser Welt erwählt habe, deßhalb haßt euch die Welt.“ Wir werden also die wahre Vollkommenheit dieser dritten Entsagung dann in Wahrheit besitzen,