Persönlichkeit führt. Dietmar Hansch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietmar Hansch
Издательство: Bookwire
Серия: Dein Business
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783862009633
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Aus dem Zueinander von Zufallsvariationen, Selektionsprozessen und bestimmten »Gesetzen des Zusammenwirkens« entstehen aus einem »freien Spiel der Kräfte« neue Strukturen in unserer Welt.

      Abb. 1: Beispiel für Selbstorganisation in der Wahrnehmung

       Chaotischer Suchprozess

      Abbildung 1 vermittelt Ihnen einen kleinen sinnlichen Eindruck vom Wirken der psychoneuralen Selbstordnungskräfte in unserem Gehirn. Einem fluktuierenden Wabern gleich, tastet unser Sehsystem das Reizmuster auf der Suche nach einer sinnvollen Deutung ab. Allerdings lässt dieses Reizmuster viele Deutungen in Form großer und kleiner Rosetten zu, sodass dieser chaotische Suchprozess nicht zur Ruhe kommt. Wir erleben ein vom Zufall mitbestimmtes Herumprobieren, wie wir es aus dem praktischen Handeln und dem theoretischen Lösen von Problemen in ähnlicher Weise kennen (und wie es zugleich Maschinen und Computern völlig wesensfremd ist).

       Selbstorganisation als Elementarschritt der Evolution

      Selbstorganisationsprozesse dieser Art sind die universellen schöpferischen Kräfte, die überall in Natur, Psyche und Gesellschaft wirksam sind. Sie bilden die Elementarschritte, die auch die komplexeren Evolutionsprozesse in unserem Universum vorantreiben – etwa die Darwin’sche Evolution, welche die biologischen Arten und die Strukturen unseres Körpers geschaffen hat, aber auch die soziokulturelle Evolution, welche die Strukturen der Gesellschaften und die geistigen Inhalte der Kulturen erzeugt.

       Synergetik: Die Lehre vom Zusammenwirken

      Derartige Selbstorganisations- und Evolutionsprozesse in komplexen Systemen werden von der modernen Natur- und Systemwissenschaft seit einem Vierteljahrhundert intensiv erforscht. Führend ist hier die Synergetik, die sich speziell auch mit Selbstorganisationsprozessen im Gehirn beschäftigt hat. Diese »Lehre vom Zusammenwirken« wurde von dem bedeutenden deutschen Physiker Hermann Haken begründet. Auf diesem Fundament aufbauend habe ich dann in Zusammenarbeit mit anderen die Psychosynergetik entwickelt. Im Rahmen dieses Buches kann allerdings auf die wissenschaftlichen Einzelheiten nicht weiter eingegangen werden. Sollten Sie sich dafür interessieren, empfehle ich Ihnen weiterführende Bücher (Haken 1995, Haken u. Haken-Krell 1997, Hansch 2004).

       Das Potenzial der Selbstorganisation ist immer verfügbar

      An dieser Stelle sollte lediglich eines deutlich werden: Unser Selbst ist untrennbar eingebunden in die Evolution unseres Universums. Die universellen schöpferischen Kräfte der Natur wirken auch in unserem Körper und unserer Psyche. Sie sind unverlierbar präsent und immer verfügbar, wenn wir sie nicht im Stress blockieren. Das Wissen darum kann eine wichtige Basis unseres Verbundenheitsgefühls mit der Natur und eine Stütze für unser Selbstvertrauen werden.

       1.4.2 Angeborene Potenziale: Erbantriebe

       Wie sich Instinkte bei uns zeigen

      Wenn Sie völlig freie Wahl hätten und alle Möglichkeiten dieser Welt – wo würden Sie sich wohl Ihr Traumhaus bauen lassen? Mitten hinein in einen dichten Wald? Sicher nicht. Die meisten würden wohl so oder ähnlich antworten: auf einem hohen Berg mit Weitblick über Gewässer und gegebenenfalls einer Felswand im Rücken. Entsprechend sind dies auch die teuersten und gefragtesten Immobilienlagen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum das so ist? Die Antwort: Für unsere Vorfahren waren das die sichersten Plätze – Wasser und Felswand boten Schutz und die Höhe erlaubte es, herannahende Feinde rechtzeitig zu erkennen. Da unsere entfernten Vorfahren noch nicht über Einsicht und Denken verfügten, musste sich ein Instinkt entwickeln, der sie an solche sicheren Plätze trieb und ihnen dort positive Gefühle bescherte.

       Bewältigung der Überlebensprobleme unserer Vorfahren

      In ähnlicher Weise entwickelten sich für alle Verhaltensweisen, die unter den Bedingungen unserer Vorfahren dem eigenen Überleben oder dem Überleben der Art dienlich waren, entsprechende angeborene Antriebe. Als stammesgeschichtliches Erbe gehören sie zum »fest verdrahteten« Teil unseres Gehirns. Typische Auslösesituationen mit bestimmten, genetisch fixierten Merkmalen erzeugen dabei charakteristische Gefühle. Diese Emotionen drängen uns dann zu einem Verhalten, das beispielsweise darauf zielt, uns in den Besitz bestimmter Objekte zu bringen oder eine bestimmte äußere Situation herzustellen: Das Dickicht des Waldes erzeugt Unbehagen, das uns dazu bringt, für die Rast noch die nächste Anhöhe zu erwandern. Dort löst sich dann die Spannung und wir fühlen uns wohl.

       Die wichtigsten Erbantriebe

      Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang von Erbantrieben, Erbbedürfnissen und Erbgefühlen sprechen. Neben dem erläuterten »Orts- und Sicherheitsantrieb« gibt es folgende wichtige Erbantriebe:

      • Atemantrieb

      • Ernährungsantrieb

      • Temperaturregulationsantrieb

      • Schmerzvermeidungsantrieb

      Weitere, insbesondere für das soziale Verhalten wichtige Erbantriebe werden wir noch mehr im Detail besprechen.

      Zuvor aber sollten wir uns zweierlei klar machen:

       »Unzeitgemäße« Erbantriebe

      1. Die Erbantriebe wurden von der Evolution zur Zeit unserer tierischen und steinzeitlichen Vorfahren geformt. Sie sollten unseren Vorfahren bei der Lösung von typischen Problemen helfen, mit denen sie in ihrer natürlichen Umwelt häufig konfrontiert waren.

       Wir leben heute unter völlig veränderten kulturellen Bedingungen. Daher drängen uns viele unserer ererbten Gefühle und Verhaltenstendenzen in eine falsche Richtung – sie tragen nichts zur Bewältigung unserer aktuellen geistig zu lösenden Probleme bei oder sind dabei sogar hinderlich.

      So führt unser unter Mangelbedingungen entstandener Ernährungsantrieb durch leicht überkalorische Ernährung zum Anlegen von Fettpolstern, die dann aber, da es diese Notzeiten nicht mehr gibt, nicht abgebaut werden und weiter zunehmen. Es ist ein zentrales Moment persönlicher Meisterschaft, die oft grundfalsche Logik vieler unserer Erbgefühle zu erkennen und einen souveränen Umgang mit ihnen zu erlernen.

       »Unmoralische« Erbantriebe

      2. Die Evolutionsmechanismen, welche die Zielrichtung unserer Erbantriebe geprägt haben, sind ohne Seele und Moral. Sie folgen der kalten Logik der Genausbreitung: Gefördert werden all die Verhaltensweisen, die zum Überleben der meisten Nachkommen führen. Viele der ererbten Verhaltensimpulse sind deshalb unter moralischen Aspekten ziemlich zweifelhaft – nicht umsonst spricht man vom »inneren Schweinehund« oder vom »Tier im Menschen«. Allerdings sind wir Menschen, im Unterschied zum Tier, unseren ererbten Verhaltensimpulsen nicht wie Sklaven ausgeliefert. Nur noch selten gehen sie mit uns durch, etwa, wenn wir bei einem heftigen Streit wutschnaubend zum Schlag ausholen.

       Die kulturellen Gegenkräfte

      In aller Regel sind ererbte Verhaltensimpulse bei uns Menschen nur ein Faktor im Prozess der Verhaltensformung, der mit anderen Faktoren zu einem Kompromiss »verrechnet« wird. Die wichtigsten dieser anderen Faktoren sind bewusste Willensimpulse und Synergiegefühle, die zum Beispiel für verinnerlichte kulturelle Normen und Werte stehen (wir sprechen hier von »kultureller Aufhebung«, siehe Kapitel 3.3 und Exkurs II im Anhang). So kann jemand, der abnehmen will, mit seinem Willen dem Hunger widerstehen. Bei einem politischen Aktivisten können Überzeugungen so stark verinnerlicht sein, dass sie im Hungerstreik sogar seinen »Überlebensinstinkt« aufwiegen.

      Kurzum: Der Mensch ist sehr wohl in der Lage,